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Im Namen von Defne Joy Foster

Die Schmähung einer toten Frau führt in der Türkei zu einer ungewöhnlichen Protestbewegung. Seit einem halben Jahr gibt es die sogenannte Defne-Revolution im Netz. Die Unterstützer nehmen so Einfluss auf den Geschlechterdiskurs in der Türkei.

Von Sabine Küper-Büsch |
    Schon beinahe 9000 Menschen haben die Petition unterschrieben. Sie kursiert auf den sozialen Internetplattformen Twitter und Facebook und trägt den Namen: die Defne-Revolution. Darin heißt es auf Türkisch und Englisch:

    "Soziale Medien sind unser neues Fenster zum Luftschöpfen. Sie haben Menschen mit unterschiedlichen politischen Sichtweisen zusammengebracht und geben uns die Möglichkeit zusammen aktiv zu werden. Wir sind gegen Frauendiskriminierung, gegen Rassismus und gegen jede Form von Ungleichheit."

    Was steckt hinter der Defne-Revolution? Es handelt sich um eine türkische, politische Bewegung. Die türkische Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin Vivet Kanetti hat sie initiiert und ihr den Namen einer vor sechs Monaten verstorbenen türkischen Schauspielerin gegeben.

    "Eine junge Frau namens Defne starb am zweiten Februar diesen Jahres. Am nächsten Tag schrieb der Journalist Hincal Uluç in einer Tageszeitung. Das Wasser fließt aus dem zerbrochenen Glas. Das bedeutet im Klartext, die Frau hat bekommen, was sie verdient."

    Defne Joy Foster war TV-Moderatorin und Schauspielerin in der Türkei. In der Nacht zum zweiten Februar diesen Jahres war sie abends mit Freunden im Istanbuler Nachtleben unterwegs. In den frühen Morgenstunden starb die Zweiunddreißigjährige. Im Autopsiebericht wird übermäßiger Alkohol- und Nikotingenuss dafür verantwortlich gemacht, dass die Asthmakranke an einem Anfall erstickte. Zum Zeitpunkt ihres Todes hatte sich Defne Joy Foster in der Wohnung eines jungen Mannes befunden, mit dem sie eine Affäre hatte. All dies ist reine Privatsache und sollte allenfalls eine Nachricht für die Regenbogenpresse sein. Doch aus dem tragischen Unfall wurde ein Politikum, als der prominente Journalist Hincal Uluç in der einflussreichen Tageszeitung Sabah einen vernichtenden Kommentar schrieb. Foster sei nicht Opfer einer Krankheit, sondern als verheiratete Frau und Mutter ein Opfer ihres unpassenden Lebensstils geworden, hieß es dort sinngemäß. Şelale Kadak arbeitet als Kolumnistin für dieselbe Zeitung. Auch sie hat die Petition unterschrieben.

    "Diese junge Frau hat ihr Leben verloren. Selbst im Islam gibt es ein Gebot, das den Menschen verbietet, schlecht über Tote zu reden. Wir sehen hier die typische Art, wie in der Türkei mit Frauen umgegangen wird. Ein Mann würde nie posthum Opfer einer solchen Schmähkampagne werden."

    Die Defne-Revolution im Internet wendet sich ausdrücklich gegen Diskriminierung in den türkischen Medien. Defne Joy Foster wurde öffentlich verurteilt, weil sie eine Frau ist, unterstreicht die Autorin der Petition. Vivet Kanetti stammt aus der sephardisch-jüdischen Familie des Schriftstellers Elias Canetti, die bis zum Ersten Weltkrieg in Bulgarien lebte. Ein Teil der Familie wanderte im Zuge der Kriegswirren nach Westeuropa aus, der Vater von Vivet Canetti ließ sich in Istanbul nieder. Wie der berühmte Großonkel Elias ist auch Vivet Kanetti Schriftstellerin und gleichzeitig eine einflussreiche Journalistin mit einer eigenen Fernsehshow in der Türkei. Warum nutzt sie das Internet als Plattform für diese Antidiskriminierungskampagne?

    "Wir wollen uns mit der Defne-Revolution von dem in den etablierten Medien gewachsenen Stil befreien. Ich mache auch weiterhin meine Fernsehshow, aber auf Twitter kommuniziere ich direkt mit sehr unterschiedlichen Menschen. Da sind fromme Muslime dabei, aber auch Kommunisten und Umweltaktivisten. Und uns alle stören die gleichen Dinge. Eine Einmischung in die Privatsphäre, die grassierende Doppelmoral und die Stigmatisierung von Menschen."

    Die Defne-Revolution existiert jetzt seit einem halben Jahr im Internet. Die Familie von Defne Joy Foster, ihr Ehemann und ihre Mutter, haben mittlerweile den Mut gefunden, eine Verleumdungsklage gegen den Journalisten Hincal Uluç einzureichen. Täglich schicken unterschiedliche Unterzeichner der Petition Nachrichten auf Facebook und Twitter. Sie berichten auch von anderen Fällen von Diskriminierung. Und so ist Defne Joy Foster Namensgeberin der ersten Frauen- und Bürgerrechtsbewegung im türkischen Internet: der Defne-Revolution.