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Im Schatten der Ikone Le Corbusier

Er entwarf Villen, sie sorgte für die passende Innenausstattung – ein Jahrzehnt ist Charlotte Perriand die Assistentin des Baumeisters Le Corbusier gewesen, mit dem sie gemeinsam moderne Möbelklassiker entwarf. Erst in jüngster Zeit ist ihr Werk aus dem Schatten Corbusiers herausgetreten. Das Centre Pompidou in Paris widmet ihr nun eine Ausstellung.

Von Björn Stüben |
    Die Schwarz-Weiß-Fotographie zeigt eine junge Frau mit kurz geschnittenen, dunklen Haaren, die sie streng zurückgekämmt hat. Sie dreht sich herzlich lachend und mit einem etwas spöttisch fragenden Blick seitlich weg, denn hinter ihr geschieht etwas. Zwei Hände sind zu erkennen, die hinter ihrem Kopf einen großen weißen Teller so hochhalten, dass er wie ein Heiligenschein wirkt. Der Schnappschuss ist 1928 aufgenommen und zeigt die 25jährige Charlotte Perriand ganz im Stil der Garçonne, der knabenhaften Frauenmode der damaligen Zeit folgend. Der Fotograf ist Pierre Jeanneret und die Hände im Hintergrund gehören seinem Cousin, Charles-Edouard Jeanneret, heute besser unter dem Pseudonym Le Corbusier bekannt.

    Das Foto zeigt eine Szene der Vertrautheit: Charlotte Perriand als weiblicher Engel in der Männerwelt des Ateliers von Le Corbusier in der rue de Sèvres in Paris. Hier hatte sie sich gerade als frisch diplomierte Absolventin der Hochschule der dekorativen Künste mutig vorgestellt und soll zunächst mit der Antwort abgespeist worden sein, "Wir besticken hier keine Kissenbezüge".

    Doch der 16 Jahre ältere Le Corbusier erkennt schnell die Könnerschaft der jungen Charlotte Perriand, die er als gleichberechtigte Partnerin in seinem Büro aufnimmt und der das Pariser Centre Pompidou jetzt eine große Retrospektive widmet.

    Gleich am Eingang betritt der Besucher die am Le Corbusier’schen Vorbild geschulte Welt der puristischen Architektur und Inneneinrichtung der Charlotte Perriand. Ihr Pariser Dachgeschossappartement mit seinen lang gestreckten Glasfronten ist hier in Teilen nachgebaut. Formal bedingungslos schlicht und konsequent streng ihrer Funktion als Stuhl, Bett oder Tisch gehorchend verbreiten ihre meist aus Metall und poliertem Holz gefertigten Möbel eine etwas unterkühlte Stimmung, die dennoch eine angenehme Ruhe ausstrahlt. Für Perriand ist dies der Wohnstil des modernen Großstädters.

    Ein Foto zeigt sie entspannt posierend auf einem der Designklassiker des 20. Jahrhunderts, der Chaise longue LC 4 aus verchromtem Stahl und schwarzem Leder. Perriand hatte das Möbel zusammen mit Le Corbusier und Jeanneret im Atelier entworfen. Als Le Corbusier die Herstellungsrechte des LC 4 in den 1950er Jahren weitergibt, taucht nur noch sein eigener Name als Autor des Klassikers auf. Jeanneret und Perriand gehen leer aus. Doch dies scheint sie nicht sonderlich zu stören. Was zählt, ist etwas anderes, wie Perriand in einem über Lautsprecher in Ausschnitten eingespielten Radiointerview, das sie 1984 als über 80Jährige gibt, einräumt.

    "Für uns zeichnete sich die damalige Epoche, im Gegensatz zur heutigen, durch große Euphorie aus, denn es gab etwas, an das wir fest glaubten. Wir waren davon überzeugt, was wir sagten und taten und wir wollten auch dafür kämpfen…"

    Mit dieser Einstellung befand sich Perriand in guter Gesellschaft. Der 2. internationale Kongress für moderne Architektur wirft 1929 unter der Federführung von Walter Gropius das Problem der Minimalwohnung auf, vor das sich die schnell wachsenden Industriestädte gestellt sehen. Wie der arbeitenden Bevölkerung auf kleinster Grundfläche funktional ausgeklügelter, hygienisch tadelloser und zugleich erschwinglicher Wohnraum zur Verfügung gestellt werden könnte, das bewegt auch die Gemüter im Atelier Le Corbusiers. An den Entwürfen für die "14qm-Wohnzelle pro Einwohner" arbeitet auch Perriand mit. Doch ihre Gedanken zur Minimalbehausung schweifen in anderer Richtung weiter. Die Ausstellung zeigt Modelle und Zeichnungen ihres überall schnell aus Holz aufzustellenden Wochenendhäuschens fürs Seeufer oder des Aluminium-Biwaks im Baukastensystem für Bergsteiger und Skifahrer.

    Die zünftig hölzerne und dennoch funktional schlichte Inneneinrichtung der von ihr für ein französisches Alpental erdachten Ferienappartements für Wintersportler kontrastiert mit der edlen Ausstattung des Direktorenbüros der Air France im brasilianischen Rio und den simplen, aber farbenfrohen Studentenzimmern in der Cité universitaire am südlichen Pariser Stadtrand.

    "Man muss sich in die jeweilige Aufgabenstellung völlig hineinversetzen, sie verinnerlichen. Auf alle Fragen muss es exakte Antworten geben. Wichtig sind die Wahl des Materials und auch die Rücksicht auf die ökonomischen Voraussetzungen. Ärmlich können Materialien eigentlich nie sein, denn wenn sie gut eingesetzt werden, entsteht etwas Nobles."

    Diesem Credo ist die 1999 im Alter von 96 Jahren verstorbene Charlotte Perriand zeitlebens treu geblieben. Als wahrhaft nobel kann ihr Originalbuffet mit Schiebetüren gelten, für das auf einer Auktion vor einigen Jahren knapp 300.000 € bezahlt wurden. Ein Verfechter der Serienproduktion für jedermann ist Charlotte Perriand, anders als ihre Zeitgenossen am deutschen Bauhaus, wohl nicht gewesen.
    Das Centre Pompidou in Paris
    Das Centre Pompidou in Paris (AP Archiv)