Mittwoch, 24. April 2024

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Illegale Abschiebungen in der Türkei
"Es gibt bisher keine konkreten Belege"

Der EU-Politiker Michael Stübgen (CDU) hält die von Amnesty International erhobenen Vorwürfe, die Türkei würde syrische Flüchtlinge entgegen der getroffenen Vereinbarungen mit der EU in ihre Heimat zurücksenden, für unwahrscheinlich. Er habe zurzeit keine Hinweise, dass die Türkei sich nicht an diese Vereinbarung halte, sagte Stübgen im DLF.

Michael Stübgen im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 01.04.2016
    Ein Grenzpolizist bewacht Flüchtlinge an der Grenze syrisch-türkischen Grenze.
    EU-Politiker Michael Stübgen im DLF: "Es ist so, dass es sehr viele Kontrollmöglichkeiten gibt." (picture alliance / dpa / Vassil Donev)
    Ann-Kathrin Büüsker: Es wäre wohl ein bisschen arg zynisch mit Blick auf den kommenden Montag, von einer Art Endspurt zu sprechen, aber ein bisschen ist es das eben schon. Bevor am Montag die Überstellung von Flüchtlingen aus Griechenland zurück in die Türkei beginnen kann, müssen dafür in diesen Tagen noch die letzten Weichen gestellt werden. In Griechenland betrifft das vor allem die gesetzlichen Grundlagen.
    In der Türkei laufen unterdessen die praktischen Vorbereitungen, damit man ab dem Montag Flüchtlinge aus Griechenland zurücknehmen kann. Amnesty International erhebt derweil heute schwere Vorwürfe gegen die Türkei. Die soll Flüchtlinge nach Syrien abschieben.
    Die Sorgen von Amnesty International wollen wir jetzt gleich weiterreichen an Michael Stübgen, Mitglied im Bundestag und europapolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Guten Tag, Herr Stübgen!
    Michael Stübgen: Guten Tag, Frau Büüsken!
    Büüsker: Herr Stübgen, wenn die Vorwürfe von Amnesty International stimmen, dass die Türkei tatsächlich Flüchtlinge nach Syrien abschiebt, darf die EU dann Flüchtlinge in die Türkei überstellen?
    Stübgen: Also, diesen Vorwurf von Amnesty International, der ist bisher nicht bestätigt und den gibt es schon seit längerer Zeit. Gut wäre, wenn Amnesty International da mal deutliche Belege für liefert. Weil, das wäre so pauschal, wie Amnesty International behauptet, dass es die Türkei täte, würde das nicht mit dem Abkommen EU-Türkei in Übereinstimmung zu bringen sein. Aber es gibt bisher, wie gesagt, diese Behauptung und keine konkreten Belege.
    Büüsker: Das heißt, Sie halten das auch für komplett unwahrscheinlich, dass das stimmt?
    Stübgen: Was ist komplett unwahrscheinlich? Ich gehe davon aus, die Türkei hat sich – und das finde ich eigentlich einen Vorteil vom 20. März – verpflichtet, die internationalen Standards der Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten für Flüchtlinge, die auf ihrem Territorium sind. Und jetzt gehe ich zunächst davon aus, dass sie das auch ernst nehmen und auch tun werden. Und wir können auch beobachten, dass die Türkei ihrerseits versucht, die Voraussetzungen für die Umsetzung dieser Vereinbarung mit der EU umzusetzen, sodass ab Montag dann die ersten Rückführungen, aber auch die ersten Flüchtlinge, die von der Türkei in die EU kommen, begonnen werden können.
    Also, ich habe zurzeit keine Hinweise, dass die Türkei nicht versucht, sich an diese Vereinbarung zu halten, unter Einschluss des internationalen Rechts der Genfer Flüchtlingskonvention und des ausreichenden Schutzes von Flüchtlingen.
    "Es gibt ein grundsätzliches Vertrauen"
    Büüsker: Das heißt, Sie halten Erdogan auch grundsätzlich für einen verlässlichen Partner?
    Stübgen: Gut ... Dass es da Kulturunterschiede gibt, das wissen Sie. Nicht umsonst ist ja in einem norddeutschen Rundfunkmagazin Erdogan zum Mitarbeiter des Monats gemacht worden.
    Es ist so, dass es sehr viele Kontrollmöglichkeiten gibt, die in diesen Vertrag eingebaut sind, sodass das eine ist ...
    Es gibt ein grundsätzliches Vertrauen, dass die Türkei, wenn die Türkei, die türkische Regierung zusagt, etwas zu tun, es sie auch macht. Aber es sind ja vor Ort auch Mitarbeiter des UNHCR und deshalb kann auch ausreichend kontrolliert werden, ob die Türkei sich daran hält. Aber es hat keinen Zweck, von vornherein immer so zu tun, als würde die Türkei das sowieso nicht machen und sie würde die EU nur über den Tisch ziehen wollen. Dann kommt man nie zu einer gemeinsamen Arbeit.
    "Verwaltungstechnisch gibt es mit Sicherheit noch Probleme"
    Büüsker: Jetzt haben Sie das UNHCR bereits angesprochen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat ja in der vergangenen Woche seine Hilfe am Standort in Lesbos, am dortigen Hotspot eingestellt, weil das Flüchtlingshilfswerk sagt, dieser Deal mit der Türkei darf so nicht sein, weil in den Hotspots derzeit Flüchtlinge geradezu interniert werden. Also, da ist sehr viel Kritik auch vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen.
    Stübgen: Ja, das ist richtig. Aber soweit ich weiß, war auch der Bereich ... Also, die Entsendung von Asylrichtern ist ja auch gestoppt worden, weil Griechenland noch nicht die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen umgesetzt hat. Sie sitzen gerade jetzt im Parlament in Athen und versuchen, die rechtlichen Grundlagen zu machen. Da gibt es verwaltungstechnisch natürlich mit Sicherheit noch Probleme, das ausreichend umzusetzen.
    Wichtig ist, dass in diesen Hotspots, dass die so eingerichtet werden sollen – und das versucht Griechenland ja auch, da müssen allerdings noch ein paar nationale Gesetze umgesetzt werden –, dass von diesen Hotspots aus die Rückführung auch in die Türkei organisiert und durchgeführt wird. Und natürlich ist es so, dass viele der Flüchtlinge, der Migranten, die dort sind, das nicht wollen. Deshalb gibt es natürlich dort auch Auseinandersetzungen. Das ist aber jetzt auch eigentlich nicht überraschend.
    "Alleine wäre Griechenland damit mit Sicherheit überfordert"
    Büüsker: Jetzt haben Sie die praktische Umsetzbarkeit schon angesprochen. Wir haben in Deutschland derzeit mehrere Hunderttausend unerledigte Asylanträge. Wie soll es dann Griechenland mit Tausenden Anträgen pro Tag schaffen, die im Schnellverfahren durchgebracht werden sollen, da gerecht über die Asylbedürftigkeit der Menschen zu entscheiden?
    Stübgen: Gut, wir gehen davon aus, dass das Griechenland hinbekommt. Allerdings werden sie das nicht auf den Punkt hinbekommen, das wird einige Wochen und einige Monate dauern, bis das ausreichend passiert. Deshalb ist ja auch in der Vereinbarung festgelegt worden, dass die EU Unterstützung bietet, allein über Frontex. Aber eben auch, dass aus den EU-Mitgliedsländern, auch aus Deutschland zum Beispiel Asylrichter dorthin geschickt werden, Dolmetscher hingeschickt werden und so weiter, um Griechenland zu helfen, dies umzusetzen, wie es zugesagt worden ist.
    Alleine wäre Griechenland mit Sicherheit damit überfordert. Aber es gibt ja da die Unterstützung der gesamten EU und deshalb glaube ich, dass das machbar sein wird. Unter den Standards, die das EU-Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention vorgibt.
    Büüsker: Michael Stübgen war das, europapolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stübgen!
    Stübgen: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.