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"Ich will mich einfach wohlfühlen und ganz ich selbst sein"

Sie sei nicht ihr Vater, "und das ist gut so", sagt die Sängerin und Schauspielerin Charlotte Gainsbourg. Jahrelang habe sie versucht, eine "gute Studentin" zu sein. Inzwischen wolle sie einfach ihre eigenen Fehler und Stärken ausleben.

Charlotte Gainsbourg im Gespräch mit Marcel Anders | 14.01.2012
    Marcel Anders: Frau Gainsbourg, ihr neues Werk "Stage Whisper" besteht aus elf Live-Mitschnitten und acht neuen Studio-Stücken. Warum diese ungewöhnliche Kombination?

    Charlotte Gainsbourg: Weil ich nicht wollte, dass es nur ein Live-Album wird. Denn das wäre für mich etwas Vergangenes gewesen – etwas, das weit zurückliegt. Die Tour ist ja schon über ein Jahr her. Insofern brauchte ich etwas Neues. Mir ging es darum, möglichst viele unterschiedliche Stücke zu haben. Also ohne übergeordnete Geschichte, sondern einfach Songs, bei denen ich Spaß habe, sie zu singen. Wobei die Single "Terrible Angels" sehr elektronisch ist. Und im Video wage ich mich zum ersten Mal an eine Choreografie. Dabei bin ich keine gute Tänzerin, und das sieht man auch. Aber es war lustig, so zu tun, die Schritte zu lernen und es zumindest zu probieren. Selbst, wenn es ein Fehler ist. Das ist egal. Du kannst es trotzdem versuchen und Spaß dabei haben.

    Anders: Eine Art Ausgleichssport zu ihren doch sehr anspruchsvollen, ernsten Filmen?

    Gainsbourg: Ja, und anfangs habe ich die Musik auch sehr ernst genommen. Deshalb hat es nach "5:55" fast 20 Jahre gedauert, um dahin zurückzukehren. Ich habe mir wirklich heftige Gedanken darüber gemacht und versucht, eine Grenze zu durchbrechen. Doch sobald ich das hinter mir hatte, wollte ich etwas anderes entdecken. Etwas Neues. Deshalb habe ich mich an Beck gewandt, was ein richtiges Abenteuer war. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass ich auch Spaß haben kann. Deshalb ist es lockerer. Ich muss nichts mehr beweisen.

    Und mit Filmen ist es dasselbe. Es geht nicht darum, noch professioneller zu werden oder noch mehr Sicherheit und Tiefe zu gewinnen. Sondern darum, sich nicht zu viele Gedanken zu machen. Denn es ist doch alles viel einfacher, wenn es nicht zu intensiv ist. Wenn du nicht wer weiß was erreichen oder wer weiß wie gut sein willst. Das ist der Grund, warum ich heute einen anderen Ansatz verfolge. Denn ich wollte jahrelang eine "bon élève", eine gute Studentin, sein. Weshalb ich immer getan habe, was man mir gesagt hat. Was nicht bedeutet, dass ich jetzt alle Grenzen einreiße und tue, was ich will. Aber ich versuche bewusst, nicht zu ambitioniert und auch nicht zu nett zu sein. Ich will mich einfach wohlfühlen und ganz ich selbst sein.

    Anders: Also eine späte Emanzipation gegenüber ihrem Vater?

    Gainsbourg: Die Leute fragen mich ständig nach ihm – und vergleichen uns. Dabei bin ich nicht mein Vater, und das ist gut so. Ich muss meine eigenen Fehler und Stärken ausleben. Was leicht gesagt ist – aber es stimmt. Denn was ich beim Touren erkannt habe ist: Die Leute wollen gar nichts Perfektes, wenn sie zu deinen Konzerten kommen. Sondern etwas Lebendiges, Echtes. Und ich bin ja kein Entertainer. Ich bin nicht Madonna, die eine perfekte Show hinlegt. Ich meine, wenn es perfekt ist, toll. Aber eigentlich habe ich nichts Perfektes zu bieten. Und ich habe das Gefühl, dass sie meine Auftritte gerade deshalb genossen haben.

    Anders: Trotzdem halten sie das Andenken an Serge Gainsbourg hoch und wollen sein Haus im 7. Pariser Arrondissement angeblich zum Museum machen. Stimmt das?

    Gainsbourg: "Das habe ich 18 Jahre lang versucht. Und als es endlich zu klappen schien und ich Jean Nouvel, diesen wunderbaren Architekten, dafür interessieren konnte, habe ich einen Rückzieher gemacht. Mir wurde klar, dass ich das eigentlich gar nicht wollte. Es war zu der Zeit, als ein Film über ihn gedreht wurde und als es eine Ausstellung gab. Da hatte ich das Gefühl, dass ich etwas Privates, Intimes brauche.

    Denn ich bin nicht in der Lage zu seinem Grab zu gehen, weil da immer so viele Leute sind. Und ich nicht ich selbst sein kann. Insofern ist sein Haus für mich so etwas wie ein Grab. Ein großes Grab. Und ich belasse es genau so, wie es war. Ich will nicht, dass da irgendetwas passiert. Und ich will es auch nicht verkaufen. Was ich vielleicht irgendwann muss. Aber momentan belasse ich es, wie es ist. Eben, weil ich mich nicht weiter damit beschäftigen will. Es ist wie ein Geisterhaus."

    Anders: Mal ehrlich: Würden seine Stücke wie "Lemon Incest" oder "Je t´aime moi non plus" heute noch für so heftige Reaktionen sorgen wie zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung?
    Gainsbourg: "Ich denke, ein Song wie "Lemon Incest" wäre heute sogar noch schockierender als früher. Einfach, weil die Leute bei diesem Thema keinen Spaß verstehen. Nur: Er macht sich darin nicht über Inzest lustig. Und er war auch nie pervers. Nicht im Geringsten. Es geht vielmehr um die Liebe eines Vaters für seine Tochter. Von daher ist es ein wunderbares Liebeslied. Und ich würde mir wünschen, dass sich die Leute heute nicht mehr so schockiert davon zeigen. Genau wie von "Je t´aime moi non plus", das im Grunde ziemlich brav ist. Ich war jedenfalls nie schockiert von dem, was er getan hat. Ich hielt es nie für skandalös."

    Anders: Sie selbst gelten als "Frankreichs ewiger Teenager" und wirken immer noch sehr mädchenhaft. Dabei sind sie inzwischen 40 und dreifache Mutter. Wie gehen sie mit dem Alter um?

    Gainsbourg: Ich dachte, es würde sehr schmerzhaft sein, dieses Alter zu erreichen. Und deshalb war ich der Meinung, dass es sehr hilfreich wäre, kurz vor meinem 40. Geburtstag noch ein Baby zu bekommen. Was eine wunderbare Erfahrung war. Jetzt hoffe ich, dass alles immer einfacher wird. Denn ich habe mir einen Wahnsinnskopf gemacht. Meine ganzen 30er habe ich gedacht: "Die 40er kommen." Was eine echte Belastung war. Aber nachdem ich sie erreicht habe, denke ich an die 50er – und habe Spaß. Was irgendwie ironisch ist.

    Anders: Schlägt sich das auch in den Rollen nieder, die man ihnen anbietet? Und die, die sie für sich auswählen?

    Gainsbourg: Ich habe erst gestern mit meiner Agentin in Amerika gesprochen. Und danach war ich ziemlich deprimiert. Sie meinte: "Wir haben hier nicht viele Rollen für Leute zwischen 30 und 40. Aber wenn du erst mal 40 bist, ist da gar nichts mehr." Was mich total fertig gemacht hat. Von daher muss ich mir wohl was anderes einfallen lassen.

    Anders: Aber sie haben sich doch nie groß um den amerikanischen Markt gekümmert, oder?

    Gainsbourg: Nein. Aber ich bin sehr dankbar, dass man mir Sachen wie "21 Grams", "I´m Not There" oder die Filme von Lars angeboten hat. Genau wie der mit Michel Gondry, der zwar französisch war, aber doch in englischer Sprache. Von daher habe ich etliche Filme in Englisch gedreht. Was jetzt nicht gleichbedeutend mit dem amerikanischen Markt ist, in den ich eh nicht reinpasse. Trotzdem ist es für mich sehr wichtig, auch außerhalb Frankreichs zu arbeiten. Ich meine, ich liebe französische Filme, doch wirklich tolle Rollen hat man mir auch hier nicht angeboten. Ich hoffe, sie werden besser – im Sinne von Sachen, die ich wirklich machen will.

    Anders: Wobei die Figuren, die sie in den Werken von Lars von Trier spielen, sehr extrem sind. Etwa als übereifrige Mutter in "Melancholia" – inwieweit entspricht das ihrem eigenen Charakter?

    Gainsbourg: Als wir gedreht haben, mochte ich meine Rolle so gar nicht. Ich hielt mich für so engstirnig und steif. Und genau darum geht es bei der Figur: Sie ist so unflexibel, dass sie mit dem Ende der Welt so gar nicht klarkommt. Stattdessen verliert sie völlig die Kontrolle. Weshalb ich sie für unglaublich dumm hielt. Aber im Nachhinein war es doch ganz nett, eine Rolle zu übernehmen, bei der man das Gefühl hat: Was für eine dumme Frau! Denn im Grunde ist sie mir sehr ähnlich. Sie hat dieselben Ängste, dieselbe Panik und dieselben Schwächen. Nur: Als ich sie gespielt habe, wollte ich heldenhaft sein. Wie in "Antichrist", wo ich alle umbringe.

    Anders: Das heißt: Von Trier macht sie stärker?

    Gainsbourg: Das tut er wirklich. Wenn auch nicht so während des Drehs an sich. Denn dabei bin ich immer sehr verletzlich. Was insbesondere für "Melancholia" gilt. Ich habe das Gefühl, dass er mich in seinen Händen hat. Und dass er mit mir tun kann, was immer er will. Was ja auch der Grund ist, warum ich da bin. Warum ich da mitmache. Und worauf ich hoffe. Selbst, wenn es schmerzt. Insofern war der Dreh sehr schwierig. Und ich war zwischendurch ziemlich unglücklich. Aber: Ich würde es jederzeit wieder tun. Ich liebe es, mit ihm zu arbeiten.

    Anders: Anfang Februar sitzen sie in der Jury der Berlinale. Mit welchen Erwartungen?

    Gainsbourg: Ich bin so glücklich! Nicht nur, dass ich all diese Filme sehen darf, sondern auch, weil ich Berlin nicht wirklich kenne. Und ich mich sehr von dem angezogen fühle, was die Leute erzählen. Es soll ein Ort sein, an dem es wirklich interessante Kunst gibt. Und was die Berlinale betrifft: Ich gehe sie mit sehr viel Selbstbewusstsein an. Und ich werde die Filme auf meine Art beurteilen. Also nicht als technischer Richter, sondern nach meinen eigenen Parametern. Eben so, wie ich bin.

    Anders: Vielen Dank für das Gespräch!

    Gainsbourg: Nein, ich danke ihnen!
    Serge Gainsbourg in Paris, undatiertes Foto
    "Ich bin nicht in der Lage zu seinem Grab zu gehen" - Serge Gainsbourg, Vater von Charlotte Gainsbourg (picture alliance / dpa)