Koldehoff: Er ist eigentlich derjenige, der die Deutschen abgebildet hat und sie fast enzyklopädisch dokumentiert hat. Man könnte ihn fast ein bisschen, er selbst verweigert das zwar, aber ich glaube, man kann es trotzdem tun, in die Nachfolge von August Sander stellen, der ja damals versucht hat, so etwas wie ein Typologie der Deutschen in der Weimarer Republik aufzustellen. Stefan Moses hat das ab 1950, als er nach München kam, fortgesetzt. Er hat sich zunächst mal bemüht, so etwas wie aussterbende Berufe zu dokumentieren, hat damit also ganz unmittelbar sogar an August Sander angeknüpft, obwohl er sagt, er kenne von August Sander höchstens zwei, drei Postkarten zu diesem frühen Zeitpunkt. Er fotografiert also in Fabriken, fotografiert Rollmopswicklerinnen, Bäckereisverkäuferinnen, Straßenbahnschaffnerinnen in Köln und versucht auf diese Art und Weise ein nicht repräsentatives aber doch einigermaßen allgemeingültiges Bild der Deutschen zu schaffen. Später kommen dann andere Ideen, man würde so etwas heute konzeptuelle Fotografie nennen, damals gab es diesen Begriff noch nicht. Er hat nämlich eine Mischform entwickelt, die auf der Grenze zwischen der inszenierten und der nicht-inszenierten Fotografie liegt. Er schafft so etwas wie einen äußeren Rahmen, indem er irgendwann auf die Idee kommt, mit einem großen fünf mal sechs Meter großen Filztuch durchs Land zu reisen und auf dieses Filztuch prominente und unbekannte Menschen in Deutschland zu stellen. Es gibt in diese Ausstellung also wunderbare Aufnahmen von Heiner Müller vor einem gigantischen Plattenbau auf diesem Filztuch, es gibt aber auch den Menschen von nebenan, dessen Namen heute keiner mehr kennt und auf die Weise setzt er die Arbeit fort. Er kommt auf die Idee, die großen, alten in dieser Republik zu fotografieren, geht mit Leuten wie Heinrich Böll oder Willy Brandt, Hans-Magnus Enzensberger, Günter Grass, Walter Jens, Ernst Bloch und auch Ernst Jünger in den Wald und stellt diese Leute in diesen mythischen Ort Wald, wo sie so jeder Umgebung und auch jeglichen Machtstatus beraubt sind und fotografiert sie dort einfach nur als Menschen. Und es ist hoch spannend, sich in dieser Ausstellung die großen Abzüge anzusehen, in die Gesichter der Leute, die man aus dem Fernsehen kennt zu blicken und zu merken, wie Willy Brandt plötzlich ganz unsicher ist, wie Marianne Hoppe ganz selbstbewusst auf die Kamera zugeht, wie die Schauspielerin Tilla Durieux selbst im Wald anfängt, zu schauspielern und mit ihrer Brille Mätzchen zu machen.
Köhler: Ich war offen gestanden erst ein bisschen im Zweifel und glaubte, Stefan Moses als einen Traditionalisten zu kennen. Aber wenn ich Ihnen da so zuhöre, dann ist es ja doch weitaus mehr als nur dokumentarisches Abbild. Er greift also schon in das Framing, sagt man heutzutage, also in die Situation, ein?
Koldehoff: Das tut er und er macht etwas, was heute hochmodern ist: Er hinterfragt, wie es so neuhochdeutsch immer schön heißt, die Möglichkeiten des Mediums Fotografie und das tut er schon in den 50er, 60er-Jahren. Da geht er hin und stellt Adorno vor einen mannshohen Schneidereispiegel, drückt ihm einen Selbstauslöser in die Hand und sagt: hier, machen Sie mal, fotografieren Sie sich selbst, so wie Sie sich gerne sehen möchten und dabei wiederum fotografiert Stefan Moses dann Theodor Adorno, der sich fotografiert, also das Bild im Bild im Bild. Hochmodern.
Köhler: Berühmtes Bild, Adorno mit mehr oder weniger zusammengekniffenen Knie sitzend.
Koldehoff: So ist es.
Köhler: Der Nachkriegsweltgeist verschämt vorm Spiegel. Der große amerikanische Piktorialist Edward Steichen macht im Krieg Fotodokumentationen von Angriffen und nach dem Krieg 1955 die berühmte Ausstellung 'Family Of Man'. was machte Stefan Moses in den Jahren?
Koldehoff: Eigentlich so etwas wie die 'Family Of Germans' und er hat mir auch gesagt, dass er sich sehr geärgert hat, dass ihm dieser Begriff damals nicht eingefallen sei, weil der nämlich ganz wunderbar zu seinem Werk gepasst hat. Bis 1989 ist er nie in die DDR gereist. Er stammt selbst aus Liegnitz, hat dann auch in Potsdam eine Zeit und in Weimar gelebt, sich aber nie getraut, in die DDR zu fahren, weil er immer gefürchtet hat, dass seine Bildreportagen, die in Deutschland auch veröffentlicht worden sind im Spiegel oder im Stern zum Beispiel, dort nicht goutiert worden sein könnten. Als dann die Mauer auf ist, fährt er sofort rüber, setzt dann das fort, was er in den 80er-Jahren im Westen getan hatte. Er nimmt sein großes Filztuch mit und fotografiert nach den Deutschen im Westen jetzt die Deutschen im Osten. Und damit ist diese 'Family Of Germans' komplett.
Köhler: Könnte man zusammenfassend wagen, zu sagen, er ist am Ende dann doch ein größerer Bildjournalist der inneren Verfassung unserer Republik, der erst geteilten und dann wiedervereinigten und weniger ein richtungsweisender Künstler?
Koldehoff: Ich würde sagen, er ist beides. Einmal der große Fotoreporter, der die Befindlichkeit und die äußere Erscheinung dieser Republik wie kein Zweiter kontinuierlich seit 1950, das muss man sich immer wieder klarmachen, dokumentiert hat. Ihm sind aber auch große Bildfindungen gelungen. Künstlern einfach zu sagen: Schafft euch eine Maske und dann Otto Dix zu fotografieren, wie er sich einfach nur eine Papierschere als Maske vor die Augen hält und da durchblickt - das sind schon großartige Ideen, die viel mehr sind als reine Dokumentarfotografie, das ist große Kunst.
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Köhler: Ich war offen gestanden erst ein bisschen im Zweifel und glaubte, Stefan Moses als einen Traditionalisten zu kennen. Aber wenn ich Ihnen da so zuhöre, dann ist es ja doch weitaus mehr als nur dokumentarisches Abbild. Er greift also schon in das Framing, sagt man heutzutage, also in die Situation, ein?
Koldehoff: Das tut er und er macht etwas, was heute hochmodern ist: Er hinterfragt, wie es so neuhochdeutsch immer schön heißt, die Möglichkeiten des Mediums Fotografie und das tut er schon in den 50er, 60er-Jahren. Da geht er hin und stellt Adorno vor einen mannshohen Schneidereispiegel, drückt ihm einen Selbstauslöser in die Hand und sagt: hier, machen Sie mal, fotografieren Sie sich selbst, so wie Sie sich gerne sehen möchten und dabei wiederum fotografiert Stefan Moses dann Theodor Adorno, der sich fotografiert, also das Bild im Bild im Bild. Hochmodern.
Köhler: Berühmtes Bild, Adorno mit mehr oder weniger zusammengekniffenen Knie sitzend.
Koldehoff: So ist es.
Köhler: Der Nachkriegsweltgeist verschämt vorm Spiegel. Der große amerikanische Piktorialist Edward Steichen macht im Krieg Fotodokumentationen von Angriffen und nach dem Krieg 1955 die berühmte Ausstellung 'Family Of Man'. was machte Stefan Moses in den Jahren?
Koldehoff: Eigentlich so etwas wie die 'Family Of Germans' und er hat mir auch gesagt, dass er sich sehr geärgert hat, dass ihm dieser Begriff damals nicht eingefallen sei, weil der nämlich ganz wunderbar zu seinem Werk gepasst hat. Bis 1989 ist er nie in die DDR gereist. Er stammt selbst aus Liegnitz, hat dann auch in Potsdam eine Zeit und in Weimar gelebt, sich aber nie getraut, in die DDR zu fahren, weil er immer gefürchtet hat, dass seine Bildreportagen, die in Deutschland auch veröffentlicht worden sind im Spiegel oder im Stern zum Beispiel, dort nicht goutiert worden sein könnten. Als dann die Mauer auf ist, fährt er sofort rüber, setzt dann das fort, was er in den 80er-Jahren im Westen getan hatte. Er nimmt sein großes Filztuch mit und fotografiert nach den Deutschen im Westen jetzt die Deutschen im Osten. Und damit ist diese 'Family Of Germans' komplett.
Köhler: Könnte man zusammenfassend wagen, zu sagen, er ist am Ende dann doch ein größerer Bildjournalist der inneren Verfassung unserer Republik, der erst geteilten und dann wiedervereinigten und weniger ein richtungsweisender Künstler?
Koldehoff: Ich würde sagen, er ist beides. Einmal der große Fotoreporter, der die Befindlichkeit und die äußere Erscheinung dieser Republik wie kein Zweiter kontinuierlich seit 1950, das muss man sich immer wieder klarmachen, dokumentiert hat. Ihm sind aber auch große Bildfindungen gelungen. Künstlern einfach zu sagen: Schafft euch eine Maske und dann Otto Dix zu fotografieren, wie er sich einfach nur eine Papierschere als Maske vor die Augen hält und da durchblickt - das sind schon großartige Ideen, die viel mehr sind als reine Dokumentarfotografie, das ist große Kunst.
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