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In Bremen ziehen "Die Grünen" erstmals in ein Landesparlament ein

Die Bremer Grüne Liste erreichte bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen 1979 auf Anhieb 5,4 Prozent. Die altehrwürdige Bürgerschaft der Hansestadt hatte plötzlich vier Abgeordnete in ihren Reihen, die nicht sitzen wollten, wo sie sollten, die ständig redeten, die alles in Frage stellten, keinen Schlips, dafür Blümchen unterm Arm trugen.

Von Andreas Baum | 07.10.2004
    Viele Jahre später gestand Hans Koschnik, der Regierende Bürgermeister Bremens, dass für ihn und andere Sozialdemokraten in dieser Nacht eine Welt zusammenbrach. Ausgerechnet in ihrer Hochburg Bremen wurde die SPD von links angegriffen - und spürbar angeschlagen. Sie verlor zwar nicht die absolute Mehrheit, wohl aber wichtige Wählerschichten.

    Die Grünen wurden auch für Bürgerliche wählbar.

    ... titelte die Frankfurter Rundschau, und das passte der SPD überhaupt nicht. In der Wahlnacht selbst zeigte Koschnik noch Haltung - und Mut zur Selbstkritik:

    Dieser Wahlkampf hat natürlich deutlich gemacht, dass es doch bestimmte Strukturveränderungen in der Wählerschaft gibt, die wir ernst nehmen müssen. Denn die vier Mandate bei den Grünen sind zu beachten. Sie kommen überwiegend aus gutbürgerlichen Wohngegenden. Dort, wo die Arbeiter wohnen, dort wo es Angst um Arbeitsplätze gibt, haben sie nicht zugewinnen können, jedenfalls nicht so entscheidend, und da wo man in sicherer Funktion und guter Umwelt lebt, kämpft man für eine bessere Umwelt. Dies müssen auch Sozialdemokraten bedenken, denn die Mehrheiten werden in der Mitte gewonnen und von daher haben wir noch einiges zu tun.

    5,4 Prozent erreichte die "Bremer Grüne Liste" am 7. Oktober 1979 und sprang auf Anhieb in die Bremer Bürgerschaft. Anfangs war sie als Grüppchen von Spinnern und Utopisten verunglimpft worden. Der Spott verging den Sozialdemokraten, als sie sehen mussten, dass immer mehr ihrer Genossen abtrünnig wurden und bei den Grünen eine neue politische Heimat fanden. Diese Wahl bedeutete auch in Stilfragen einen Bruch: Die altehrwürdige Bürgerschaft der Hansestadt hatte von nun ab vier Abgeordnete in ihren Reihen, die nicht sitzen wollten, wo sie sollten, die ständig redeten, die alles in Frage stellten, keinen Schlips, dafür Blümchen unterm Arm trugen. Und die - anders als die meisten Kollegen der etablierten Parteien - von Anfang an Medienstars waren. Für Peter Willers, ihren Spitzenkandidaten, war dieser Wahlabend erst der Anfang:

    Willers: Meiner Meinung nach ist dieses Wahlergebnis auch nur die Spitze eines Eisberges, diese Unzufriedenheit.
    Reporter: Kann man eine Politik gründen nur auf den Protest?
    Willers: Das ist keine alleinige Protestpolitik, die wir machen, sondern wir haben ganz konkrete und sehr dezidierte Vorstellungen darüber, wie es anders sein könnte. Wir haben eine sehr ins Detail gehende kommunalpolitische Politik vorgeschlagen. Unsere Vorstellungen sind kommunalpolitisch vor allem orientiert. Für Bremen.

    Die vier Grünen Abgeordneten in der Bürgerschaft begriffen es als ihre Pflicht, erstarrte Sitten aufzulockern. Der sozialdemokratische Bürgerschaftspräsident Dieter Klink, der sich ohnehin schwer daran gewöhnen konnte, dass die Grünen sich im Plenarsaal küssten und Lieder von Brecht intonierten, erinnerte sich später mit Grausen:

    Der Grüne Axel Adamiet meldete sich zu Wort, ging ans Rednerpult, sprach nur das Wort "seufz" ins Mikrophon und begab sich wieder an seinen Platz. Wir haben uns betroffen angesehen und geglaubt, der sei ausgeflippt.

    Es war für die Ökologen nicht schwer, das Establishment mit ihrem Auftreten zu provozieren. Richtig schmerzhaft für die Sozialdemokraten allerdings wurde es, wenn es den Grünen gelang, traditionell linke Politikfelder zu besetzen: Olaf Dinné, Paradiesvogel, Architekt und Veteran der Barrikadenkämpfer von 1968, hatte es sich mit seinen Genossen verdorben, als er Filz und Vetternwirtschaft in Bremen anprangerte und gegen die Abrisspläne im alternativen Ostertorviertel auf die Straße ging. Als Grüner versuchte er nachzuweisen, dass seine ehemaligen Genossen schlicht gegen die Interessen der kleinen Leute handelten:

    Wir sind der Meinung und stützen uns da auf DGB-nahe Studien, dass jeder neu angesiedelte Arbeitsplatz von Konzernen dreieinhalb andere Arbeitsplätze in der Bilanz vernichtet. So dass man sagen kann: Die SPD schafft nicht mit der Unterstützung von solchen Rationalisierungsinvestitionen Arbeitsplätze, sondern sie ist dabei, die Arbeitsplätze zu vernichten, und nicht nur das: Sie ist dabei, den allgemeinen Konzentrationsprozess zu fördern, was zu Lasten bremischer Klein- und Mittelbetriebe geht.

    Bis zur Wahl war es den Grünen nicht gelungen, einheitlich aufzutreten, ganz im Gegenteil. Offener Krach war ihr Markenzeichen. Neben ihnen kandidierte eine "Alternative Liste", die ebenfalls 1,3 Prozent erreichte. Dass die "Bremer Grüne Liste" sich letztlich durchsetzen konnte, lag auch daran, dass sie prominente Unterstützung erhielt. Die Ikone der 68er, Rudi Dutschke, engagierte sich für sie - gewohnt leidenschaftlich:

    Volle Bereitschaft gegen die Einheitsfront derjenigen, die für die Atomkraftwerke sind! Und volle Einheitsfront für diejenigen, die gegen die Atomkraftwerke sind. Denn wir wollen nicht nur Bremer Entscheidung, hier ist eine bundesrepublikanische Entscheidung, ob wir über fünf Prozent kommen, oder nicht!

    Für die Bundesrepublik waren die Weichen in der Tat gestellt: Nach und nach zogen die Grünen nun in die Landesparlamente ein, 1983 gelang der Sprung in den Bundestag.