"Die Zuschauer im Berliner Olympiastadion sind am 2. August 1936 völlig begeistert, als der schwarze Sprinter Jesse Owens die Paradedisziplin, den 100-Meterlauf gewinnt. Die NS-Machthaber sind fassungslos, dass ein 23-jähriger junger Mann aus Alabama, Sohn eines einfachen Baumwollpflückers, während der olympischen Spiele 1936 in Berlin insgesamt vier Goldmedaillen gewinnt. Auch im olympischen Dorf ist er ein Star."
Das befindet sich im havelländischen Elstal, 14 Kilometer westlich von Berlin. Und ist bis heute ein vergessener Ort mit einer bewegten Geschichte, erzählt Klaus Michels. Seit mehreren Jahren führt er Besucher durch das Olympische Dorf, das zunehmend verfällt. Wie Schimären erblickt man in einer hügeligen Landschaft geheimnisvolle Ruinen und Bauten, die von einer längst vergangenen Zeit erzählen.
"Wichtig zu wissen ist, dass dieses Dorf, diese 55 Hektar, nach den Gesichtspunkten der Wehrmacht gebaut wurden, das heißt, von der Wehrmacht für die Wehrmacht. Der deutsche Sport hat hier nicht einen einzigen Cent für ausgegeben. Mit der Absicht halt, wenn die Olympioniken halt, als Gäste hier aus den Häusern hier ausgezogen sind, im August 1936, dann sollte sofort die Infanterieschule des Heeres hier rein. Hier wurden also von 1936 bis 1945 Offiziere in verschiedenen Führungsebenen ausgebildet."
Mit der baulichen Planung und Gesamtleitung beauftragte 1935 der damalige Reichskriegsminister den Schöpfer des Reichssportfeldes und Erbauer des Berliner Olympiastadions, das NSDAP-Mitglied Werner March. In nur zwei Jahren entstanden über 150 Gebäude, von denen heute noch viele erhalten sind. Unter anderem mehrere ein- und zweigeschossige Wohnbauten, die Schwimmhalle, deren Besonderheit war, dass man direkt vom Sportfeld über eine hochziehbare Glasfront zum Schwimmbecken gelangen konnte. Fast 50 Jahre war sie erhalten, und wurde 1993 durch Brandstiftung erheblich zerstört. Erhalten ist auch, neben der Turnhalle, das in Ellipsenform angelegte Speisegebäude: ein Bau, der an ein Sanatorium der 20 Jahre angelehnt ist, und darauf hinweist, dass das Dorf von vornherein nie nur für zivile Zwecke geplant war. Es ist also augenscheinlich, dass das olympische Dorf keineswegs eine friedliche Oase war, wie die NS-Machthaber glaubhaft machen wollten.
"Es ist ja in der Form einer Gartenstadt geplant; mit den verschiedenen 140 Häusern, die alle sehr flach sind, und die sich sehr schön in die Natur, auch in das profilierte Gelände einpassen, und dazu kommen die völlig überdimensionierten Wirtschaftsgebäude. Also das Speisehaus der Nationen ist für die Menschen, die dort wohnten, das waren ja am Ende dreieinhalbtausend, viel zu groß geraten. Der Grund liegt darin, das von Anfang an vorgesehen war, das Speisehaus später in ein Militärlazarett umzufunktionieren","
… erzählt Volker Kluge, Autor einer Filmdokumentation über das Olympische Dorf, der noch Zeitzeugen von damals gesprochen hat. Als ehemaliges Führungsmitglied des Nationalen Olympischen Komitees der DDR, hat er bereits seit Jahrzehnten privilegierte Einblicke in das Olympische Dorf, das zu DDR Zeiten eine verbotene Stadt war.
In seiner mehr als 50-jährigen Bewirtschaftung wurde das Olympische Dorf nur knapp zwei Monate zivil genutzt. Vom Ende der Olympischen Spiele bis 1945 war es eine Ausbildungsstätte der Wehrmacht. Nach dem Krieg und bis zum Abzug der Truppen 1992 übernahm das Gelände die Rote Armee und machte es zu einem Wohnquartier ihrer Offiziere.
Anfang der 70er-Jahre war es sogar ein Vorbereitungszentrum der sowjetischen Olympiamannschaft für die Spiele 1972 in München. Doch um diese diversen Geschichtsschichten will sich die Kulturstiftung der Deutschen Kreditbank, Besitzerin des Geländes nicht kümmern. Man hat nur eins im Blick, so Martin Honnerla, Sprecher der DKB Stiftung:
""Das was wir wirklich zeigen wollen, ist die Fröhlichkeit, die positiven Seiten des Wohnens 1936. Dort hat die Politik eigentlich kaum stattgefunden."
Nach derzeitiger Quellenlage ist das eine völlige Fehleinschätzung. Man muss diese Sicht der Dinge, indem den Blick verstellt, und die herrschende Ambivalenz von Architektur, Propaganda, Repression und Drohgebärden einfach negiert, schlicht für naiv bis gefährlich halten. Dass die DKB Stiftung das Areal jedoch geradezu stiefmütterlich behandelt, ist verantwortungslos. Denn 500.000 Euro sind zum Erhalt für ein 55 Hektar großes Gelände nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, mit dem man den Verfall nicht aufhalten kann. So will man erst nächstes Jahr, also 16 Jahre nach dem Brand, das einzigartige Schwimmbad durch ein neues Dach vor weiteren Schäden schützen. Noch mal Publizist Volker Kluge:
"Es ist ja so, dass die Uhr tickt in der Hand derjenigen, die dort wirklich wie die Jungfrau zum Kind gekommen sind. Denn die DKB hat ja nicht gewusst, was sie sich da einhandelt. Zumindest haben sie das nicht so zur Kenntnis nehmen wollen. Und ich vermute, dass es da noch so manche Überraschung gibt. Nicht nur angenehme."
Das Olympische Dorf in Elstal bei Berlin ist ganz im Sinne des Historiker Karl Schlögel ein Raum, der Geschichte repräsentiert. Besonders deutlich wird das am früheren Hindenburg Haus, dem Kulturhaus für die Sportler, das zu Sowjetzeiten, das Haus der Offiziere war. Bis heute sind Sätze wie "Ich baue fest auf dich, deutsche Jugend" an der Wand zum Hof erkennbar. Im Festsaal erstrahlt ein überlebensgroßer Lenin, an anderer Stelle sieht man monumentale sowjetische Wandgemälde, die den berühmten Fotografien von Jewgenij Chaldej nachempfunden sind. Die Farbe blättert ab, und keiner kümmert sich um deren Erhalt. Fatal, denn gerade an diesem Ort kann man wie in einem Geschichtsbuch, die Welt der letzten 70 Jahre in einzigartiger Weise erfahren.
"Nun ist das Gemeinwesen aufgerufen, dort deutlich zu werden lassen, was es wirklich war. Also eine Dokumentation zu bringen, vielleicht auch im Sinne einer Präsentation, wo sich Kinder, Jugendliche aber auch Erwachsene damit konfrontiert sehen, um zu erkennen, was wirklich mit Geschichte getrieben wurde."
So der Vorschlag des brandenburgischen Landeskonservators Detlef Karg, der dazu rät, Geschichte an authentischen Erinnerungsorten plastisch darzustellen; auch um den Verfall eines einzigartigen Flächendenkmals aufzuhalten.
Und damit sind das IOC, das NOK und die Sportverbände aufgerufen, die die Verpflichtung und Verantwortung haben, sich dem weltweit einzig ursprünglich erhaltenen olympischen Dorf zuzuwenden, um eine internationale Begegnungsstätte und einen Mahnort zu schaffen, an dem bestens gezeigt werden kann, wie der Sport beziehungsweise die olympische Idee im Sinne der Politik immer wieder instrumentalisiert wurde. Dass dafür aber keiner Geld ausgeben will, erstaunt die Potsdamer Sporthistorikerin wenig.
"Das fügt sich ein in das Gesamtbild historischer Aufarbeitung in Deutschland, speziell wenn es um Sportaufarbeitung geht. Und hieran sieht man, dass der organisierte Sport einerseits sehr viel Geld dafür ausgibt, um Medaillen zu produzieren, auf der anderen Seite eher wenig Geld bereitstellt, um die eigene Vergangenheit kritisch zu durchleuchten."
Das befindet sich im havelländischen Elstal, 14 Kilometer westlich von Berlin. Und ist bis heute ein vergessener Ort mit einer bewegten Geschichte, erzählt Klaus Michels. Seit mehreren Jahren führt er Besucher durch das Olympische Dorf, das zunehmend verfällt. Wie Schimären erblickt man in einer hügeligen Landschaft geheimnisvolle Ruinen und Bauten, die von einer längst vergangenen Zeit erzählen.
"Wichtig zu wissen ist, dass dieses Dorf, diese 55 Hektar, nach den Gesichtspunkten der Wehrmacht gebaut wurden, das heißt, von der Wehrmacht für die Wehrmacht. Der deutsche Sport hat hier nicht einen einzigen Cent für ausgegeben. Mit der Absicht halt, wenn die Olympioniken halt, als Gäste hier aus den Häusern hier ausgezogen sind, im August 1936, dann sollte sofort die Infanterieschule des Heeres hier rein. Hier wurden also von 1936 bis 1945 Offiziere in verschiedenen Führungsebenen ausgebildet."
Mit der baulichen Planung und Gesamtleitung beauftragte 1935 der damalige Reichskriegsminister den Schöpfer des Reichssportfeldes und Erbauer des Berliner Olympiastadions, das NSDAP-Mitglied Werner March. In nur zwei Jahren entstanden über 150 Gebäude, von denen heute noch viele erhalten sind. Unter anderem mehrere ein- und zweigeschossige Wohnbauten, die Schwimmhalle, deren Besonderheit war, dass man direkt vom Sportfeld über eine hochziehbare Glasfront zum Schwimmbecken gelangen konnte. Fast 50 Jahre war sie erhalten, und wurde 1993 durch Brandstiftung erheblich zerstört. Erhalten ist auch, neben der Turnhalle, das in Ellipsenform angelegte Speisegebäude: ein Bau, der an ein Sanatorium der 20 Jahre angelehnt ist, und darauf hinweist, dass das Dorf von vornherein nie nur für zivile Zwecke geplant war. Es ist also augenscheinlich, dass das olympische Dorf keineswegs eine friedliche Oase war, wie die NS-Machthaber glaubhaft machen wollten.
"Es ist ja in der Form einer Gartenstadt geplant; mit den verschiedenen 140 Häusern, die alle sehr flach sind, und die sich sehr schön in die Natur, auch in das profilierte Gelände einpassen, und dazu kommen die völlig überdimensionierten Wirtschaftsgebäude. Also das Speisehaus der Nationen ist für die Menschen, die dort wohnten, das waren ja am Ende dreieinhalbtausend, viel zu groß geraten. Der Grund liegt darin, das von Anfang an vorgesehen war, das Speisehaus später in ein Militärlazarett umzufunktionieren","
… erzählt Volker Kluge, Autor einer Filmdokumentation über das Olympische Dorf, der noch Zeitzeugen von damals gesprochen hat. Als ehemaliges Führungsmitglied des Nationalen Olympischen Komitees der DDR, hat er bereits seit Jahrzehnten privilegierte Einblicke in das Olympische Dorf, das zu DDR Zeiten eine verbotene Stadt war.
In seiner mehr als 50-jährigen Bewirtschaftung wurde das Olympische Dorf nur knapp zwei Monate zivil genutzt. Vom Ende der Olympischen Spiele bis 1945 war es eine Ausbildungsstätte der Wehrmacht. Nach dem Krieg und bis zum Abzug der Truppen 1992 übernahm das Gelände die Rote Armee und machte es zu einem Wohnquartier ihrer Offiziere.
Anfang der 70er-Jahre war es sogar ein Vorbereitungszentrum der sowjetischen Olympiamannschaft für die Spiele 1972 in München. Doch um diese diversen Geschichtsschichten will sich die Kulturstiftung der Deutschen Kreditbank, Besitzerin des Geländes nicht kümmern. Man hat nur eins im Blick, so Martin Honnerla, Sprecher der DKB Stiftung:
""Das was wir wirklich zeigen wollen, ist die Fröhlichkeit, die positiven Seiten des Wohnens 1936. Dort hat die Politik eigentlich kaum stattgefunden."
Nach derzeitiger Quellenlage ist das eine völlige Fehleinschätzung. Man muss diese Sicht der Dinge, indem den Blick verstellt, und die herrschende Ambivalenz von Architektur, Propaganda, Repression und Drohgebärden einfach negiert, schlicht für naiv bis gefährlich halten. Dass die DKB Stiftung das Areal jedoch geradezu stiefmütterlich behandelt, ist verantwortungslos. Denn 500.000 Euro sind zum Erhalt für ein 55 Hektar großes Gelände nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, mit dem man den Verfall nicht aufhalten kann. So will man erst nächstes Jahr, also 16 Jahre nach dem Brand, das einzigartige Schwimmbad durch ein neues Dach vor weiteren Schäden schützen. Noch mal Publizist Volker Kluge:
"Es ist ja so, dass die Uhr tickt in der Hand derjenigen, die dort wirklich wie die Jungfrau zum Kind gekommen sind. Denn die DKB hat ja nicht gewusst, was sie sich da einhandelt. Zumindest haben sie das nicht so zur Kenntnis nehmen wollen. Und ich vermute, dass es da noch so manche Überraschung gibt. Nicht nur angenehme."
Das Olympische Dorf in Elstal bei Berlin ist ganz im Sinne des Historiker Karl Schlögel ein Raum, der Geschichte repräsentiert. Besonders deutlich wird das am früheren Hindenburg Haus, dem Kulturhaus für die Sportler, das zu Sowjetzeiten, das Haus der Offiziere war. Bis heute sind Sätze wie "Ich baue fest auf dich, deutsche Jugend" an der Wand zum Hof erkennbar. Im Festsaal erstrahlt ein überlebensgroßer Lenin, an anderer Stelle sieht man monumentale sowjetische Wandgemälde, die den berühmten Fotografien von Jewgenij Chaldej nachempfunden sind. Die Farbe blättert ab, und keiner kümmert sich um deren Erhalt. Fatal, denn gerade an diesem Ort kann man wie in einem Geschichtsbuch, die Welt der letzten 70 Jahre in einzigartiger Weise erfahren.
"Nun ist das Gemeinwesen aufgerufen, dort deutlich zu werden lassen, was es wirklich war. Also eine Dokumentation zu bringen, vielleicht auch im Sinne einer Präsentation, wo sich Kinder, Jugendliche aber auch Erwachsene damit konfrontiert sehen, um zu erkennen, was wirklich mit Geschichte getrieben wurde."
So der Vorschlag des brandenburgischen Landeskonservators Detlef Karg, der dazu rät, Geschichte an authentischen Erinnerungsorten plastisch darzustellen; auch um den Verfall eines einzigartigen Flächendenkmals aufzuhalten.
Und damit sind das IOC, das NOK und die Sportverbände aufgerufen, die die Verpflichtung und Verantwortung haben, sich dem weltweit einzig ursprünglich erhaltenen olympischen Dorf zuzuwenden, um eine internationale Begegnungsstätte und einen Mahnort zu schaffen, an dem bestens gezeigt werden kann, wie der Sport beziehungsweise die olympische Idee im Sinne der Politik immer wieder instrumentalisiert wurde. Dass dafür aber keiner Geld ausgeben will, erstaunt die Potsdamer Sporthistorikerin wenig.
"Das fügt sich ein in das Gesamtbild historischer Aufarbeitung in Deutschland, speziell wenn es um Sportaufarbeitung geht. Und hieran sieht man, dass der organisierte Sport einerseits sehr viel Geld dafür ausgibt, um Medaillen zu produzieren, auf der anderen Seite eher wenig Geld bereitstellt, um die eigene Vergangenheit kritisch zu durchleuchten."