Archiv


"Ich weiß gar nicht, um was es da geht"

Ob es eine gute Entscheidung war, die luxemburgische Bevölkerung über die Europäische Verfassung entscheiden zu lassen, wird sich in vier Wochen zeigen. Das Referendum wurde von der Politik im sicheren Glauben angesetzt, dass die Bürger schon das Richtige tun werden, also mit ja stimmen. Doch daran gibt es inzwischen berechtigte Zweifel. Tonia Koch berichtet aus dem Großherzogtum.

    Letzten Umfragen zufolge bekommt das Lager der Nein-Sager zur Europäischen Verfassung in Luxemburg immer mehr Zulauf. Und 16 Prozent wissen noch nicht so recht, wie sie sich in knapp vier Wochen bei der Volksabstimmung entscheiden werden. Die Luxemburger, ansonsten überzeugte Europäer mit Vorzeigecharakter, sind verunsichert:

    "Ich finde, als Vorreiter von Europa ist es wichtig, wenn Luxemburg mit ja antworten würde.

    Man muss nein stimmen, es kommen viele Arme dazu. Man weiß nicht, für wen diese Verfassung vorteilhaft ist.

    Für mich nein, es geht mir zu schnell.

    Ich werde für Europa, für den Vertrag stimmen.

    Ich weiß gar nicht, um was es da geht, ich weiß noch gar nicht, was darin steht. Ich weiß deshalb auch nicht, was ich wählen werde."

    Die hohe Zahl an Unentschlossenen mobilisiert Gegner wie Befürworter der EU-Verfassung gleichermaßen. Lange Zeit hielten es weder die Wirtschaft noch die politischen Kräfte im Land für erforderlich, mit der Bevölkerung in einen Dialog über die Inhalte der Verfassung einzutreten. Doch die Voten bei den Nachbarn in Frankreich und den Niederlanden haben in Luxemburg die Alarmglocken schrillen lassen. Auch im Parlament ist die Verunsicherung spürbar. Wenngleich die Vertreter der großen Parteien, Christsoziale, Sozialisten und Grüne nach wie vor daran glauben, dass sich die luxemburgische Bevölkerung für die EU-Verfassung ausspricht.

    Parlamentarier: "Wir sehen nicht gut aus im Moment, aber ich denke, es müsste doch so sein, dass sich die Luxemburger erinnern, dass sie als kleines Land viele Vorteile haben. Wir exportieren 90 Prozent unserer Produkte, die wir hier herstellen. 75 Prozent davon gehen in die EU. Luxemburg wäre nichts wert, wenn wir das nicht hätten.
    Ich denke, die Luxemburger wissen, dass es als kleines Land etwas anderes ist, nein zu sagen, als großes Land. Ich habe Angst, wenn wir als Luxemburger nein, sagen, dass wir dann nur noch eine Fußnote in der europäischen Geschichte sind.

    Wenn jetzt nein gestimmt wird in Luxemburg, dann verlieren wir unser hohes Ansehen und dann wird Luxemburg den Status verlieren, als Vermittler aufzutreten, wie das heute möglich ist."

    Für das kleine Land steht viel auf dem Spiel. Die Parlamentarier wissen um diese Verantwortung. Deshalb ist Ende des Monats, wenn das Parlament in erster Lesung über die europäische Verfassung abstimmt, mit einer satten Mehrheit dafür zu rechnen. Spät hat sich die politische Klasse in Luxemburg darauf besonnen, den Menschen die Vorteile des Vertragswerkes näher zu bringen. Ben Fayot, sozialistischer Abgeordneter und Mitglied des Verfassungskonvents:

    "Ein Mehrwert ist zum Beispiel, dass das europäische Gesellschaftsmodell, auch das Sozialmodell in dieser Verfassung klarer und prägnanter ausgedrückt wird. Wir wollen ja nicht, dass die europäische Gesellschaft zu einer so genannten neoliberalen amerikanischen Gesellschaft wird, sondern wir wollen das europäische Gesellschaftsmodell erhalten."

    Im reichen Luxemburg sind die Menschen von einem Wohlfahrtsstaat verwöhnt, der noch immer aus dem vollen Schöpfen kann. Und nicht wenige sehen dieses Modell durch die globale Veränderung einerseits und durch die Erweiterung der EU anderseits gefährdet. Das Referendum über die Verfassung komme daher gerade recht, um dieser diffusen Bedrohungslage Ausdruck zu verleihen. Francois Bausch, Vorsitzender der Grünen:

    "Es ist paradox, dass gerade zu dem Zeitpunkt, da wir zum ersten Mal den Versuch starten, dem wirtschaftlichen Europa eine politische Dimension zu geben, um damit auch das Regelwerk zu schaffen, die soziale Kohäsion in diesem Europa der 25 zu erhalten, dass gerade zu diesem Zeitpunkt die Ablehnung erfolgt. Aber es ist eigentlich eine verspätete Quittung für eine Nicht-Debatte in den 90er Jahren über die Erweiterung."

    Diese Woche streitet Luxemburgs Regierungschef Jean Claude Juncker in Brüssel um die europäischen Finanzen. Er braucht eine Einigung und es bleibt nur noch wenig Zeit, denn die luxemburgische Präsidentschaft wird von den Briten abgelöst und die gelten seit Margaret Thatcher als echte Pfennigfuchser. Ihnen wird eine Einigung über die europäischen Finanzen nicht unbedingt zugetraut. Eine quälende Debatte aber würde die Menschen noch mehr abschrecken. Der christsoziale luxemburgische Regierungschef hat deshalb in der vergangenen Woche alle diplomatischen Register gezogen.

    Doch nicht einmal Juncker glaubt noch daran, dass eine Einigung über den europäischen Haushalt ausreicht, um die Stimmung zu drehen. Er hat daher die eigene Person in die Waagschale geworfen. Sagen die Luxemburger nein, dann will er daraus politische Konsequenzen ziehen. Ein Verknüpfung, die längst nicht alle überzeugt.

    Passanten: "Ich bin von Juncker sehr begeistert. Aber er darf das nicht daran knüpfen. Es sieht natürlich so aus, dass er das Volk unter Druck setzt.
    Ich stimme ja, ja für Juncker.
    Das war ein Fehler, das war mir zuviel, dann tritt er zurück. Damit wollte er uns unterdrücken, man darf sich doch als Luxemburger den Mund nicht verbieten lassen."