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Importverbot für Wildkaviar

Für Gourmets, die zu Weihnachten und Sylvester gerne von schwarzem Wildkaviar naschen, hat das Jahr 2006 schlecht begonnen. In der vergangenen Woche hat die UN-Artenschutzbehörde CITES den Import von Wildkaviar verboten. Die USA - nach den EU der zweitgrößte Abnehmermarkt für Kaviar - haben die Einfuhr des begehrten Beluga-Kaviar bereits im vergangen Herbst verboten. Der Grund: Der weitaus größte Teil des frei gehandelten Kaviar ist laut der Umweltstiftung WWF illegal - auch in Deutschland, das EU-weit den größten Kaviarverbrauch hat. Die Störe im Kaspischen Meer, die 95 Prozent des schwarzen Kaviar für den Weltmarkt liefern, stehen vor dem Aussterben. Seit der Preis für schwarzen Kaviar explodiert ist, ufert der Schwarzmarkt für die Delikatesse aus. In Russland und Kasachstan lockt der Kaviarschmuggel mit Gewinnspannen wie sonst nur der Drogen- und Waffenschmuggel. Wird das internationale Verbot des Kaviarhandels das Leben der letzten wilden Störe retten? Ein Bericht von Andrea Rehmsmeier.

11.01.2006
    " Wollen Sie Kaviar? Kommen Sie in mein Geschäft! Ich habe verschiedene Sorten. Die hier ist die billigste, es ist Sevruga-Kaviar, eine 500-Gramm-Dose kostet 6500 Rubel. Und die hier kostet 10.000 Rubel, also 300 Euro. Es ist der wertvolle Beluga-Kaviar, er kommt aus Astrachan. Einen Stempel mit Produktionsdatum gibt es natürlich nicht. Der Kaviar stammt von Wilderern, darum ist er sehr frisch. So, und jetzt probieren Sie bitte! "

    In Moskau trifft man die Schwarzhändlerinnen überall. Sie sind sauber gekleidet und servil. Auf Märkten, unter Straßenunterführungen und an Straßenecken lauern sie auf gut gekleidete Passanten. Große Mühe, ihr illegales Geschäft zu verstecken, geben sie sich nicht. Denn meistens sind die Aufsichtsbeamten an dem Geschäft beteiligt. Auf dem russischen Schwarzmarkt kostet Kaviar nur ein Bruchteil von dem, was Gourmets in deutschen Feinkostläden zahlen müssen. Laut der Umweltstiftung WWF sind die Verkaufsregale in den Ländern der Europäischen Union mit gewildertem Kaviar überflutet. Das Geschäft verspricht Gewinnspannen wie sonst nur der Drogen- und Waffenhandel. In den Küstenregionen am Kaspischen Meer, wo Arbeitslosigkeit und Armut herrschen, ernähren Störwilderei und Kaviarschmuggel ganze Bevölkerungsschichten. Hier lebt auch der gelernte Kfz-Mechaniker Viktor. Seit er arbeitslos geworden ist, kauft er gewilderten Kaviar bei den Fischerfamilien ein. Die Ware verkauft er weiter an internationale Schmugglerringe, die von Wolgograd und Rostov aus agieren. Von dort geht sie in Touristenbussen auf den westeuropäischen Markt. Schuldig am Aussterben der Störe fühlt Viktor sich nicht. Denn die schlimmste Kaviar-Mafia, sagt er, sei der Staat. Das zu erkennen, sei einfach.

    " Wenn Konserven kein Produktionsdatum tragen, wie meine, dann ist klar, dass es sich um gewilderten Kaviar handelt. Das Problem ist nur: Es gibt viel mehr gewilderten Kaviar mit Stempel. Der stammt aus den staatlichen Kaviar-Unternehmen und ist er entsprechend teuer. Diese Staatsunternehmen sind höchst verdächtig: Schließlich ist kommerzieller Störfang offiziell verboten. Aber was für gewaltige Mengen an Kaviar werden dort hergestellt! Das kann nicht legal sein! Die Staatsunternehmen kaufen ihren Rogen nämlich ebenfalls bei den Wilderern ein - nicht anders als ich auch. Ob man den Kaviar also offiziell kauft oder bei mir, das macht kein Unterschied. Gewildert ist er sowieso. "

    Das wird nicht einmal von offizieller Seite bestritten: Der russische Kaviarmarkt sei durchweg illegal, ließ kürzlich das Landwirtschaftsministerium verlauten. Der russischen Regierung kommt das nicht ungelegen: Sie nutzt den ausgeuferten Schwarzhandel als willkommenes Argument, die lukrative Branche zum Staatsmonopol zu machen. Dass diese Maßnahme geeignet ist, den Stör zu retten, glauben Experten im In- und Ausland glauben nicht. Mit dem Staat als obersten Kaviarhändler wird der Bock zum Gärtner, denn die Aufsichtsbehörden gelten als höchst korrupt. Das bestätigt auch die Fischereiexpertin Ljudmilla Kiseljowa. Sie hat in den vergangenen Jahren ein UN-Projekt geleitet, das die russischen Küstenregionen zum Naturschutzgebiet machen soll.

    " Nicht die Bevölkerung stiehlt die riesigen Mengen an Fisch - sie wildert, um zu überleben. Schuld am Aussterben des Störs ist die Maßlosigkeit der offiziellen Fischfarmen, die all die Jahre ihre Fangquoten ausschöpfen durften. Denn statt einem Kilo Kaviar haben sie zwanzig produziert und mit offiziellen Papieren ausgestattet. So kam es zu der Überfischung. Und dann sind da noch die korrupten Behörden, die von den Schmiergeldern leben. Viele Beamte bekommen Geld dafür, dass kriminelle Wilderer ungestraft Störe fangen. "

    Jede noch so geringe Fangquote öffnet der Korruption Tür und Tor, glaubt Kiseljowa. Seit Jahren kritisiert sie die UN-Artenschutzbehörde CITES dafür, dass sie den Kaviarhandel nicht ganz untersagt hat. So hat 2005 der Gouverneur der Kaviarhochburg Astrachan den ersten Schritt getan und den Störfang in seinen Gewässern verboten. Jetzt, wo endlich auch die UN reagiert und den Import von Wildkaviar gestoppt hat, schöpft Kiseljowa wieder etwas Hoffnung. Doch sie fürchtet, dass diese Hilfe für den 200 Millionen Jahre alten Fisch zu spät kommt.

    " Das Wort von CITES hat bei uns großes Gewicht. Kein Land wird es wagen, gegen das Verbot von CITES Kaviar zu exportieren. Im Gegenteil: Der Importstopp sensibilisiert viele Entscheidungsträger für den Artenschutz - und das ist ja schon mal eine ganze Menge. Allerdings muss sich jetzt auch noch die Situation vor Ort ändern. Wir brauchen unabhängige Gutachten über die Störbestände und strenge Kontrollen - und das sehr schnell. Sonst gebe ich unseren wilden Stören nicht mehr länger als fünf Jahre. "