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Ikone von links bis rechts

Vor 600 Jahren kam in dem französischen Dorf Domrémy ein Mädchen auf die Welt, das zur Nationalheldin Frankreichs werden sollte: Jeanne d'Arc. Staatspräsident Sarkozy ist heute zu Ehren von Jeanne d'Arc nach Domrémy gepilgert, morgen wird Front-National-Chefin Marine Le Pen in Paris die Jungfrau feiern.

Von Jürgen Ritte |
    Es ist zuletzt recht still geworden in Frankreich um die Jungfrau von Orléans, um Jeanne d'Arc. Ein nationaler Mythos, ein Nationalheiligtum ist sie nach wie vor, gewiss, aber sie ist ein etwas angestaubtes, ein etwas sperriges Heiligtum, mit dem niemand mehr so recht etwas anzufangen weiß. Allenfalls der rechtsextreme "Front National" defiliert noch alljährlich zum 1. Mai an ihren Denkmälern in Paris und anderswo vorbei und huldigt dieser Inkarnation des angeblich wahren Frankreichs, indem er sich "Frankreich den Franzosen" oder "Ausländer 'raus" auf die Fahnen schreibt.

    Doch jetzt, pünktlich zum 600. Geburtstag, geht das Gerangel plötzlich los : Wem gehört Jeanne d'Arc? Den ewig Gestrigen, die in Jeanne d'Arc diejenige feiern, die Frankreich von den Ausländern befreite, damals, vor 600 Jahren, den Engländern, und heute, so hoffen sie, den Arabern, den Afrikanern? Gehört sie der katholischen Kirche, die daran erinnert, dass Jeanne, die Jungfrau, in gleichsam göttlicher Mission handelte, als sie Frankreich, die "älteste Tochter" der Allein Seligmachenden vor dem sicheren Untergang bewahrte? Wem gehört die Jungfrau? Den Royalisten, die darauf hinweisen, dass es Gottes Wille war, wenn in Frankreich durch Jeanne die Monarchie wieder hergestellt wurde? Oder gehört sie am Ende gar der republikanischen Linken, die durchaus maliziös darauf besteht, dass die Jungfrau ein Mädchen aus dem einfachen Volk war, das am Ende, vom Könighaus verraten, auf einem Scheiterhaufen landete, angezündet von der Kirche?

    Die Frage ist stets, wie man sich die Geschichte erzählt und wie sie sich zu eigenem Nutz und Frommen hinbiegen lässt. "Story-telling" nennen das heute die "spin-doctors" in den Vorzimmern der Politiker. Als die junge französische Republik, es war die dritte, hervorgegangen aus der Niederlage gegen Bismarcks Truppen im Jahre 1870, nach nationalen Leitbildern und Identifikationsfiguren Ausschau hielt, bot sich Jeanne d'Arc an: Sie verkörperte nicht nur, wie der französische Universalhistoriker Jules Michelet schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts dekretiert hatte, das Volk, sie verkörperte auch den Widerstand gegen eine fremde Übermacht und den Geist des Neubeginns. Dass sie dabei, laut Legende, Stimmen gehört haben soll und also in göttlichem Auftrag handelte, nahm die laizistische Republik als folkloristisches Detail in Kauf.

    Sicherheitshalber aber stellte sie Jeanne d'Arc einen anderen nationalen Heros zur Seite, für den sich bis dahin niemand ernstlich interessiert hatte: Den allen Asterix-Lesern hinlänglich bekannten Gallierhäuptling Vercingétorix. Auch er ein Held im Kampf gegen eine feindliche Übermacht, damals waren es Cäsars römische Legionen, auch er eine Integrationsfigur, der es gelungen war, das Volk der Urfranzosen, der Gallier, zu einigen. Zudem hatte er gegenüber der Jungfrau von Orléans den Vorteil, ein krichenferner Heide zu sein. Er lief also wenig Gefahr, von der katholischen Reaktion und anderen Feinden der Republik in Anspruch genommen zu werden.

    1920, nach einem weiteren, diesmal gewonnen Krieg, wurde Jeanne d'Arc vom Papst heilig gesprochen. Für vaterländisch-chauvinistisch gesonnene Franzosen, ob gläubig oder nicht, war dies nur recht und billig. Linke Revoluzzer, Pazifisten, Surrealisten und andere Avantgardisten sahen damals in dem illuminierten Bauerntrampel nur ein Altarbildchen für die ewigen Reaktionäre des ewig katholischen Frankreichs. Sie überließen "la Pucelle" der Rechten.

    Und es mussten mehr als 80 Jahre vergehen, bis sich wieder eine Linke mit Jeanne d'Arc identifizierte: Ségolène Royal, die sozialistische Präsidentschaftskandidatin, die 2007 Nicolas Sarkozy unterlag, sah sich, vielfach belächelt, in der Rolle der kämpferischen Jungfrau für ein neues Frankreich. Aber nicht sie, sondern der rechtskonservative Nicolas Sarkozy erweist heute, als Staatschef, Jeanne d'Arc die Ehre. Das gehört zu seinem Amt. Bedenklich aber ist, dass der Mythos um Jeanne d'Arc, ganz gleich, ob in rechter oder linker Lesart, der Mythos seines Landes in der Defensive ist : Er erzählt vom Schulterschluss eines Volkes gegen eine Welt von Feinden. Insofern ist er heute durch und durch nationalistisch gefärbt und vermählt sich aufs Schönste mit dem Asterix-Komplex eines Dorfes im ewigen Widerstand. Nur dass Asterix sehr viel lustiger und selbstironischer ist als jede Neu-Auflage der Geschichte des Bauernmädchens aus Domrémy im Kampf gegen die bösen Ausländer, die heute, je nach Bedarf, algerische Einwanderer, internationale Spekulanten oder eine deutsche Kanzlerin sein können.