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IG-Metall-Chef zu Leiharbeit-Beschlüssen
"Wir sind einen Schritt nach vorne gekommen"

Der Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) stärke die Bedeutung von Tarifverträgen für die Leiharbeit, lobte der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann im DLF. Denn was der Leiharbeiter wolle, sei die Übernahme in den Betrieb - "und das können nur Tarifverträge gestalten."

Jörg Hofmann im Gespräch mit Silke Hahne | 11.05.2016
    IG-Metall-Chef Jörg Hofmann vor einer herunterhängenden Gewerkschaftsfahne.
    Noch mehr Sorgen als die Leiharbeit bereiten Jörg Hofmann die sogenannten Werkverträge - "das zunehmende Vehikel für Lohndumping" (dpa/ Sebastian Willnow)
    Silke Hahne: Die Spitzen der Koalitionsparteien haben gestern Abend grünes Licht gegeben für den Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Nahles. Der sieht zum Beispiel vor, dass Leiharbeiter nach neun Monaten Anspruch auf das gleiche Geld haben wie die Stammbelegschaft. Außerdem dürfen sie höchstens 18 Monate beim gleichen Betrieb arbeiten. Besonders viele Leiharbeiter gibt es in der Industriebranche und deswegen spreche ich jetzt mit dem Vorsitzenden der IG Metall, Jörg Hofmann. Guten Tag.
    Jörg Hofmann: Guten Tag, Frau Hahne.
    Hahne: Herr Hofmann, die meisten Leiharbeiter sind ja gar keine neun Monate beim gleichen Betrieb beschäftigt geschweige denn 18, sondern deutlich kürzer. Ist dieser Kompromiss jetzt wirklich mehr als Symbolpolitik?
    Hofmann: Er gibt den Leiharbeitern doch Ansprüche, die sie vorher nicht hatten, etwa der, dass man vorab klargestellt haben muss: Bin ich Leiharbeiter, bin ich Werkvertragsbeschäftigter? Ein Missbrauch, den wir heute leider massiv vorfinden. Und vor allem, er beschreibt Obergrenzen für Leiharbeit und - und das ist aus meiner Sicht das Wichtigste - er stärkt auch die Rolle von Tarifverträgen für Leiharbeiter nicht erst ab dem neunten Monat, sondern schon vorher bessere Entgelte, bessere Arbeitsbedingungen für diese Beschäftigten durchzusetzen.
    Hahne: Aber was bringen denn Obergrenzen, wenn sie unrealistisch sind?
    Hofmann: Obergrenzen setzen einem Missbrauch nach oben eine Grenze. Richtig ist aber - und das haben Sie zurecht ausgeführt -, die große Masse der Leiharbeiter ist deutlich kürzer im Betrieb eingesetzt als die beschriebenen 9 und 18 Monate.
    Hahne: Werden Sie als IG Metall sich denn dafür in Zukunft einsetzen, dass diese Grenze gegebenenfalls auch noch abgesenkt wird?
    Hofmann: Wir werden jetzt vor allem eines tun, dass wir die tariflichen Regelungen, die wir heute schon für Leiharbeiter haben, nämlich dass sie oft schon ab dem ersten Tag in der Branche insgesamt ab der sechsten Woche höhere Entgelte bekommen, dass wir diese tariflichen Regelungen auf andere Branchen ausweiten. Da stärkt uns jetzt auch das Gesetz, solche Regelungen durchzusetzen. Und dass wir vor allem auch auf der anderen Seite klären: Es ist nicht die Höchstüberlassung, die der Leiharbeiter will; es ist die Übernahme in den Betrieb, und das können nur Tarifverträge gestalten. Auch hier, glaube ich, ist die Öffnung, die das Gesetz vorsieht für tarifvertragliche Regelungen, hilfreich, in noch mehr Branchen konkrete Übernahmeverpflichtungen in den Entleihbetrieben durchzusetzen.
    Hahne: Das heißt, wenn Andrea Nahles sagt, das Gesetz sei gut für die Tarifautonomie, dann stimmen Sie ihr uneingeschränkt zu?
    Hofmann: Das ist ganz sicherlich der Fall, dass mit dem Gesetz von Andrea Nahles an der Stelle die Handlungsfähigkeit der Tarifvertragsparteien noch mal deutlich gestärkt wurde.
    Hahne: Obwohl ja damit die Gleichbezahlung auf ganze 15 Monate hinausgezögert werden kann.
    Hofmann: Obwohl wir damit einen Effekt vermeiden können, indem durch eine schrittweise Heranführung an eine Gleichbezahlung der … Effekt nicht dadurch entsteht, dass just vor dem Stichtag einer Equal-Pay-Regelung der Leiharbeiter abgemeldet und dann oft zu einer deutlich schlechteren Arbeits- und Leibedingung wieder neu eingesetzt wird.
    Wir haben bei den Entleihbetrieben noch nicht die Tarifbindung, die notwendig wäre
    Hahne: Das Thema Tarifbindung, das ist ja vor allem in den ostdeutschen Bundesländern ein ganz massives Problem. Da ist sie nämlich ziemlich gering. Heißt das, dieses Gesetz gibt Ihnen jetzt ein Argument an die Hand, zu sagen, liebe Betriebe, Tarifverträge sind auch für euch von Vorteil? Wollen Sie das auch strategisch einsetzen?
    Hofmann: Ganz sicher ist natürlich auch die Frage, was kann Tarifvertrag regeln, ein Werteargument für mehr Tarifverbindung. Wir haben jetzt, was die Leiharbeit selber angeht, eine relativ hohe Tarifbindung über die Arbeitgeberverbände der Leiharbeit. Wir haben aber bei den Entleihbetrieben noch nicht die Tarifbindung, die notwendig wäre. Deswegen würde ich das nicht so hoch hängen, aber an der Stelle ist dies sicherlich ein Argument für Tarifbindung.
    Hahne: Es drängt sich der Eindruck auf, dass es für Problemgruppen wie Leiharbeiter, wie Frauen besonders schwierig zu sein scheint, gleiche Bezahlung durchzusetzen, und in anderen Branchen ist es ja zum Beispiel auch üblich, dass Beschäftigte mit weniger Sicherheit dadurch kompensiert werden, dass sie eigentlich mehr verdienen als ihre festen Kollegen. Wieso ist es bei der Leiharbeit so schwierig, das durchzusetzen vom ersten Tag oder nach einer deutlich kürzeren Einarbeitungsphase?
    Hofmann: Überall dort, wo wir starke Gruppen am Arbeitsmarkt haben, Qualifikationen, die nachgefragt sind, ist auch in der Leiharbeit es üblich, dass zumindest der gleiche, wenn nicht gleich von Beginn an ein höheres Entgelt durchgesetzt werden kann. Wir haben das Problem dort, wo Leiharbeit auf die Schwachen am Arbeitsmarkt trifft, und dort ist natürlich sowohl durch Gesetz, wie aber auch durch Tarifvertrag Schutz und Sicherheit und mehr Gerechtigkeit durch etwa Vergütung am stärksten gefragt. Insoweit ist es ein offener gesellschaftlicher Prozess: Wie gehen wir mit diesen Deregulierungen am Arbeitsmarkt um? Da hat das Gesetz nicht die endgültige Lösung gebracht, ganz sicherlich nicht, aber wir sind einen Schritt nach vorne gekommen.
    Hahne: Stichwort Deregulierung. Es wurden ja auch die Werkverträge jetzt mit dem Gesetz neu geregelt und da werden Leistungen ja gänzlich ausgelagert und nicht an Leiharbeiter vergeben. Da gibt es Beispiele, wo man zumindest mal in Frage stellen kann, muss das eigentlich ausgelagert werden, zum Beispiel, wenn in der Automobilbranche, wo Sie ja auch teilweise zuständig sind, ein Unternehmen mit dem Bau von Achsen beauftragt wird. Sind Werkverträge das eigentliche Vehikel, mit dem Unternehmen Tarifverträge umgehen?
    Hofmann: Es ist das zunehmende Vehikel für Lohndumping, und zwar für Lohndumping weit unter dem Niveau oft, wie wir zwischenzeitlich für Leiharbeiter als Vergütung erreicht haben durchzusetzen. Das heißt, das letzte Schlupfloch, wo Arbeitgeber suchen, wenn Leiharbeit reguliert ist, sind oft Werkverträge, oft in tariflosen Betrieben, oft ohne Betriebsrat, zu miserablen Entgelt- und Arbeitsbedingungen. Deswegen hat auch die IG Metall das Thema Werkverträge und wie gehen wir um mit dem Outsourcing, mit den Dumping-Strategien, die wir überall feststellen müssen, als eines der zentralen Handlungsfelder auch unserer gewerkschaftlichen Aktivität benannt.
    Hahne: Und vielleicht noch kurz: Halten Sie das mit Horst Seehofer in der Großen Koalition für realistisch, dass das jetzt noch kommt?
    Hofmann: In der Großen Koalition glaube ich nicht, dass wir es über das, was jetzt im Koalitionsvertrag verankert wurde zu dem Thema neue Schritte, bekommen. Natürlich würden wir es begrüßen. Wir haben im gesamten Gesetzgebungsprozess immer kritisch angemerkt, das ist zu kurz gesprungen. Gerade bei dem Thema Werkverträge, da wäre mehr Mitbestimmung für die Betriebsräte in den Betrieben, die auslagern, stärkere Kontrolle, bessere und transparentere Informationsrechte, wie wir sie jetzt bekommen haben, geboten gewesen. Gut, wir sind in einer Großen Koalition. Der Koalitionsvertrag wurde über das Gesetz ausgeschöpft. Mehr wäre wünschenswert, aber offensichtlich nicht erreichbar gewesen.
    Hahne: ... sagt Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall. Danke für das Gespräch, Herr Hofmann.
    Hofmann: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.