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Imam mit deutschem Abschluss

Der deutsche Wissenschaftsrat hat empfohlen, Imame und islamische Religionslehrer, die in Deutschland arbeiten, auch in Deutschland auszubilden. Die meisten Imame hierzulande werden bislang von der staatlichen Religionsbehörde in der Türkei ausgebildet - ein Besuch vor Ort.

Von Gunnar Köhne | 03.02.2010
    Ali Bardakoglu Theologieprofessor und Chef der türkischen Religionsbehörde DIYANET, hat für dieses Jahr einen Meilenstein für den Islam angekündigt: eine umfangreiche moderne Koran-Exegese, erarbeitet von den führenden Theologen der Türkei. Ein Mammut-Projekt, das den Islam vom Vorwurf der Rückständigkeit befreien und Maßstäbe setzen soll:

    "Die Türkei ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Land in der islamischen Welt. Das merke ich an den zahlreichen Besuchern, die aus dem Nahen Osten und Asien zu uns kommen. Uns ist es gelungen, das moderne Leben, die Demokratie und den Glauben miteinander zu versöhnen. Wir leben ja nicht mehr im 5., sondern im 21. Jahrhundert. Für den Frieden müssen wir Glauben und Wissen miteinander in Einklang bringen."

    Es gibt derzeit – das erkennt selbst der Vatikan an – keine mutigeren islamischen Reformer als die sogenannte "Ankaraner Schule", aus der auch Bardakoglu stammt. Für die Wissenschaftler der theologischen Fakultät in der Hauptstadt steht die Erkenntnis im Mittelpunkt, dass die Prinzipien des Koran universelle Gültigkeit besitzen, dass der Koran aber in einem historischen Kontext offenbart worden ist und auf konkrete historische Situationen Bezug nimmt. Wer immer, wo auch immer moderne islamische Theologie lehren will, wird auf die Ankaraner Schule zurückgreifen müssen. Vielleicht hat Bardakoglu deshalb auf die Imam-Ausbildungspläne der Deutschen bislang überhaupt nicht reagiert. Die 800 Imame, die seine Behörde nach Deutschland geschickt hat, sind theologisch gut ausgebildet. Und neuerdings werden sie auch besser auf ihren Dienst in Almanya vorbereitet: Sie müssen in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in Ankara Sprach – und Landeskundekurse absolvieren, und sind auch während ihres vierjährigen Aufenthalts in Deutschland angehalten, sich als Berater für Alltagsthemen der türkischen Gemeinde fortzubilden, etwa wenn Hilfestellung bei Familien- oder Schulproblemen gefragt sind.

    Stolz weist die Religionsbehörde in Ankara auch immer wieder darauf hin, dass die ins Ausland entsandten Geistlichen Beamte sind – dem Laizismus, also der strikten Trennung von Staat und Religion und der politischen Neutralität verpflichtet. Überwacht wird ihre Arbeit von einem Religionsattaché vom nächstgelegenen türkischen Konsulat aus. Die freitäglichen Predigttexte in deutschen Moscheen werden – wie in der Türkei auch – von der Religionsbehörde in Ankara vorgegeben. Meistens handelt es sich um allgemeine moralische Themen wie die Achtung der Familie oder die Bewahrung der Schöpfung. Auf Wunsch der Politik werden aber auch schon mal gesellschaftspolitische Themen wie Gewalt gegen Frauen behandelt. Aber der Imam als Autoritätsperson – das ist nach Ansicht des obersten Religionswächters der Türkei eine nicht mehr zeitgemäße Vorstellung:

    "Der Glauben gehört uns allen, nicht bloß den Theologen. Die Imame haben die Aufgabe, den Glauben auf die richtige Art und Weise an die Menschen weiter zu geben. Aber der Koran und der Prophet sind für uns alle da, nicht bloß für uns Imame. Der Glaube gehört allen Menschen."

    Gegen islamische Theologie an deutschen Hochschulen wird die Türkei nichts einzuwenden haben. Kritik gab es dagegen, als der Vorschlag aufkam, dass in den Moscheen nur noch Deutsch gesprochen werden solle. Ministerpräsident Erdogan hat eine Integration seiner Landsleute in Deutschland wiederholt unterstützt, vor einer Assimilation aber scharf gewarnt. Die Türken müssten ihre Sprache und Kultur bewahren dürfen. Außerdem hinterließ der Vorschlag für deutschsprachige Predigten in den hiesigen Medien den Eindruck, dass türkische Moscheebesucher unter Generalverdacht gestellt werden sollen, bloß weil sie in ihrer eigenen Sprache ihren Glauben bekunden. Warum, so wird gefragt, soll den Muslimen im Bereich des religiösen Bekenntnisses in Deutschland mehr sprachliche Integration abverlangt werden als anderen religiösen Gruppen – wie etwa amerikanischen oder griechisch-orthodoxen Christen?