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Immobilienboom in Stendal
Attraktiver Osten

2017 zogen erstmals mehr Menschen von West- nach Ostdeutschland als umgekehrt. Davon profitieren auch kleinere Städte im Osten. In der alten Hansestadt Stendal im Norden Sachsen-Anhalts steigen die Immobilienpreise - mit unterschiedlichen Folgen.

Von Christoph Richter | 03.04.2019
Sanierte Fachwerkhäuser sind in Stendal (Sachsen-Anhalt) in der Altstadt am Abend von der untergehenden Sonne beleuchtet.
Stendal punktet vor allem mit der guten Anbindung an den Fernverkehr. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
"Unsere Menschen lachen viel. Man muss ihnen nur ins Gesicht gucken. Wir sind hier eine ganz glückliche Stadt," sagt die 19-Jährige Abiturientin Claire Sophie. Mit ihren Eltern ist sie aus Niedersachsen in die Altmark, nach Stendal gezogen. Die Silhouette ist von den Kirchtürmen der Stadt, herrschaftlichen Patrizierhäusern und einem imposanten Rathaus geprägt. Mancherorts fühlt man sich in die Zeit des 14. und 15. Jahrhunderts versetzt, als Stendal eine der reichsten Städte Norddeutschlands war.
Alles ein bisschen wie im Fontaneroman. Alles saniert. Grau, neblig, dunstig und verfallen: Das ist lange her und nur noch auf schwarz-weiß Fotos aus DDR-Zeiten zu sehen. Vergangenheit.
Preise für Häuser und Grundstücke verdoppelt
"Die Häuser, die wir hatten, die haben wir fast alle verkauft. Auch einige, die wir schon über einen längeren Zeitraum im Angebot hatten", sagt Immobilienmakler Jürgen Lodders. Stendal sei ausverkauft. Die Kaufpreise für Wohnungen und Grundstücke ziehen mächtig an.
"20 bis 50 Prozent. So sind die Preise in letzter Zeit in die Höhe gegangen."
Vor Jahren in Stendal völlig undenkbar. Wer jetzt in der Stendaler Innenstadt ein saniertes Backsteinhaus aus der Gründerzeit kaufen wolle, müsse eine Menge Geld auf den Tresen legen.
"Unter 200.000 Euro ist da nichts zu machen. Vor zehn Jahren waren es noch 150.000, 120.000, wenn überhaupt. Jetzt kosten die 200.000 Euro, manchmal auch darüber."
"Berliner Vorort" in der Altmark
Der Hauptgrund dafür ist die strategisch vorteilhafte Lage. Für den Weg in Berlins Mitte braucht man gerademal 50 Minuten. Weshalb Stendal unter Pendlern bereits schon als Berliner Vorort gilt.
"Ach Rand-Berlin ... Rand-Hamburg sag ich mal. Stendal ist verkehrsgünstig gelegen. Man ist ruckzuck und preisgünstig in Berlin und in Hamburg. Und ist auch ganz schnell wieder zurück."
Thomas Richter-Mendau ist Investor. Zusammen mit seiner Frau hat der 51-Jährige 2013 das frühere Stendaler Gefängnis gekauft. Das liegt direkt hinter dem Dom, eine mächtige Backstein-Kathedrale aus der Zeit der Spätgotik.
Zu sehen ist das umgebaute Gefängnis mit roten Backsteinen von der Straße aus.
Statt Gefängnisinsassen wohnen im umgebauten Gefängnis nun Familien. (Christoph Richter)
Aus den Zellen, wo einst die Knackis saßen, hat man 24 Wohnungen gemacht. Zwischen 50 und 120 Quadratmeter groß. Die Netto-Kaltmiete beträgt etwa 7,50 Euro pro Quadratmeter.
"Also früher wollten nicht so viele ins Gefängnis. Aber der Mythos der schwebt immer noch über allem, obwohl der Knastcharakter gar nicht mehr gegeben ist."
Die Wohnungen wurden ihm geradezu aus den Händen gerissen, erzählt Thomas Richter-Mendau. Nicht nur von Stendalern. Die Anfragen seien aus ganz Deutschland gekommen.
"Wir haben hier einige, die sich entschlossen haben, nicht nach Hamburg zu ziehen. Um hier zu bleiben. Aber wir haben auch eine Familie aus Stade, die ist hierher gekommen. Und hat gesagt, wir verkaufen unser Haus da und kommen her, hier ist es schöner. Und da haben sie Recht."
Auch die Mieten steigen
Wo Licht ist, ist aber auch Schatten. Während sich Immobilienmakler über steigende Preise und Renditen von über acht Prozent freuen, wird es für Mieter in Stendal zunehmend schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Was gerade für Menschen mit kleinen Gehältern und Mini-Jobs, für Rentner und Hartz-4-Empfänger zum Problem wird, erzählt Angela Mattke. Die Juristin ist Vorsitzende des 2.000 Mitglieder großen Mietervereins "Stendal und Umgebung e.V."
"In den letzten Jahren war Stendal relativ ruhig, was Mieterhöhungen betrifft. Aber so seit gut einem Jahr ist da doch ein enormer Anstieg zu verzeichnen."
Mit dem Rückbau von Stendal-Süd, sei ein ganzes Stadtviertel von der Landkarte verschwunden. Die Wohnungen wurden damit künstlich verknappt, weshalb nun die Mieten explodieren.
"Wir merken das immer wieder. Eine Wohnungssuche im Hartz-4-Bereich ist ganz, ganz schwierig geworden."
Allein die Plattenbau-Wohnungen in dem zu DDR-Zeiten gebauten Satelliten-Viertel Stendal-Stadtsee seien für Menschen mit kleinem Geldbeutel gerade so noch bezahlbar, betont Mieter-Anwältin Angela Mattke.
"Wir sehen es immer wieder, dass Mieter dann auch gezwungen sind, dieses Mietverhältnis aufgeben zu müssen. Und es ist dann wahnsinnig schwer, im unteren Segment der Mieten, wieder wirklich normalen Wohnraum zu finden."
Vorbei ist die Zeit, als Häuser und Grundstücke im Osten zu Schnäppchenpreisen zu haben waren. Zwar sei das Wohnen in ländlichen Regionen immer noch günstiger als in den Ballungsräumen, heißt es etwa beim Immobilienverband IVD. Aber auf dem Land würden die Mietpreise derzeit prozentual viel stärker ansteigen, als in den Großstädten. Ein Trend, der nach Ansicht von Immobilien-Experten in den nächsten Jahren weiter anhalten werde.