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"Identität versus Globalisierung?"

Schossig: Wenn Globalisierung die weltweite Präsenz gleicher Güter, also gleicher Krawatten und Parfüms, identischer Fernsehbilder und Prêt-à-Porter, Lebensentwürfe, ist, dann würde das bedeuten, dass es Identität im überkommenen Sinne nicht mehr gäbe. Hier knüpfen aktuelle kulturkritische, beziehungsweise -pessimistische Positionen an. An dieser Denkfront mischt sich jetzt auch die Heinrich-Böll-Stiftung ein. Zur Stunde beginnt im Berliner Haus der Kulturen der Welt eine international besetzte Konferenz mit dem vielsagenden Titel, "Identität versus Globalisierung?". Nun ist die Verwandlung und Vermischung verschiedener Traditionen, Stile und Ästhetiken nichts Neues, im Gegenteil, sie ist eigentlich Bedingung jeder Entwicklung von kultureller Identität. Vor der Sendung sprach ich mit Julian Nida-Rümelin, Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Universität München, Staatsminister a.D. Er nimmt an dieser Konferenz teil und ich habe ihn gefragt, ist da heute wirklich eine neue Qualität von Wandel, beziehungsweise Unübersichtlichkeit in den Identitäten?

Julian Nida-Rümelin im Gespräch |
    Nida-Rümelin: Das, was neu ist, ist die konsequente Ökonomisierung praktisch aller Lebensverhältnisse. Natürlich gab es schon einmal eine sehr starke Ausbreitung des Welthandels Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts vor dem Ersten Weltkrieg. Was wir jetzt erleben, ist ein sich ausbreitender Markt unter relativ gleichmäßigen Bedingungen weltweit. Das bringt, jedenfalls in vielen Regionen, kulturelle Beziehungen, örtliche Identitäten, auch Traditionen, die über Jahrhunderte hinweg den Menschen Halt gegeben haben, in die Defensive.

    Schossig: Diese Konferenz in Berlin will sich auf die kulturelle Globalisierung konzentrieren und zwar auf einige Weltregionen nur, wie etwa Westafrika, Südostasien, Naher und Mittlerer Osten und natürlich wie sich das auch auswirkt auf Europa. Inwieweit kommt man dabei eigentlich über Binsenweisheiten hinaus, etwa dass hier Chancen oder Risiken bestehen?

    Nida-Rümelin: Der Hintergrund ist ein ganz konkreter, nämlich die GATTS-Verhandlungen, die sich ja die Liberalisierung des Welthandels zum Ziel gesetzt haben. Jede Vereinbarung, die in diesem Rahmen getroffen wird, ist unumkehrbar. Also, stellen Sie sich mal vor, wir kämen zu dem Ergebnis, wir wollen den Rundfunk auch insgesamt ganz diesen Regeln unterwerfen. Das heißt also, keine Abgaben mehr in Deutschland bezahlen. Der Öffentlich-Rechtliche-Rundfunk würde dann nicht mehr existieren. Das ließe sich nach den Spielregeln von GATTS nicht mehr verändern, das heißt, wir haben hier eine unumkehrbare Tendenz der immer weitergehenden Liberalisierung und Ökonomisierung und um was es ganz handfest geht, ist, inwieweit kann man die kulturelle Sphäre davon ausnehmen?

    Schossig: Im Haus der Kulturen soll es insbesondere auch am Beispiel zeitgenössischer Kunst aufgezeigt werden, dieses Verhältnis, von dem Sie sprechen. Dazu gibt es ja zeitgleich jetzt etwas fürs Auge, eine Ausstellung im Ethnologischen Museum in Dahlem. Es geht also auch um die Darstellung und die Repräsentation, die Rolle und Funktion von Kunst dabei. Inwiefern?

    Nida-Rümelin: Gerade in Europa, - aber nicht nur in Europa, in den USA spielen da Stiftungen zum Beispiel eine wichtige Rolle -, schafft der Staat einen Sonderraum, der nicht ausschließlich jedenfalls durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, sondern durch inhaltliche Setzungen. Man sagt, wir wollen bestimmte Bereiche fördern, weil diese sich auf dem Markt für sich genommen nicht behaupten können, es gäbe zum Beispiel keine Opern mehr, jedenfalls so wie wir sie kennen, wenn nicht die Oper staatlich gefördert würde. Das, was diskutiert werden wird, vermute ich einmal, ist, mit welchen Argumenten man sicherstellen kann, dass diese Formen, ich will es mal vermeiden eigentlich den Ausdruck "Schutzräume" zu nennen, aber Räume, die nicht ausschließlich von ökonomischen Interessen bestimmt sind, erhalten bleiben.

    Schossig: Nun ist ja gerade im Zusammenhang mit dem Ruf nach Identität immer etwas Vorsicht am Platze, Herr Nida-Rümelin. Die Konferenz will mehr, so lese ich, mehr als nur eine Kritik der Ideologie des Globalismus leisten, sprich, also keinen Kultureklektizismus betreiben, es soll nicht um Ethnogeschmack oder gar um Gastronomie gehen. Dagegen wird ein Recht auf Differenz zur Uniformität des Interkulturellen und Hybriden eingefordert. Wo etwa läge denn hier ein Kompromiss zwischen diesen beiden Tendenzen?

    Nida-Rümelin: Es gibt, glaube ich, eine Perspektive, die da ganz hilfreich ist, die werde ich auch in die Diskussion einführen. Man muss sich unser gesellschaftliches Gefüge, kulturelles Gefüge als durch unterschiedliche Sphären geprägt vorstellen. Zum Beispiel: Wir haben Freundschaftsbeziehungen, wir haben politische Beziehungen, wir haben Beziehungen, die wir aufgrund von Konsumgütern oder Konsuminteressen aufbauen. Alle diese Sphären haben ihre eigenen Regeln. Wenn eine Sphäre sich auf Kosten der anderen rücksichtslos durchsetzt, dann geht etwas verloren. Diese Balance zu finden, ist nicht einfach. Gegenwärtig haben wir eine Ideologie des Marktradikalismus, der meint, die eine Sphäre müsste sich im Grunde zu Lasten aller anderen ausbreiten. Ich werde argumentieren, dass diese eine Sphäre, nämlich die Markt-, die Konsum-, die Angebot- und Nachfragsphäre eingebettet bleiben muss in größere kulturelle und strukturelle Zusammenhänge. Da geht es nicht primär darum, das, was mal gewachsen ist zu bewahren sondern es geht darum, wesentliche Bereiche in ihrem Eigenwert, in ihren Eigengesetzlichkeiten ernst zu nehmen.

    Schossig: Das war Julian Nida-Rümelin, Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Universität München über die heute im Berliner Haus der Kulturen beginnende Konferenz, "Identität versus Globalisierung?".