Montag, 29. April 2024

Archiv


Immer noch eine Gefahr

Am kommenden Freitag ist Welt-Tuberkulose-Tag, denn am 24. März 1882 hat Robert Koch das Tuberkulose-Bakterium entdeckt. Viele Jahre lang glaubten die Experten, dass die Krankheit besiegt sei. Aber das Gegenteil ist der Fall. Jedes Jahr sterben rund zwei Millionen Menschen an Tuberkulose. Und immer mehr Bakterienstämme werden resistent. Tuberkulose ist vor allem eine Erkrankung der ärmeren Länder. Aber nicht nur dort. Letzte Woche hat die WHO ihre neue Strategie im Kampf gegen die Krankheit vorgestellt.

Von William Vorsatz | 21.03.2006
    Als Schwindsucht ist sie von früher her bekannt. Aus dunklen Zeiten mit Massenarmut und miserablen Lebensbedingungen. Die Bakterien befallen zuerst die Lunge und können dann über den Blutstrom jedes andere Organ erreichen und zerstören. Heute wird die Schwindsucht eher als Tuberkulose bezeichnet. Und sie meldet sich vehement zurück. Die Epidemiologin Bonita Broduhn vom Robert-Koch-Institut in Berlin:

    " Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation erkranken jedes Jahr etwa 8 bis 9 Millionen Menschen an einer Tuberkulose. Und knapp zwei Millionen Menschen sterben an den Folgen dieser Infektionskrankheit, und dies ist insofern besonders tragisch, da es eben wirksame Medikamente zur Behandlung einer Tuberkulose gibt. "

    Noch vor ein paar Jahrzehnten waren die Experten optimistisch: Sie dachten, die Seuche sei besiegt und immer seltener auftretende Infektionen könnten gut behandelt werden – Tuberkulose sei somit kein Thema mehr. Eine Therapie dauert jedoch sehr lange, etwas sechs Monate. Die Medikamente sind teuer und verursachen oft heftige Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Gründe genug, die Behandlung abzubrechen. So können sich leicht resistente Bakterienstämme bilden. Inzwischen sind vor allem multiresistente Keime zu einem ernsthaften Problem geworden. Sie sprechen auf mehrere Antibiotika nicht mehr an. Die Behandlung ist dann schwierig und kann zwei Jahre dauern. In vielen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ist das Gesundheitssystem in den neunziger Jahren zusammengebrochen. Die Folge: schon ein Drittel der Patienten reagiert auf ein Antibiotikum nicht mehr, bei 15 Prozent bleiben sogar mehrere Antibiotika wirkungslos.

    Und ein weiteres gravierendes Risiko konnten die Experten ebenfalls nicht voraus sehen: HIV und die Folgen für Tuberkulose. Stefan Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin zum aktuellen Ausmaß der Tuberkulose-Infektionen:

    " Ein Drittel der Weltbevölkerung, zwei Milliarden Menschen, sind mit dem Erreger infiziert. Die meisten werden gar nicht am Erreger erkranken, da ihr Immunsystem, die körpereigenen Abwehr, den Erreger in Schach hält. Wenn nun aber das Immunsystem, die körpereigene Abwehr, geschwächt wird, zum Beispiel durch HIV, dann bricht eben unsere Gegenmaßnahme zusammen, und dann kommt es viel häufiger zum Ausbruch der Tuberkulose. In der Tat können Sie berechnen, dass das Risiko einer Tuberkulose bei Doppelinfizierten, also bei Menschen, die mit HIV und mit Tuberkulose-Erreger gleichzeitig infiziert sind, dass dann das Risiko 500fach erhöht ist. "

    Am Schlimmsten trifft es die Menschen in den ärmsten Regionen von Afrika und Asien. Beispielsweise in Indien. Hier sind schon eine Millionen Menschen an Tuberkulose erkrankt. Auch Schutzimpfungen helfen oft nur noch wenig, sicher wirken sie nur beim Kleinkind. Und der geimpfte Körper hält die Tuberkuloseerreger dann lediglich niedrig , kann sie jedoch nicht restlos beseitigen. Wenn HIV dazu kommt, reicht dieser Schutz nicht mehr, die Tuberkulose bricht aus.

    Wegen der dramatischen Neuausbreitung der Seuche und angesichts der Multiresistenzen hat die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen in der letzten Woche eine neue Gegenstrategie verkündet. Sie fordert mehr Anstrengungen von den reichen Industriestaaten, vor allem mehr Geld für die Entwicklung neuer Impfstoffe und Therapien. Am Max-Plack-Institut für Infektionsbiologie forschen die Experten intensiv an einem neuen Impfstoff. Prof. Kaufmann:

    " Es war Jahrzehnte lang ruhig in der Entwicklung von Medikamenten gegen Tuberkulose, und erst in den letzten Jahren hat sich das Bild langsam geändert. Ich bin aber sehr zuversichtlich, und ich glaube, wenn jetzt private, also Industrie, und akademische, öffentliche Institutionen zusammen arbeiten, dann können wir hier in den nächsten fünf Jahren durchaus einen Durchbruch erwarten. Das bedeutet aber letztendlich, mit allen Testungen: zehn Jahre sind schnell vorbei, bevor etwas in die Länder zur Anwendung kommt. "

    Tuberkulose kennt, wie andere Erreger auch, keine Grenzen. Wenn die Ursachen in den armen Ländern nicht bekämpft werden, könnte die Krankheit auch in Deutschland wieder zum Problem werden. Vor allem in Großstädten mit vielen Zuwanderern. Hamburg und Berlin liegen mit 12 Erkrankten pro 100.000 Einwohnern deutlich vorn. Emigranten erkranken im Schnitt fünf Mal häufiger an Tuberkulose als der Rest der Bevölkerung.