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In den Krater gebaut

Furnas ist ein unheimlicher Ort: Das Städtchen ist mitten in einen aktiven Vulkankrater gebaut. Doch das ist auf den Azoren nichts Besonderes, schließlich sind alle neun Inseln nichts anderes als die Gipfel einst feuerspeiender Berge, die vom Atlantikboden über die Wasseroberfläche gewachsen sind. Von Jochen Faget

    Zischender Wasserdampf kommt meterhoch aus den Felsspalten, Schlamm blubbert, kochend heiße Quellen brodeln. Es stinkt nach faulen Eiern. Schwefelwasserstoff, der hier aus dem Erdinneren dringt, hat die Basaltsteine gelb gefärbt.

    Unvorstellbare Urgewalten müssen dort unten zugange sein, die Geysire am Ortsrand lassen die Hölle in der Tiefe erahnen. Furnas ist ein unheimlicher Ort. Denn das Städtchen ist mitten in einen Vulkankrater gebaut. Im Krater eines aktiven Vulkans, betont die Vulkanforscherin Fátima Viveiros:

    "Der letzte Ausbruch fand 1630 statt. Zumindest am Anfang war er gewaltig. Damals lebten schon Menschen hier im Krater, von denen kamen einige ums Leben. Aber die meisten Menschen starben außen auf der Bergflanke, obwohl der Ausbruch hier innen stattfand. Die Vulkanwolke, die damals entstand, war 800 bis 1000 Grad heiß und zog schnell nach außen. Sie tötete die Bewohner eines ganzen Dorfes, mindestens 190 Menschen."

    Fátima Viveiros und ihre Kollegin Catarina Silva, beide Mitte 20, arbeiten für das Vulkanforschungszentrum der Universität der Azoren. Unter Jahrhunderte alten Bäumen messen sie schon den ganzen Vormittag Gaskonzentrationen im malerischen Terra-Nostra-Park mitten im Städtchen Furnas.

    Vögel zwitschern, Kinder schwimmen im eisenhaltigen Wasser des Badesees nebenan. Draußen flanieren Urlauber vor den Villen und Häuschen des Kurorts. In sorgfältig gepflegten Gärten blühen Hortensien. Furnas ist auch ein idyllischer Ort. Obwohl es auf einen Vulkan gebaut ist, der irgendwann wieder Lava spucken wird. Das ist nur eine Frage der Zeit, versichert die Vulkanologin Fátima:

    "Wie, an welcher Stelle und wann - auf diese Fragen suchen wir Antworten. Eines Tages wird der Vulkan wieder ausbrechen. Heute zumindest ist er aber ruhig."

    Die Azoreaner haben gelernt, mit ihren Vulkanen zu leben. Schließlich sind alle neun Inseln nichts anderes als die Gipfel einst feuerspeiender Berge, die vom Atlantikboden über die Wasseroberfläche gewachsen sind.

    Furnas liegt knapp 1000 Meter über dem Meeresspiegel auf der Ostseite der Insel São Miguel. Achteinhalb Kilometer breit ist der Krater, ein von schwarzen Felsen begrenztes grünes Tal, auf dessen saftigen Wiesen Kühe weiden. Eigentlich eine Postkartenlandschaft.

    Catarina schlägt eine Radon-Messsonde in die Erde, Fátima trägt ein wie ein Staubsauger aussehendes Gerät vor sich her. Mit einem grossen roten Tornister auf dem Rücken steigt sie durchs Gebüsch, misst den Kohlendioxidgehalt der Luft. Die Gasemissionskontrolle ist ein wichtiger Bestandteil der Vulkanüberwachung erklärt Fátima:

    "Damit können wir das Verhalten des Vulkans in den Ruhephasen definieren und eventuelle Veränderungen schnell entdecken. Ausbrüche kündigen sich nämlich oft durch verstärkten Gasaustritt an. In Furnas geht es auch noch um die Gesundheit der Bewohner. Das Gas breitet sich am Boden aus, kann in die Häuser gelangen und schädliche Konzentrationen erreichen. Das wichtigste ist jedoch, ob es große Veränderungen gibt oder nicht."

    Um die machen sich die meisten Bewohner von Furnas allerdings gar keine Sorgen. Dona Irene, eine Rentnerin, unterhält sich mit Nachbarn vor der Hautür. In einem Vulkan zu leben, bringt sie nicht im geringsten aus der Fassung:

    "Der Vulkan, so heißt es in alten Geschichten, ist ein Blumenkranz, der uns umgibt. Und die Alten haben immer gesagt, hier im Tal von Furnas sei der sicherste Ort. Denn die Geysire setzen alle Gase, die sich im Boden ansammeln, regelmäßig frei. Die vielen Erdbeben stören uns auch nicht mehr, die meisten sind ja eher schwach. Wir haben uns daran gewöhnt. Ich schlafe jede Nacht gut. Wenn es Erdbeben gibt, dann spüre ich das oft nicht einmal mehr."

    Die Erde bebt täglich auf den Azoren. Im Vulkanforschungszentrum der Universität in der Hauptstadt Ponta Delgada laufen alle Informationen zusammen. Erreichen die Beben eine gewisse Stärke, schlägt der Zentralcomputer Alarm.

    Die meiste Zeit verzeichnen die Nadeln der Seismografen jedoch nur schwache Beben. Von rund 50 Messstationen auf allen Inseln seien an diesem Tag gerade mal zehn Erdstöße registriert worden, versichert die Institutsleiterin Gabriela Queiroz - ein ruhiger Tag also.

    Die 44-jährige Geologin ist vor 18 Jahren aus Lissabon auf die Azoren gekommen - weil sie Vulkane so fasziniert haben. Erdbeben natürlich auch, lacht sie. Und erklärt, dass die auf den Azoren gleich zwei Ursachen haben können: Erstens liegen die Inseln genau an dem Punkt, wo die eurasische, die afrikanische und die amerikanische Kontinentalplatte zusammenstoßen. Und da rumpelt es eben ständig.

    Zweitens sorgt das in den Vulkanen rumorende Magma für Erdstöße. Erdbeben haben auf den Azoren immer wieder ganze Dörfer und Städte zerstört. Sie kommen plötzlich und überraschend, auch für Gabriela Queiroz und ihre Kollegen:

    "Auf der ganzen Welt ist die Erdbebenaktivität kompliziert. Es gibt keine sicheren Anzeichen, die Erdbeben vorausgehen. Wir können nur den Zustand der Vulkansysteme überwachen. Wenn ein Vulkan aktiv wird, gibt es Erdstöße, und Gase werden freigesetzt. Daran erkennen wir, dass etwas sich verändert."

    Schwer vorstellbar, dass sich hier etwas verändern könnte: Weiße Wölkchen hängen am blauen Himmel über dem Kirchturm von Furnas. Am Rand der Hauptstrasse stutzen Senhor Gilberto und Senhor José die Hortensienhecke. Das warme Klima, die hohe Luftfeuchtigkeit und der fruchtbare Boden lassen die Pflanzen mit den lilafarbenen und blauen Blüten fast wie Unkraut wuchern.

    Fátima und Catarina, die beiden Vulkanforscherinnen, seien ihnen wegen ihrer eigenartigen Ausrüstung schon am Morgen aufgefallen, erinnern sich die beiden. Er habe gleich gedacht, die müssten etwas mit dem Vulkan zu tun haben, meint Senhor José und erzählt:

    "Natürlich haben wir Angst, das alles beunruhigt uns! Die Erdbeben sind schon schlimm. Aber wenn der Vulkan einmal ausbricht, wird alles noch schlimmer. Ich habe schon viele Erdbeben miterlebt. Vor einem Jahr war es so fürchterlich, dass ich dachte, mein Haus stürzt ein. Da haben wir uns flach hingelegt, alles hat gewackelt, sogar der Fußboden."

    Senhor Gilberto nickt zustimmend, während er sich wieder an die Arbeit macht. "Gott ist gross", sagt er. "Er hat uns auf diese Welt geschickt. Wenn er will, holt er uns. Wenn er nicht will, lässt er uns hier".

    Im Terra-Nostra-Park haben Fátima und Catarina inzwischen ihre Untersuchungen fast beendet. Jetzt tragen sie die Messergebnisse in Tabellen ein. Beide sind auf den Azoren geboren, haben hier studiert und wollen auch weiter hier arbeiten. Auf den Vulkanen, die irgendwann wieder ausbrechen werden. Fátima erklärt, warum:

    "Ich habe noch nie einen Vulkanausbruch gesehen. Aber wir leben auf aktiven Vulkanen. Gäbe es hier keine Vulkane, gäbe es die Inseln und den Ort, an dem ich lebe, nicht. Hier ist meine Heimat und auf den Azoren sind wir alle wie eine große Familie. Da will ich meinen Beitrag leisten, wenn wirklich einmal etwas geschehen sollte.

    Helfen, die Menschen in Sicherheit zu bringen. Das können wir, wenn wir die Signale rechtzeitig erkennen. Natürlich gibt die Natur diese Signale oft erst wenige Stunden vor einem Vulkanausbruch. Wir hoffen aber, dass die Anzeichen rechtzeitig kommen. Nur ist das wie mit allem in der Natur - man kann sich nicht 100-prozentig darauf verlassen."