Die Republik Südafrika war bis vor einem Jahrzehnt das Land der Apartheid, der weißen Alleinherrschaft und Rassentrennung. – Für damals erduldetes Leid fordern jetzt immer mehr Opfer Schadenersatz – vor US-amerikanischen Gerichten. Die erste Klage reichte am 17. Juni dieses Jahres der New Yorker Anwalt Ed Fagan ein; eine Klage im Namen von Dorothy Molefe, Mutter von Hector Peterson, der 1976 als 13jähriger von Südafrikas Polizei erschossen wurde.
Mitte November hat nun Fagans Washingtoner Kollege Michael Hausfeld nachgezogen. Im Namen von gleich 20.000 Apartheid-Opfern fordert er Schadenersatz von 19 internationalen Konzernen, die zur Zeit der Apartheid in Südafrika tätig waren. Hausfeld behauptet, diese Unternehmen, unter ihnen sieben deutsche, hätten als Komplizen dem Apartheid-Regime geholfen, seine Verbrechen zu verüben – Verbrechen, die die UNO 1973 als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" brandmarkte.
In Soweto bei Johannesburg springt von der Apartheid mitverursachte Armut der Schwarzen Südafrikas bis heute ins Auge. Da und dort stehen zwar Hochhäuser und Villen; der größte Teil der Township ist elektrifiziert, die Wüste überfüllter schachtelähnlicher Häuschen mit angebauten Bretterverschlägen jedoch hat sich rapide ausgedehnt; ihr Wuchern dokumentiert, dass die meisten Schwarzen bis heute so arm sind, wie sie es unter der Apartheid waren. 40 Prozent Arbeitslosigkeit herrschen, unter Jugendlichen bis zu 80 Prozent.
In der Hoffnung auf ein besseres Leben bekämpften seinerzeit tausende Schwarze das Apartheid-Regime. Viele litten, Mütter verloren ihre Kinder. Cathrin Mlangeni zum Beispiel, deren Sohn Bheki als Menschenrechtsanwalt arbeitete.
Es geschah am 15. Februar 1991 – in diesem Zimmer. Mein Sohn Bheki hatte ein Päckchen bekommen, das eine Audio-Kassette enthielt – mit der Aufschrift "Polizeibeweise". Als er das Band abzuhören begann, explodierte es. Die Explosion war so stark, dass mein Sohn in Stücke gerissen wurde. – Später stellte sich heraus, dass die Kassette von Eugene de Kock stammte. De Kock war damals Leiter des "Civil Corporation Bureau" – einer Undercover-Einheit der Polizei.
Ein gepflegtes, wenngleich verwohntes Häuschen mit rosa gekacheltem Boden; gestickte Deckchen, Porzellan-Nippes; eine alte Frau, die Halt sucht an den Armstützen ihres abgeschabten Sessels; ein scheuer, fast ängstlicher Blick, der keinen Zorn ausdrücken kann.
Zwei Straßen weiter ein junger Mann im verrosteten Rollstuhl. 1991 engagierte sich der damals 14-jährige Abel Satekhe in "Straßenkomitees". Abels Feind waren so genannte "vigilantes" – in Wohnheimen lebende schwarze Bergarbeiter, die sich von der Apartheid-Polizei benutzen ließen.
Ich wurde am 3. Mai 1991 zum Krüppel geschossen. Nicht weit vom Haus meiner Eltern hatte ich mich mit einigen Freunden getroffen, und mit ihnen durchstreifte ich die Straßen, um sicherzustellen, dass keine "vigilantes" in unser Wohnviertel eindrangen. – Nach vielleicht einer Stunde kam dann dann eine Gruppe junger Männer auf uns zu, denen wir zunächst nicht ansahen, dass sie "vigilantes" waren. Plötzlich aber zogen sie Pistolen und schossen wie von Sinnen auf uns. Allein ich bekam 13 Kugeln ab.
Seit jenem 3. Mai ist Abel gelähmt – vom elften Wirbel abwärts. Immerhin kann er seine Beine bewegen und könnte nach Meinung einiger Ärzte sogar das Laufen wieder lernen. Die dafür erforderliche Behandlung jedoch ist unerschwinglich teuer.
Abel’s Häuschen: eine Betonhütte unter einem Dach aus Asbest, ohne Bad; Stühle und Tisch aus verblichenem Plastik; Matratzen, Kissen und Decken verteilt auf dem zerrissenen Linoleumboden.
Ich habe wirklich zu kämpfen. Mit meiner Familie lebe ich von gerade 620 Rand, 60 Euro, Behindertenhilfe im Monat. Vor kurzem starb auch noch meine Tochter; und ich musste Geld für die Beerdigung zusammenkratzen. – Ja, es ist ein ständiger Kampf um’s Überleben; und Arbeit finde ich nicht.
Abel Satekhe und Cathrin Mlangeni – Opfer der Apartheid. Tausende wie sie vegetieren arbeitsunfähig dahin, trauern um ermordete oder verschwundene Angehörige, versuchen Traumata von Folter und jahrelanger Haft ohne Gerichtsverfahren allein zu bewältigen. Hunderttausende leben in ödem Niemandsland – weil sie nicht zurück können in Häuser, aus denen sie das alte Regime hinauswarf. – Bei manchen dieser Opfer keimt jetzt neue Hoffnung.
Apartheid-Opfer haben Anspruch auf Schadenersatz", sagt der Kapstädter Anwalt Charles Abrahams. "einen Anspruch gegenüber der heutigen Regierung als Rechtsnachfolger des Apartheid-Regimes; einen Anspruch vor allem aber gegenüber internationalen Unternehmen, die dem Regime wirtschaftliche wie militärische Infrastruktur für seine Verbrechen zur Verfügung gestellt hätten"
Viele Südafrikaner haben unter der Apartheid Folter, politische Attentate und Haft ohne Gerichtsverfahren erdulden müssen – Menschenrechtsverletzungen, die eindeutig internationalem Gewohnheitsrecht widersprechen und deshalb geächtet sind; ähnlich wie Sklaverei, Völkermord und militärische Aggression. – Wir sagen nun, dass das Apartheid-Regime gar nicht fähig gewesen wäre, so viele Menschen gefangen zu halten, zu foltern und zu ermorden – wenn nicht ausländische Industrieunternehmen und Banken dem Regime das dafür notwendige militärische Potential verschafft hätten. Damit jedoch sind diese Unternehmen – weil sie mit Geld, Technologie und Waffen den Verbrechern halfen – für deren Taten genauso verantwortlich wie die Verbrecher selbst. Wir Juristen nennen dies "sekundäre Verantwortlichkeit".
Sekundär verantwortlich für die Verbrechen der Apartheid sind nach Meinung des Anwalts eine ganze Reihe internationaler Unternehmen – Unternehmen mit ihrem Hauptsitz vor allem in den USA, Großbritannien, Deutschland und der Schweiz. Diese Unternehmen haben, nach Schätzungen, zwischen 1980 und 1993 40 Milliarden US-Dollar an Zinsen und Dividenden aus Südafrika transferiert – ein Indiz für satte Gewinne unter der Apartheid.
Banken wie "Deutsche Bank", "Dresdner Bank" und Commerzbank, wie "Credit Suisse" und UBS hätten, sagt Abrahams, das Regime finanziell über Wasser gehalten. Tatsächlich gewährten insbesondere deutsche Banken Kredite nicht nur an private Firmen, sondern auch an Südafrikas Regierung. Bei einer Umschuldungsaktion Mitte der 80er Jahre sollen sie das klamme Regime des Präsidenten Pieter Botha buchstäblich vor dem Bankrott bewahrt haben.
Im Visier hat der Opfer-Anwalt auch Industrieunternehmen wie Daimler-Chrysler oder AEG, die an Polizei und Militär der Apartheid-Regierung waffentaugliche Ausrüstung geliefert haben sollen. Die Schweizer Rüstungsschmiede "Oerlikon-Buehrle" soll zur Zeit eines UN-Waffenembargos gegen Südafrika, Geschütze geliefert haben – wofür Abrahams jetzt die Nachfolgefirma "Oerlikon-Contraves" und deren deutschen Mutterkonzern "Rheinmetall" zur Kasse bitten will.
Da trotz eindringlicher Appelle bislang kein Unternehmen zahlte, machen der Anwalt und seine Klientel juristisch mobil. Insgesamt 21.000 Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen hat die "Wahrheits- und Versöhnungskommission" unter Erzbischof Tutu identifiziert. Organisiert und in der Wahrnahme ihrer Rechte unterstützt werden sie vom Opferverband "Khulumani" und von "Jubilee South Africa", dem lokalen Zweig einer weltweiten Kampagne gegen die Verschuldung von Entwicklungsländern.
Eine Schadenersatzklage in Südafrika, meint Abrahams, wäre schwierig; es gibt allerlei rechtstechnische Probleme. Es bleibt die Klage in den USA – auf der Basis eines 200 Jahre alten Gesetzes, erklärt Michael Hausfeld, Abrahams' Partner in den USA.
Unser Kongress verabschiedete damals den sogenannten "Alien Tort Claims Act" – ein Gesetz, das der Welt signalisieren sollte: Die USA respektieren, als Teil der internationalen Gemeinschaft, die Rechte sowohl aller anderen Nationen als auch die aller Bürger anderer Nationen. Nach dem "Alien Tort Claims Act" können Ausländer vor US-Gerichten Klage wegen im Ausland begangener Verletzungen internationalen Gewohnheitsrechts erheben.
Ein weltweit einzigartiges Gesetz, nach dem in den USA theoretisch jeder Bürger dieser Erde jeden anderen wegen Verletzung internationalen Rechts verklagen kann. Vor dem "Internationalen Gerichtshof" in Den Haag dagegen können nur Staaten gegen Staaten prozessieren.
Der Washingtoner Michael Hausfeld ist Spezialist für große Schadenersatzklagen. Mal vertritt er ehemalige Zwangsarbeiter des Dritten Reiches, mal Ureinwohner Alaskas gegen Eigner des gestrandeten Tankers "Exxon Valdez", mal einfache Konsumenten gegenüber Herstellern genetisch manipulierter Lebensmittel. Stets geht es um Milliardenbeträge – oft im Rahmen von Sammelklagen; und immer mal wieder stiehlt dem als sorgfältig und penibel geltenden Hausfeld der quicke New Yorker Ed Fagan die Schau.
In Sachen Apartheid-Reparationen war Fagan zwar schneller, sagt Hausfeld; wichtiger jedoch sei eine gute Begründung der Klage – wo er sich im Vorteil sieht. Im Gegensatz zum New Yorker Konkurrenten, der südafrikanische Klienten per Zeitungsanzeige sucht, setzt Hausfeld auf eine Zusammenarbeit mit den Verbänden "Jubilee" und "Khulumani". Die vertreten auch Cathrin Mlangeni, Mutter des 1991 ermordeten Menschenrechtsanwalts Bheki Mlangeni.
In ihrem kleinen Häuschen deutet die zitternde Hand der alten Frau auf ein sorgsam gerahmtes Foto an der Wand: Bheki, lachend, mit seiner Frau und den drei Kindern. Nach seinem Tod brach die Schwiegertochter zusammen; aus den Kindern wurde nichts Rechtes.
Den Schadenersatz könnten wir sehr gut gebrauchen. Bhekis Kinder haben ja die Schule ohne Abschluss verlassen. Mit etwas Geld könnten sie den Abschluss nachholen und hätten bessere Chancen auf eine Berufsausbildung oder einen Job. – Außerdem will ich raus aus diesem Haus, in dem mein Sohn starb. Jeder Fleck an der Wand erinnert mich an das, was damals geschah; manchmal muss ich einfach davon rennen. Ja, ich würde sehr gern von hier wegziehen. Vielleicht können dann meine Wunden heilen.
Die beklagten Unternehmen reagieren bislang einsilbig auf die Vorwürfe und Forderungen, mit denen sie sich jetzt vor US-Gerichten konfrontiert sehen. Kein Unternehmensvertreter war zu einem Interview bereit; einige Banken schickten Stellungnahmen.
Die "Credit Suisse Group" hat sich jederzeit an alle relevanten Vorschriften und Gesetze sowie an die Richtlinien der Schweizer Regierung für die Geschäftstätigkeit mit Südafrika gehalten. Die "Credit Suisse Group" hat keine internationalen Sanktionen verletzt oder umgangen. Die Bank hat überdies während der Apartheid die schwarze Bevölkerung verschiedentlich unterstützt. So finanzierte sie ein Krankenhaus in Soweto, förderte technische Schulen und ermöglichte ein Treffen zwischen der Opposition und europäischen Journalisten.
Die Vorwürfe sind absurd. Die "Commerzbank" hat sich stets an die internationalen Sanktionen gegen die Apartheid-Regierung und alle verfügten Auflagen gehalten. Die Bank hat im wesentlichen kurzfristige Handelsfinanzierungen für die deutsche Exportwirtschaft sowie vereinzelt größere Infrastrukturprojekte – etwa Strom, Telekommunikation, Verkehr – finanziert; ausschließlich "unpolitische" Projekte, die zweifellos zur Verbesserung der Lebensqualität der breiten Bevölkerung beigetragen haben.
"Schön und gut", meint US-Anwalt Michael Hausfeld. "Aber..."
Beweisen Sie das. Beweisen Sie, dass Sie deshalb die Kredite gewährt haben." Geld ist schließlich überall einsetzbar; und jedermann wusste in den 70er, 80er und frühen 90er Jahren, dass Südafrikas Regierung in großen finanziellen Schwierigkeiten steckte. – Wurden also die Kredite tatsächlich für den offiziell genannten Zweck gewährt? Oder wurden sie in dem klaren Bewusstsein gewährt, dass Südafrikas Regierung das Geld dort einsetzen würde, wo sie dies als notwendig erachtete?
Letztlich allerdings müssen nicht die Unternehmen beweisen, dass sie recht gehandelt haben. Die Beweislast liegt bei Hausfeld, der fest daran glaubt, etlichen Konzernen rechtswidrige Komplizenschaft mit dem Apartheid-Regime nachweisen zu können. Der US-Anwalt und sein Kapstädter Kollege beschäftigen ein Heer von Juristen, Historikern und Finanzexperten, die die Hintergründe ausländischer Investitionen in Südafrika aufarbeiten.
Auf den Beistand der heutigen Regierung Südafrikas indes müssen vor US-Gerichten klagende Apartheid-Opfer verzichten – sagt Paul Setsetse, Sprecher des Justizministeriums.
Diese Bürger unseres Landes handeln ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Privatpersonen; und wir werden sie selbstverständlich nicht behindern. Zugleich aber möchte ich kategorisch klarstellen, dass unsere Regierung sich nicht an derlei Klagen beteiligen wird. – Diese Regierung unterhält beste Beziehungen zu vielen Ländern; Bürger dieser Länder helfen uns, das Erbe der Apartheid zu bewältigen; sie helfen uns, der so lange unterdrückten Mehrheit der Südafrikaner ihre Würde zurückzugeben. – Wir würden dieser Zusammenarbeit schweren Schaden zufügen, wenn wir plötzlich begännen, gegen ausländische Investoren und deren Regierungen zu prozessieren. Dies läge auch absolut nicht im Interesse unserer Regierung, Südafrika attraktiv für Investoren zu machen und, nach dem Ende der Apartheid, gute Beziehungen zu Regierungen in aller Welt aufzubauen.
Dessen ungeachtet schuldet auch die Regierung – als Rechtsnachfolger des alten Regimes – den Opfern der Apartheid Schadenersatz. 21.000 anerkannte Opfer haben bislang eine Soforthilfe von durchschnittlich 2.500 Rand, 250 Euro, erhalten; die "Wahrheits- und Versöhnungskommission" unter Bischof Tutu hat eine Zahlung von mindestens 40.000 Rand pro betroffener Familie vorgeschlagen; die Regierung indes verweist auf chronisch leere Kassen – derweil schwerstbetroffene Opfer wie Abel Satekhe weiter leiden, ohne jede Hilfe.
Ich habe Krämpfe und schlimme Schmerzen an Bauch, Hüfte und Knien. Nachts kann ich oft nicht schlafen; und ich habe keine Schmerzmittel, nichts. – Früher hat mich "Khulumani" zu einem Dr. Bela geschickt; aber der lebt jetzt in Pretoria.
Lebohang Molete, der – namens des Opferverbandes "Khulumani" – Abel betreut, ist empört über die Gleichgültigkeit der ANC-Regierung.
Leider kümmert sich unser Gesundheitswesen so gut wie gar nicht um Opfer der Apartheid, die infolge erlittener Misshandlungen weiter ärztlicher Hilfe bedürfen. Wir von "Khulumani" haben versucht, diese Menschen an kompetente Institutionen zu vermitteln – bislang ohne Erfolg. Deshalb haben wir beschlossen, einen neuen Weg zu beschreiten.
"Khulumani" hat nun, in Südafrika, Klage gegen die Regierung eingereicht. Präsident Thabo Mbeki soll gezwungen werden, zumindest elementare Pflichten gegenüber Opfern seiner Rechtsvorgänger wahrzunehmen.
In Jabulani, einem besonders armen Viertel von Soweto, lebt der alte Kämpfer Michael Mbele – hochgewachsen, in Schlips und Kragen, mit aller Kraft Haltung bewahrend. Michael zählt zu den Anti-Apartheid-Aktivisten der ersten Stunde. 1955, als die "Freiheitscharta" verabschiedet wurde, trug der damals 12jährige Plakate; 1968 wurde er verhaftet und saß fünf Jahre lang auf Robben Island – als Zellennachbar Nelson Mandelas.
Er war ein Gentleman; und er lehrte uns, dass ein leichter Weg zur Freiheit nicht existiert. Wir müssen kämpfen. – Und bevor wir Robben Island verließen, legten wir einen Eid ab: Niemals wollten wir zurückweichen oder gar aufgeben. – Die meisten politischen Gefangenen geben auf, wenn sie wieder in Freiheit sind. Die Schergen des Systems haben ihnen eine Gehirnwäsche verpasst: "Hör auf damit; es bringt ja doch nichts." – Wir aber schworen einander: "Kein Zurückweichen. Keine Kapitulation. Wir werden nicht aufgeben.
Nach den Jahren auf Robben Island kämpfte Michael Mbele weiter, wurde wieder verhaftet, halb taub geprügelt, avancierte zum Vorsitzenden der Druckereigewerkschaft im Verband COSATU.
1986 verlor Mbele seinen Job in einer Druckerei; er bekam nie wieder einen, weil jeder wußte, dass er politisch aktiv war. – Der alte Mann entschuldigt sich für seine – seit einem Schlaganfall vor zwei Jahren – etwas schleppende Sprache; dann beklagt er bitter, dass er seinen Kindern keine ordentliche Ausbildung finanzieren konnte. Nichts sei aus ihnen geworden; Schadenersatz von internationalen Unternehmen werde das auch nicht ändern.
Schweigend hört Michaels Sohn Sipo zu – 24 Jahre alt, Rasta-Locken, eine Flasche Bier in der Hand. – Er sei ein Kind des ANC, sagt Sipo dann und bezeichnet sein Elternhaus als Guerilla-Camp – wo Aktivisten Zuflucht fanden, wo sie Flublätter schrieben und von der Freiheit träumten. Irgendwann kam die so genannte Freiheit; und vor zwei Monaten wurde Sipo, als er für Apartheid-Reparationen demonstrierte, von Polizisten der ANC-Regierung verprügelt.
Es waren unsere Genossen – Leute, die in diesem Haus aufgewachsen sind. Und jetzt schlagen sie uns, weil wir für unsere Rechte kämpfen. – Ist das Freiheit? – Nein. Es ist nur eine Imitation von Freiheit. – Wir sind Kommunisten. Wir halten die so genannte Demokratie für nichts als eine andere Form des Kapitalismus. "Die Schwarzen sind dumm", sagen sich die Weißen. "Lassen wir ihnen formal die politische Macht. Das ist okay, solange wir an den wirtschaftlichen Schalthebeln sitzen." – All das, sage ich Ihnen, führt zum Terrorismus. Denn wir sind wütend. Wir wissen nicht, was wir tun sollen – außer mit aller Gewalt loszuschlagen. – Ja, Thabo Mbeki ist unser Präsident; aber er weiß nicht, wie es um uns steht. Wie auch? Er ist ja nicht in unseren Townships zur Schule gegangen. Thabo Mbeki hat an guten Schulen im Ausland gelernt. Und heute ist er unser Präsident.
Mitte November hat nun Fagans Washingtoner Kollege Michael Hausfeld nachgezogen. Im Namen von gleich 20.000 Apartheid-Opfern fordert er Schadenersatz von 19 internationalen Konzernen, die zur Zeit der Apartheid in Südafrika tätig waren. Hausfeld behauptet, diese Unternehmen, unter ihnen sieben deutsche, hätten als Komplizen dem Apartheid-Regime geholfen, seine Verbrechen zu verüben – Verbrechen, die die UNO 1973 als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" brandmarkte.
In Soweto bei Johannesburg springt von der Apartheid mitverursachte Armut der Schwarzen Südafrikas bis heute ins Auge. Da und dort stehen zwar Hochhäuser und Villen; der größte Teil der Township ist elektrifiziert, die Wüste überfüllter schachtelähnlicher Häuschen mit angebauten Bretterverschlägen jedoch hat sich rapide ausgedehnt; ihr Wuchern dokumentiert, dass die meisten Schwarzen bis heute so arm sind, wie sie es unter der Apartheid waren. 40 Prozent Arbeitslosigkeit herrschen, unter Jugendlichen bis zu 80 Prozent.
In der Hoffnung auf ein besseres Leben bekämpften seinerzeit tausende Schwarze das Apartheid-Regime. Viele litten, Mütter verloren ihre Kinder. Cathrin Mlangeni zum Beispiel, deren Sohn Bheki als Menschenrechtsanwalt arbeitete.
Es geschah am 15. Februar 1991 – in diesem Zimmer. Mein Sohn Bheki hatte ein Päckchen bekommen, das eine Audio-Kassette enthielt – mit der Aufschrift "Polizeibeweise". Als er das Band abzuhören begann, explodierte es. Die Explosion war so stark, dass mein Sohn in Stücke gerissen wurde. – Später stellte sich heraus, dass die Kassette von Eugene de Kock stammte. De Kock war damals Leiter des "Civil Corporation Bureau" – einer Undercover-Einheit der Polizei.
Ein gepflegtes, wenngleich verwohntes Häuschen mit rosa gekacheltem Boden; gestickte Deckchen, Porzellan-Nippes; eine alte Frau, die Halt sucht an den Armstützen ihres abgeschabten Sessels; ein scheuer, fast ängstlicher Blick, der keinen Zorn ausdrücken kann.
Zwei Straßen weiter ein junger Mann im verrosteten Rollstuhl. 1991 engagierte sich der damals 14-jährige Abel Satekhe in "Straßenkomitees". Abels Feind waren so genannte "vigilantes" – in Wohnheimen lebende schwarze Bergarbeiter, die sich von der Apartheid-Polizei benutzen ließen.
Ich wurde am 3. Mai 1991 zum Krüppel geschossen. Nicht weit vom Haus meiner Eltern hatte ich mich mit einigen Freunden getroffen, und mit ihnen durchstreifte ich die Straßen, um sicherzustellen, dass keine "vigilantes" in unser Wohnviertel eindrangen. – Nach vielleicht einer Stunde kam dann dann eine Gruppe junger Männer auf uns zu, denen wir zunächst nicht ansahen, dass sie "vigilantes" waren. Plötzlich aber zogen sie Pistolen und schossen wie von Sinnen auf uns. Allein ich bekam 13 Kugeln ab.
Seit jenem 3. Mai ist Abel gelähmt – vom elften Wirbel abwärts. Immerhin kann er seine Beine bewegen und könnte nach Meinung einiger Ärzte sogar das Laufen wieder lernen. Die dafür erforderliche Behandlung jedoch ist unerschwinglich teuer.
Abel’s Häuschen: eine Betonhütte unter einem Dach aus Asbest, ohne Bad; Stühle und Tisch aus verblichenem Plastik; Matratzen, Kissen und Decken verteilt auf dem zerrissenen Linoleumboden.
Ich habe wirklich zu kämpfen. Mit meiner Familie lebe ich von gerade 620 Rand, 60 Euro, Behindertenhilfe im Monat. Vor kurzem starb auch noch meine Tochter; und ich musste Geld für die Beerdigung zusammenkratzen. – Ja, es ist ein ständiger Kampf um’s Überleben; und Arbeit finde ich nicht.
Abel Satekhe und Cathrin Mlangeni – Opfer der Apartheid. Tausende wie sie vegetieren arbeitsunfähig dahin, trauern um ermordete oder verschwundene Angehörige, versuchen Traumata von Folter und jahrelanger Haft ohne Gerichtsverfahren allein zu bewältigen. Hunderttausende leben in ödem Niemandsland – weil sie nicht zurück können in Häuser, aus denen sie das alte Regime hinauswarf. – Bei manchen dieser Opfer keimt jetzt neue Hoffnung.
Apartheid-Opfer haben Anspruch auf Schadenersatz", sagt der Kapstädter Anwalt Charles Abrahams. "einen Anspruch gegenüber der heutigen Regierung als Rechtsnachfolger des Apartheid-Regimes; einen Anspruch vor allem aber gegenüber internationalen Unternehmen, die dem Regime wirtschaftliche wie militärische Infrastruktur für seine Verbrechen zur Verfügung gestellt hätten"
Viele Südafrikaner haben unter der Apartheid Folter, politische Attentate und Haft ohne Gerichtsverfahren erdulden müssen – Menschenrechtsverletzungen, die eindeutig internationalem Gewohnheitsrecht widersprechen und deshalb geächtet sind; ähnlich wie Sklaverei, Völkermord und militärische Aggression. – Wir sagen nun, dass das Apartheid-Regime gar nicht fähig gewesen wäre, so viele Menschen gefangen zu halten, zu foltern und zu ermorden – wenn nicht ausländische Industrieunternehmen und Banken dem Regime das dafür notwendige militärische Potential verschafft hätten. Damit jedoch sind diese Unternehmen – weil sie mit Geld, Technologie und Waffen den Verbrechern halfen – für deren Taten genauso verantwortlich wie die Verbrecher selbst. Wir Juristen nennen dies "sekundäre Verantwortlichkeit".
Sekundär verantwortlich für die Verbrechen der Apartheid sind nach Meinung des Anwalts eine ganze Reihe internationaler Unternehmen – Unternehmen mit ihrem Hauptsitz vor allem in den USA, Großbritannien, Deutschland und der Schweiz. Diese Unternehmen haben, nach Schätzungen, zwischen 1980 und 1993 40 Milliarden US-Dollar an Zinsen und Dividenden aus Südafrika transferiert – ein Indiz für satte Gewinne unter der Apartheid.
Banken wie "Deutsche Bank", "Dresdner Bank" und Commerzbank, wie "Credit Suisse" und UBS hätten, sagt Abrahams, das Regime finanziell über Wasser gehalten. Tatsächlich gewährten insbesondere deutsche Banken Kredite nicht nur an private Firmen, sondern auch an Südafrikas Regierung. Bei einer Umschuldungsaktion Mitte der 80er Jahre sollen sie das klamme Regime des Präsidenten Pieter Botha buchstäblich vor dem Bankrott bewahrt haben.
Im Visier hat der Opfer-Anwalt auch Industrieunternehmen wie Daimler-Chrysler oder AEG, die an Polizei und Militär der Apartheid-Regierung waffentaugliche Ausrüstung geliefert haben sollen. Die Schweizer Rüstungsschmiede "Oerlikon-Buehrle" soll zur Zeit eines UN-Waffenembargos gegen Südafrika, Geschütze geliefert haben – wofür Abrahams jetzt die Nachfolgefirma "Oerlikon-Contraves" und deren deutschen Mutterkonzern "Rheinmetall" zur Kasse bitten will.
Da trotz eindringlicher Appelle bislang kein Unternehmen zahlte, machen der Anwalt und seine Klientel juristisch mobil. Insgesamt 21.000 Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen hat die "Wahrheits- und Versöhnungskommission" unter Erzbischof Tutu identifiziert. Organisiert und in der Wahrnahme ihrer Rechte unterstützt werden sie vom Opferverband "Khulumani" und von "Jubilee South Africa", dem lokalen Zweig einer weltweiten Kampagne gegen die Verschuldung von Entwicklungsländern.
Eine Schadenersatzklage in Südafrika, meint Abrahams, wäre schwierig; es gibt allerlei rechtstechnische Probleme. Es bleibt die Klage in den USA – auf der Basis eines 200 Jahre alten Gesetzes, erklärt Michael Hausfeld, Abrahams' Partner in den USA.
Unser Kongress verabschiedete damals den sogenannten "Alien Tort Claims Act" – ein Gesetz, das der Welt signalisieren sollte: Die USA respektieren, als Teil der internationalen Gemeinschaft, die Rechte sowohl aller anderen Nationen als auch die aller Bürger anderer Nationen. Nach dem "Alien Tort Claims Act" können Ausländer vor US-Gerichten Klage wegen im Ausland begangener Verletzungen internationalen Gewohnheitsrechts erheben.
Ein weltweit einzigartiges Gesetz, nach dem in den USA theoretisch jeder Bürger dieser Erde jeden anderen wegen Verletzung internationalen Rechts verklagen kann. Vor dem "Internationalen Gerichtshof" in Den Haag dagegen können nur Staaten gegen Staaten prozessieren.
Der Washingtoner Michael Hausfeld ist Spezialist für große Schadenersatzklagen. Mal vertritt er ehemalige Zwangsarbeiter des Dritten Reiches, mal Ureinwohner Alaskas gegen Eigner des gestrandeten Tankers "Exxon Valdez", mal einfache Konsumenten gegenüber Herstellern genetisch manipulierter Lebensmittel. Stets geht es um Milliardenbeträge – oft im Rahmen von Sammelklagen; und immer mal wieder stiehlt dem als sorgfältig und penibel geltenden Hausfeld der quicke New Yorker Ed Fagan die Schau.
In Sachen Apartheid-Reparationen war Fagan zwar schneller, sagt Hausfeld; wichtiger jedoch sei eine gute Begründung der Klage – wo er sich im Vorteil sieht. Im Gegensatz zum New Yorker Konkurrenten, der südafrikanische Klienten per Zeitungsanzeige sucht, setzt Hausfeld auf eine Zusammenarbeit mit den Verbänden "Jubilee" und "Khulumani". Die vertreten auch Cathrin Mlangeni, Mutter des 1991 ermordeten Menschenrechtsanwalts Bheki Mlangeni.
In ihrem kleinen Häuschen deutet die zitternde Hand der alten Frau auf ein sorgsam gerahmtes Foto an der Wand: Bheki, lachend, mit seiner Frau und den drei Kindern. Nach seinem Tod brach die Schwiegertochter zusammen; aus den Kindern wurde nichts Rechtes.
Den Schadenersatz könnten wir sehr gut gebrauchen. Bhekis Kinder haben ja die Schule ohne Abschluss verlassen. Mit etwas Geld könnten sie den Abschluss nachholen und hätten bessere Chancen auf eine Berufsausbildung oder einen Job. – Außerdem will ich raus aus diesem Haus, in dem mein Sohn starb. Jeder Fleck an der Wand erinnert mich an das, was damals geschah; manchmal muss ich einfach davon rennen. Ja, ich würde sehr gern von hier wegziehen. Vielleicht können dann meine Wunden heilen.
Die beklagten Unternehmen reagieren bislang einsilbig auf die Vorwürfe und Forderungen, mit denen sie sich jetzt vor US-Gerichten konfrontiert sehen. Kein Unternehmensvertreter war zu einem Interview bereit; einige Banken schickten Stellungnahmen.
Die "Credit Suisse Group" hat sich jederzeit an alle relevanten Vorschriften und Gesetze sowie an die Richtlinien der Schweizer Regierung für die Geschäftstätigkeit mit Südafrika gehalten. Die "Credit Suisse Group" hat keine internationalen Sanktionen verletzt oder umgangen. Die Bank hat überdies während der Apartheid die schwarze Bevölkerung verschiedentlich unterstützt. So finanzierte sie ein Krankenhaus in Soweto, förderte technische Schulen und ermöglichte ein Treffen zwischen der Opposition und europäischen Journalisten.
Die Vorwürfe sind absurd. Die "Commerzbank" hat sich stets an die internationalen Sanktionen gegen die Apartheid-Regierung und alle verfügten Auflagen gehalten. Die Bank hat im wesentlichen kurzfristige Handelsfinanzierungen für die deutsche Exportwirtschaft sowie vereinzelt größere Infrastrukturprojekte – etwa Strom, Telekommunikation, Verkehr – finanziert; ausschließlich "unpolitische" Projekte, die zweifellos zur Verbesserung der Lebensqualität der breiten Bevölkerung beigetragen haben.
"Schön und gut", meint US-Anwalt Michael Hausfeld. "Aber..."
Beweisen Sie das. Beweisen Sie, dass Sie deshalb die Kredite gewährt haben." Geld ist schließlich überall einsetzbar; und jedermann wusste in den 70er, 80er und frühen 90er Jahren, dass Südafrikas Regierung in großen finanziellen Schwierigkeiten steckte. – Wurden also die Kredite tatsächlich für den offiziell genannten Zweck gewährt? Oder wurden sie in dem klaren Bewusstsein gewährt, dass Südafrikas Regierung das Geld dort einsetzen würde, wo sie dies als notwendig erachtete?
Letztlich allerdings müssen nicht die Unternehmen beweisen, dass sie recht gehandelt haben. Die Beweislast liegt bei Hausfeld, der fest daran glaubt, etlichen Konzernen rechtswidrige Komplizenschaft mit dem Apartheid-Regime nachweisen zu können. Der US-Anwalt und sein Kapstädter Kollege beschäftigen ein Heer von Juristen, Historikern und Finanzexperten, die die Hintergründe ausländischer Investitionen in Südafrika aufarbeiten.
Auf den Beistand der heutigen Regierung Südafrikas indes müssen vor US-Gerichten klagende Apartheid-Opfer verzichten – sagt Paul Setsetse, Sprecher des Justizministeriums.
Diese Bürger unseres Landes handeln ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Privatpersonen; und wir werden sie selbstverständlich nicht behindern. Zugleich aber möchte ich kategorisch klarstellen, dass unsere Regierung sich nicht an derlei Klagen beteiligen wird. – Diese Regierung unterhält beste Beziehungen zu vielen Ländern; Bürger dieser Länder helfen uns, das Erbe der Apartheid zu bewältigen; sie helfen uns, der so lange unterdrückten Mehrheit der Südafrikaner ihre Würde zurückzugeben. – Wir würden dieser Zusammenarbeit schweren Schaden zufügen, wenn wir plötzlich begännen, gegen ausländische Investoren und deren Regierungen zu prozessieren. Dies läge auch absolut nicht im Interesse unserer Regierung, Südafrika attraktiv für Investoren zu machen und, nach dem Ende der Apartheid, gute Beziehungen zu Regierungen in aller Welt aufzubauen.
Dessen ungeachtet schuldet auch die Regierung – als Rechtsnachfolger des alten Regimes – den Opfern der Apartheid Schadenersatz. 21.000 anerkannte Opfer haben bislang eine Soforthilfe von durchschnittlich 2.500 Rand, 250 Euro, erhalten; die "Wahrheits- und Versöhnungskommission" unter Bischof Tutu hat eine Zahlung von mindestens 40.000 Rand pro betroffener Familie vorgeschlagen; die Regierung indes verweist auf chronisch leere Kassen – derweil schwerstbetroffene Opfer wie Abel Satekhe weiter leiden, ohne jede Hilfe.
Ich habe Krämpfe und schlimme Schmerzen an Bauch, Hüfte und Knien. Nachts kann ich oft nicht schlafen; und ich habe keine Schmerzmittel, nichts. – Früher hat mich "Khulumani" zu einem Dr. Bela geschickt; aber der lebt jetzt in Pretoria.
Lebohang Molete, der – namens des Opferverbandes "Khulumani" – Abel betreut, ist empört über die Gleichgültigkeit der ANC-Regierung.
Leider kümmert sich unser Gesundheitswesen so gut wie gar nicht um Opfer der Apartheid, die infolge erlittener Misshandlungen weiter ärztlicher Hilfe bedürfen. Wir von "Khulumani" haben versucht, diese Menschen an kompetente Institutionen zu vermitteln – bislang ohne Erfolg. Deshalb haben wir beschlossen, einen neuen Weg zu beschreiten.
"Khulumani" hat nun, in Südafrika, Klage gegen die Regierung eingereicht. Präsident Thabo Mbeki soll gezwungen werden, zumindest elementare Pflichten gegenüber Opfern seiner Rechtsvorgänger wahrzunehmen.
In Jabulani, einem besonders armen Viertel von Soweto, lebt der alte Kämpfer Michael Mbele – hochgewachsen, in Schlips und Kragen, mit aller Kraft Haltung bewahrend. Michael zählt zu den Anti-Apartheid-Aktivisten der ersten Stunde. 1955, als die "Freiheitscharta" verabschiedet wurde, trug der damals 12jährige Plakate; 1968 wurde er verhaftet und saß fünf Jahre lang auf Robben Island – als Zellennachbar Nelson Mandelas.
Er war ein Gentleman; und er lehrte uns, dass ein leichter Weg zur Freiheit nicht existiert. Wir müssen kämpfen. – Und bevor wir Robben Island verließen, legten wir einen Eid ab: Niemals wollten wir zurückweichen oder gar aufgeben. – Die meisten politischen Gefangenen geben auf, wenn sie wieder in Freiheit sind. Die Schergen des Systems haben ihnen eine Gehirnwäsche verpasst: "Hör auf damit; es bringt ja doch nichts." – Wir aber schworen einander: "Kein Zurückweichen. Keine Kapitulation. Wir werden nicht aufgeben.
Nach den Jahren auf Robben Island kämpfte Michael Mbele weiter, wurde wieder verhaftet, halb taub geprügelt, avancierte zum Vorsitzenden der Druckereigewerkschaft im Verband COSATU.
1986 verlor Mbele seinen Job in einer Druckerei; er bekam nie wieder einen, weil jeder wußte, dass er politisch aktiv war. – Der alte Mann entschuldigt sich für seine – seit einem Schlaganfall vor zwei Jahren – etwas schleppende Sprache; dann beklagt er bitter, dass er seinen Kindern keine ordentliche Ausbildung finanzieren konnte. Nichts sei aus ihnen geworden; Schadenersatz von internationalen Unternehmen werde das auch nicht ändern.
Schweigend hört Michaels Sohn Sipo zu – 24 Jahre alt, Rasta-Locken, eine Flasche Bier in der Hand. – Er sei ein Kind des ANC, sagt Sipo dann und bezeichnet sein Elternhaus als Guerilla-Camp – wo Aktivisten Zuflucht fanden, wo sie Flublätter schrieben und von der Freiheit träumten. Irgendwann kam die so genannte Freiheit; und vor zwei Monaten wurde Sipo, als er für Apartheid-Reparationen demonstrierte, von Polizisten der ANC-Regierung verprügelt.
Es waren unsere Genossen – Leute, die in diesem Haus aufgewachsen sind. Und jetzt schlagen sie uns, weil wir für unsere Rechte kämpfen. – Ist das Freiheit? – Nein. Es ist nur eine Imitation von Freiheit. – Wir sind Kommunisten. Wir halten die so genannte Demokratie für nichts als eine andere Form des Kapitalismus. "Die Schwarzen sind dumm", sagen sich die Weißen. "Lassen wir ihnen formal die politische Macht. Das ist okay, solange wir an den wirtschaftlichen Schalthebeln sitzen." – All das, sage ich Ihnen, führt zum Terrorismus. Denn wir sind wütend. Wir wissen nicht, was wir tun sollen – außer mit aller Gewalt loszuschlagen. – Ja, Thabo Mbeki ist unser Präsident; aber er weiß nicht, wie es um uns steht. Wie auch? Er ist ja nicht in unseren Townships zur Schule gegangen. Thabo Mbeki hat an guten Schulen im Ausland gelernt. Und heute ist er unser Präsident.