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"Ich kann mir keinen einsameren Menschen vorstellen als einen Priester"

Welche Rolle spielt Religion für die Identität, was ist religiöse Identität? Viele Filme der diesjährigen Berlinale waren von dieser Frage getrieben. Tag für Tag stellt vier dieser Filme der 63. Filmfestspiele von Berlin vor - unter anderem den Gewinner des queeren "Teddy-Awards".

Von Kirsten Dietrich | 18.02.2013
    So kann es klingen, wenn ein polnischer Priester einem jungen Mann das Schwimmen beibringt: hinterher spielen sie Verstecken im Maisfeld. Immerhin dabei kann der charismatische Priester Adam sich mal ganz frei geben. Im Alltag als Landpfarrer in der polnischen Provinz wird jede Regung genau beobachtet.

    "Ich wollte einen Film machen über die Sehnsucht nach Liebe und über Einsamkeit. Denn ich kann mir keinen einsameren Menschen vorstellen als einen Priester. Weil eben keine Liebe, keine Zweierbeziehung erlaubt ist."

    Und deswegen wollte Regisseurin Malgoszka Szumowska bewusst keinen politischen oder gar kirchenpolitischen Film machen. "In the name of" erzählt einfach die unendlich traurige Geschichte von Adam. Voller Glauben, zugänglich, sozial engagiert, gut aussehend – wenn da nicht das kleine Problem wäre: Adam ist homosexuell. Kein Pädophiler, kein Kinderschänder, wie gleich vermutet wird, einfach ein Mann, der Männer liebt. Mehr als zwei Jahre hat sie an ihrem Film gearbeitet, sagt Malgoszka Szumowska.

    "Aber inzwischen wird das Thema unseres Films heiß diskutiert. Wir haben große Debatten in Polen über Homosexualität, Debatten über die Kirche, über Priester, die immer häufiger die Kirche verlassen, so dass mein Film auf einem eine ganz neue Bedeutung bekommen hat."

    Suzanne heißt die Nonne wider Willen, von der der zweite Film aus dem Inneren der katholischen Kirche im Wettbewerb der Berlinale erzählt. Die Geschichte spielt Ende des 18. Jahrhunderts, ein Roman von Diderot ist die Vorlage. Suzanne wird von ihren Eltern ins Kloster abgeschoben. Sie haben kein Geld für eine standesgemäße Heirat. Doch Suzanne ist zwar gläubig, will aber auf keinen Fall im Kloster leben. Sie verweigert einmal sogar am Altar das Gelübde: Gott habe nicht gewollt, dass dieses Leben ihre Berufung sei. Das Individuum macht seinen Glauben alleine mit Gott aus, die Institution Kirche hindert dabei eher – in diesem Verständnis trifft sich "La Religieuse" mit dem polnischen "In the Name of". Und da wird für Regisseur Guillaume Nicloux – übrigens bekennender Atheist – die Vorlage von Diderot ganz aktuell.

    "Den Roman habe schon als Jugendlicher entdeckt, er hat mich sehr geprägt. Er trägt viel Antiklerikales in sich. Aber vor paar Jahren habe ich eine gerechtere, fairere Interpretation entdeckt: das Buch ist eine Ode an die Freiheit, die alle Menschen betrifft. Danach wurde die Verfilmung viel einfacher."

    In die Welt der evangelischen Freikirchen führt der koreanische Film "Fatal". Er erzählt von einer Bekehrung mit verheerenden Folgen. Sung-gong war als Jugendlicher als Mitglied einer Gang an einer Vergewaltigung beteiligt. Zehn Jahre später gerät er eher zufällig in eine Kirche – und trifft dort ausgerechnet das damalige Opfer wieder. In einer Vision glaubt Sung-gong: Gott hat ihn zum Instrument der Erlösung gemacht – die Konsequenzen, die er daraus zieht, sind allerdings verheerend: Sung-gong tötet alle Mitglieder der ehemaligen Gang und am Ende sich selbst. Regisseur Lee Don-ku:

    "Ich stelle mir vor, dass Sung-Gong ein ganz einfaches Leben geführt hat und gar nicht wirklich nach Glauben suchte. Und deswegen war dieser Rachefeldzug für ihn der einzige Weg, eben die Erlösung zu finden, die er suchte."

    Auch der indonesische Film "Something in the way" erzählt von so einer dramatischen Suche nach Identität: bei Tag ist der junge Ahmad ein eifriger Besucher in der Moschee und lauscht den strikten moralischen Belehrungen. Bei Nacht fährt er rastlos Taxi, schaut Porno, masturbiert – und verliebt sich schließlich in eine Prostituierte. Als die von ihm aber gar nicht gerettet werden will, kann das Ende wahrscheinlich nur blutig sein. Zum Glück enden nicht alle Suchenden in den Berlinale-Filmen so tragisch.

    Die junge Analia kommt ganz allein nach Buenos Aires. Die Mutter ist nur noch eine ferne Stimme am Handy. Den Job, den sie übernehmen soll, gibt es nicht mehr. Da gerät Analia durch Zufall in eine der wenigen muslimischen Gemeinden, die es in Argentinien gibt – und bleibt. Sie nimmt das Kopftuch, lernt beten und wird zur Muster-Muslimin. Ohne aber wirklich zu glauben. Analia probiert den Islam an wie eine neue Frisur. Regisseurin Maria Florencia Alvarez:

    "Ich arbeite an dieser Geschichte seit 1988. Heute ist das anders, aber damals hat man den Islam noch ganz anders wahrgenommen: als etwas Exotisches und Geheimnisvolles. Und deshalb wollte ich meine Hauptfigur mit dieser ganz anderen Welt konfrontieren: eine andere Sprache, andere Kleidung, anderer Rhythmus im Gebet. Das war ein gutes Mittel, damit meine Hauptfigur Analia ihre Identität erkunden und sich selbst entdecken kann."

    Analia probiert eine strenge Religion aus – und ist dabei ganz modern: denn am Ende merkt sie, dass das Leben in der neuen Gemeinschaft auch wieder einschränkt. Also legt sie den Schleier wieder ab und geht, ganz unspektakulär, aber selbstbewusst. Vielleicht hat sie auch so etwas wie Spiritualität für sich entdeckt – eine religiöse Institution braucht sie dafür aber nicht. Wenn sich die Berlinale-Filme mit religiöser Thematik überhaupt in etwas einig sind, dann wahrscheinlich darin.

    Alles zur diesjährigen Berlinale auf dradio.de:

    Sammelportal Berlinale 2013