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"Ich war nie Avantgardist!"

Dem tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů ist die Arbeit leicht von der Hand gegangen: Von ihm heißt es, er habe schnell und flüssig geschrieben. Er war ungeheuer produktiv und scheint sich nicht mit Schreibblockaden und Kreativitätstiefs herumgequält zu haben. Das heißt aber nicht, dass er Fließbandarbeit abgeliefert hätte, sondern geistreiche, kurzweilige Musik, die von allem ein bisschen hat: ein wenig Jazz, ein bisschen böhmische Folklore, ein Hauch Neoklassizismus, eine Portion Impressionismus.

Von Maja Ellmenreich |
    Verständlich, dass das Ensemble Villa Musica großen Gefallen an dieser Musik findet. Gerade hat es bei Dabringhaus und Grimm seine zweite CD mit Kammermusik von Bohuslav Martinů vorgelegt, die ich Ihnen ausdrücklich empfehlen möchte.

    " Musikbeispiel: Bohuslav Martinů: Finale aus Sextett für Flöte, Oboe, Klarinette, 2 Fagotte und Klavier "

    Zwei Minuten und 41 Sekunden nur dauert das Finale aus Bohuslav Martinůs Sextett für Flöte, Oboe, Klarinette, zwei Fagotte und Klavier. Zwei Minuten und 41 Sekunden reichen aber schon aus, um die Grundelemente von Martinůs Musik kennen zu lernen: Da ist zum einen ein Thema mit hohem Wiedererkennungswert - das geht ins Ohr, ganz besonders in diesem Fall, da es sich um eine Fuge handelt. Zum anderen ist da der Rhythmus, bei Martinů stets präsent, wird man ihn schwer wieder los. Und das alles in einer überschaubaren, klar definierten Form. Die Abschnitte sind deutlich voneinander getrennt: Eine solistische, lyrische Passage folgt auf kraftvolles Ensemblespiel; mal mischen sich die Klangfarben der Instrumente, dann kombiniert Martinů sie so, dass jede Eigenart deutlich zu erkennen bleibt.

    Drei Zutaten - eingängiges Thema, deutlicher Rhythmus und klare Form - das klingt nach einem Patentrezept, nach Schema F, das mit Kreativität nicht viel zu tun haben kann. Das Faszinierende an Bohuslav Martinů aber ist, dass er es verstand, das Schlichte, das Erkennbare mit dem Komplexen, dem Vielschichtigen zu verbinden.

    Wie in seiner "Revue de Cuisine" aus dem Jahr 1927, die das Ensemble Villa Musica an den Anfang seiner neuen CD gestellt hat.

    " Musikbeispiel: Bohuslav Martinů: Charleston aus La Revue de Cuisine für Klarinette, Fagott, Trompete, Violine, Violoncello und Klavier "

    Wie der Griff in eine reich gefüllte Wundertüte erscheint einem die erste Begegnung mit der Musik von Bohuslav Martinů, der stets mit dem Satz zitiert wird: "Ich war nie Avantgardist!"

    Der bloße Fortschritt - das war wirklich nicht das Ziel von Bohuslav Martinů, der zu Lebzeiten weitaus bekannter war als heutzutage. 1890 im tschechischen Policka geboren, wollte er zunächst Musiklehrer werden; vom Kompositionsstudium in Prag wurde er wegen "unverbesserlicher Nachlässigkeit" suspendiert und verzichtete fortan auf eine akademische Ausbildung. Größere Freiheit, mehr Inspiration versprach sich Bohuslav Martinů von Paris, wohin er 1923 umzog. Bei Albert Roussel nahm er Unterricht, und welche Musik auch immer ihm zu Ohren kam, Martinů nahm sie ganz bewusst wahr, ahmte aber nie nach, sondern war auf der Suche nach einem eigenen Stil, einer eigenen Musiksprache. Er ließ Einflüsse zu, erlag aber nicht dem Anspruch, in der ersten Reihe der Avantgarde mitzukämpfen, sondern schrieb fassliche, nachvollziehbare Musik. Und das machte Bohuslav Martinů in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem überaus gefragten und beliebten Komponisten.

    Seine musikalisch-freundschaftlichen Kontakte halfen ihm auch, in den USA Fuß zu fassen, wohin er nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten geflohen war und lange Jahre bleiben sollte. Doch zog es ihn schließlich zurück nach Europa: Frankreich, Italien und die Schweiz sollten in den 50ern die Stationen seiner letzten Lebensjahre sein.

    Über dieses ereignisreiche Leben spannt das Ensemble Villa Musica mit seiner neuen CD einen gekonnte Bogen: Vier Kompositionen für verschiedene kammermusikalische Besetzungen finden sich auf der neuen Platte des Labels Dabringhaus und Grimm: Angefangen bei der keck-launigen "Revue de Cuisine", einer Art Jazzsuite aus Martinůs frühen Pariser Jahren, bis hin zu einem Nonett, das 1959 nur wenige Monate vor seinem Tod entstand.

    " Musikbeispiel: Bohuslav Martinů: Allegretto aus Nonett für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass (Ausschnitt) "

    Um dieses Nonett von Bohuslav Martinů aufführen zu können, benötigt man eine Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Violine, Viola, Violoncello und einen Kontrabass. Nach genau solch einem Ensemble wird man lange suchen müssen und dann mit großer Wahrscheinlichkeit beim Ensemble Villa Musica landen, für das quasi keine Instrumentenkombination unmachbar ist - und sei sie noch so außergewöhnlich. Das Ensemble Villa Musica ist eine Art Multifunktionsklangkörper, der sich allen erdenklichen Anforderungen anpassen lässt.

    Den Kern bildet ein gutes Dutzend hervorragender Instrumentalisten, die einst in den führenden deutschen Orchestern Solo-Stellen innehatten, sich heute mehrheitlich aber der Nachwuchsförderung und der Kammermusik widmen. Zur Stammbesetzungen gehören etwa der Oboist Ingo Goritzki, der Cellist Martin Ostertag, der Fagottist Klaus Thunemann und der Pianist Kalle Randalu. Alle Orchesterinstrumente inklusive Klavier hat das Ensemble Villa Musica zu bieten, und was nicht oder nicht im geforderten Umfang vorhanden ist, wird für einzelne Projekte hinzugebeten. Diese außerordentliche Flexibilität gepaart mit technischer Perfektion und musikalischem Feingefühl - das alles zusammengenommen macht das Ensemble Villa Musica zu einem wahren Glücksfall für die deutsche Kammermusiklandschaft.

    Weit über 30 CDs dokumentieren das Schaffen des Ensemble Villa Musica: Die Kammermusik von Paul Hindemith und Mozarts Quintette bilden zwei Schwerpunkte. Dass das Ensemble jetzt bereits die zweite Martinů-CD vorlegt, lässt auf weitere hoffen. Am Repertoire mangelt es schließlich nicht: Bohuslav Martinů hat gut 90 kammermusikalische Kompositionen hinterlassen, da gibt es noch einiges zu entdecken. Und zwar am liebsten von und mit dem Ensemble Villa Musica, denn seine Mitglieder bringen genau das Können mit, das die Kammermusik von Bohuslav Martinů verlangt: Solistische Präsenz und Brillanz auf der einen Seite und auf der anderen die Fähigkeit, seinen Platz im Ensembletutti einzunehmen, sich unterzuordnen und zum einheitlichen Wohlklang beizutragen. Die Vorfreude gilt, nachdem gerade mal die zweite CD erschienen ist, schon jetzt der Nummer 3 mit Kammermusik von Bohuslav Martinů.

    " Musikbeispiel: Bohuslav Martinů: Final. Tempo di marcia aus La Revue de Cuisine für Klarinette, Fagott, Trompete, Violine, Violoncello und Klavier "

    Das Ensemble Villa Musica spielt auf seiner jüngsten CD Kammermusik von Bohuslav Martinů: Die Jazzsuite "La Revue de Cuisine", das Sextett von 1929, vier Madrigale für Bläsertrio und ein Nonett aus dem Jahr 1959.
    Diese ‚Neue Platte' ist bei Dabringhaus und Grimm erschienen.

    Diskographie
    Titel: Kammermusik von Bohuslav Martinů
    Ensemble: Villa Musica
    Label: MDG
    Labelcode: LC 06768
    Bestell-Nr.: 304 1439-2