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Im Virentempo um den Erdball

Medizin.- Weltweit starben bisher rund 18.000 Menschen an den Folgen der sogenannten Schweinegrippe. Wie schnell sich Epidemien aufgrund der hohen Mobilität der Menschheit ausbreiten können, darüber diskutierten Forscher aus Italien und den USA auf dem EuroScience Open Forum – ESOF – in Turin.

Von Michael Stang |
    Der Kontakt Mensch zu Mensch ist der wichtigste Faktor bei der Ausbreitung von Krankheiten. Und diese werden Dank der hohen Mobilität der Menschheit immer schneller übertragen. Mehr als 3,2 Milliarden Passagiere fliegen pro Jahr von einem Ort zum anderen und tragen so zur Dynamik von Epidemien bei. Während die globale Ausbreitung der Schweinegrippe 2009 anhand von Flugrouten rasch rekonstruiert werden konnte, gibt es bislang kaum Daten über die Verbreitungswege von Krankheiten in kleinen Gebieten, etwa in Städten. Eine Möglichkeit, dies zu untersuchen, ist der Abgleich von Telefondaten. Da beim Telefonieren mit einem Mobiltelefon der Standort vom Telefonanbieter lokalisiert wird, konnte Marta Gonzales vom Massachusetts Institute of Technology in den USA die anonymisierten Daten von 7,1 Millionen Menschen in 102 Städten untersuchen.

    "Dadurch konnten wir die die Mobilität von einzelnen Individuen anschauen. Danach haben wir die Daten hinsichtlich der Reisewege von ganzen Populationen analysiert und konnten sehen, welche Regionen besonders stark bei einer Ausbreitung einer Krankheit gefährdet sind. Dies war wichtig, da wir die Mobilität nicht nur innerhalb einer Stadt, sondern auch zwischen Regionen untersucht haben."

    Mithilfe dieser Daten konnte Marta Gonzales für jede untersuchte Stadt ein Netzwerk erstellen. Aus diesem lassen sich wichtige Transportwege ablesen, über die sich im Falle einer Epidemie eine Krankheit innerhalb der Stadt ausbreiten oder zur nächsten Stadt gelangen kann. Aber nicht nur die Mobilität von Personen ist ein entscheidender Faktor, um exakte Vorhersagemodelle für die Ausbreitung eines Virus machen zu können. Auch die Interaktion von Menschen dürfe nicht vernachlässigt werden, sagt Alan Barrat vom Zentrum für theoretische Physik der Universität Marseille.

    "Wir müssen die Dynamik von sozialen Kontakten und die damit einhergehende Entwicklung von Epidemien besser verstehen. Wir haben aber bislang keine guten mathematischen Modelle, die Verbreitungswege von Krankheiten vorhersagen können. Da persönliche Kontakte einer der wichtigsten Übertragungswege von Viren sind, müssen wir diese sozialen Interaktionen besser untersuchen."

    Seine Idee war einfach: Wenn Personen etwa in einem öffentlichen Gebäude einen Funkchip tragen, kann man messen, wenn sich zwei Personen räumlich betrachtet näher kommen. Um die Häufigkeit und Länge dieser sozialen Kontakte zu messen, lies Alan Barrat RFID-Chips programmieren, die nur reagieren, wenn der Chip einer anderen Person maximal 1,5 Meter entfernt ist. In den vergangen zwei Jahren untersuchte der französische Forscher die Anzahl der Kontakte und die Dauer der Gespräche von Menschen in Museen, Büros, Schulen, Krankenhäusern und auf Konferenzen. Die freiwilligen Studienteilnehmer trugen die Chips vorne am Körper, etwa am Namenschild oder in der Brusttasche.

    "Die meisten Kontakte bei den Konferenzen dauerten weniger als eine Minute, aber das war nicht die Regel. Es gab natürlich auch Gespräche, die bis zu einer halben Stunde lang waren. Menschen kommunizieren nicht einheitlich miteinander. Und das ist ein entscheidender Faktor, wenn wir mathematische Modelle erstellen wollen, die Ausbreitungswege vorhersagen sollen."

    Die Häufigkeit und Länge der Kontakte auf Konferenzen ähnelten sich stark, obwohl die Inhalte und damit auch die Zusammensetzung der Teilnehmer der einzelnen Kongresse verschieden waren. Da eine Infektionsgefahr bei einem kurzen Gespräch geringer ist als bei einem langen, konnte Alan Barrat diese Daten in sein Modell einrechnen.

    Die Studie im Krankenhaus hingegen zeigte ein völlig anderes Bild. Zwar gab es viele Kontakte zwischen Patienten und Ärzten oder Krankenschwestern, jedoch kaum Gespräche zwischen den Patienten selber. Damit können sich unter diesem Gesichtspunkt ansteckende Krankheiten weniger schnell ausbreiten als bislang angenommen. Da sich die Datensätze in allen untersuchten öffentlichen Gebäuden erheblich unterschieden, können bei Modellen keine Standardgrößen – 500 Leute im Gebäude bedeuten automatisch eine hohe Infektionsrate – eingerechnet werden. Demnach müssen für jedes Szenario, wo, wie und wie schnell sich eine Krankheit ausbreiten kann, exakte Daten über die Transportwege, die Art der öffentlichen Gebäude etc. existieren, um verlässliche Vorhersagen machen zu können.