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In 17 Tagen um die Welt

Umwelt. - Die Helden von Jules Verne brauchten noch 80 Tage, um den Erdball zu umrunden, Rauchgase von großen Waldbränden schaffen das indes innerhalb von 17 Tagen. Dass Luftschadstoffe und Schwebstaub keine Grenzen kennen, belegen Studien der vergangenen Jahre. Staub aus der Sahara taucht über Deutschland auf, Emissionen von Waldbränden in Asien landen in Nordamerika. Bislang sei dieser interkontinentale Transport von Schadstoffen unterschätzt worden, so meinen deutsche Atmosphärenforscher in einer aktuellen Veröffentlichung.

Von Volker Mrasek |
    Es war im Mai 2003. Satellitenbilder zeigten riesige Rauchschwaden über dem Südosten Russlands. Auf einer Fläche so groß wie Schleswig-Holstein brannte der boreale Nadelwald in Sibirien. Unter Atmosphärenforschern machte die Nachricht weltweit rasch die Runde.

    Da hat es in einem sehr kurzen Zeitraum so viel gebrannt, wie normalerweise in einer ganzen Brandsaison

    ... konstatiert Atmosphärenforscherin Nicole Spichtinger. Ihr Kollege Andreas Stohl fügt hinzu:

    Wenn es also dort brennt, man sieht es im Satellitenbild, dann sind es Hunderte einzelne Brände. Und es bildet sich halt eine große Rauchwolke, die dann letzten Endes so wirkt, als wär es von einem einzigen großen Ereignis.

    Nicole Spichtinger und Andreas Stohl von der Abteilung für Ökologie der Technischen Universität München zögerten nicht lange. Gemeinsam mit anderen deutschen Experten beschlossen sie spontan, sich an die Fersen der Ruß- und Rauchgaswolke zu heften. Denn sie war groß genug, um erwarten zu dürfen, dass die Schwebteilchen oder Aerosole Kilometer hoch in die Atmosphäre aufsteigen würden, um dann auf Weltreise zu gehen - mit den großen Strömungen in der Lufthülle der Erde. Knapp drei Wochen später hatte Stohls Arbeitsgruppe an der TU München demonstriert,...

    ... dass so eine Schadstoffwolke wirklich einmal um den Globus treiben konnte.

    Dass Luftschadstoffe quer über den Atlantik segeln, von Nordamerika nach Europa, hat sich schon in den letzten Jahren herumgesprochen. dass Ruß und Rauch es aber sogar einmal um die ganze Erde schaffen können und am Ende wieder beim Absender landen - das ist so detailliert noch nicht gezeigt worden.

    Da gingen einige Brandwolken direkt nach Skandinavien. Aber der größere Teil ging eben in der Westwindzone zunächst nach Nordamerika. Und dann über Nordamerika hinweg bis nach Skandinavien. Und ging dann wieder zurück nach Sibirien, kam also nach etwa 17 Tagen wieder am Ursprungsort in etwa an. Das hat sich natürlich verdünnt. Zum Teil werden die Aerosole auch durch Niederschlag ausgewaschen. Aber es war immer noch zu sehen im Satellitenbild.

    17 Tage - so lange beschatteten die Wissenschaftler das vagabundierende Waldbrand-Aerosol. Atmosphärische Transportmodelle halfen ihnen, den Weg der Teilchen mit der Westwind-Drift fortlaufend vorherzusagen. Satelliten-Beobachtungen erlaubten es, die Prognosen zu überprüfen. Insgesamt fünf Weltraum-Instrumente beteiligten sich an der Verfolgungsjagd aus dem All, darunter eines auf dem europäischen Umweltsatelliten ERS-2. So geriet die Abbrand-Fahne nie aus dem Fadenkreuz der Forscher. Auf ihrer Welttournee huschte sie zeitweilig auch über Ost-Deutschland hinweg. Bodeninstrumente in Leipzig wiesen die Partikel laut Andreas Stohl zweifelsfrei nach:

    Das Signal, das die Leipziger gesehen haben, war enorm in der Rückstreuung. Diese Abgasfahne war in der Höhe zu beobachten, ist also zumindest über Europa nicht zum Boden gekommen. Aber es wäre durchaus möglich, dass solche Waldbrände auch über große Distanzen hinweg so viel Aerosole in die Luft pumpen, dass da Effekte auch auf die Gesundheit festzustellen sind. Es macht sicher einen gewissen Teil der Belastung, der wir täglich ausgesetzt sind an Schadstoffen, einfach aus.

    Denn irgendwann sinkt der Schwebstaub wieder zu Boden. In der Regel wird er mit Regenfällen aus der Atmosphäre ausgewaschen, wie die Forscher sagen. Die Frage ist nur: wo? Dass Schadstoffe mitunter weit reisen, sei keine Überraschung, sagt Nicole Spichtinger. Doch kaum jemand habe angenommen,...

    ...dass der Effekt so weiträumig sein könnte, dass halt auch Waldbrand-Emissionen so starken Einfluss nehmen können.

    In Zukunft dürften sie die Atmosphäre noch stärker belasten. Denn im Zuge der Klimaerwärmung nehmen Dürren zu, gerade in der borealen Zone höherer geographischer Breiten. Damit steigt auch das Risiko für Brände in den dort verbreiteten Nadelwäldern, zum Beispiel in Sibirien. Um so mehr, mahnen die Forscher, müsse man Vegetationsfeuer weltweit im Auge behalten.