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In fester Umarmung

1987 debütierte der damals 33jährige Österreicher Erich Hackl mit einer Erzählung, die Rezensenten, denen nichts anderes einfällt, gemeinhin als "großen Wurf" bezeichnen. Ausnahmsweise stimmt die Floskel für Hackls Debüt "Auroras Anlaß", zumindest was das Attribut "groß" angeht. Der Begriff "Wurf" allerdings ist eng mit dem Zufall verbunden, und nichts liegt Hackl ferner als der Zufall. "Auroras Anlaß" und seine folgenden Erzählungen sind wohlüberlegt und durchdacht, ohne nach zwanghafter Konstruktion zu schmecken; sie bieten alles, was man von hervorragender Literatur erwartet: Gekonntes Erzählen mit einem glasklaren Stil und einer unaufgeregten, genauen Wortwahl, ein Gespür für den ungewöhnlichen Fall und schließlich ein politisches Engagement, das, so unzeitgemäß es wirkt, das Salz seiner Bücher ist.

Peter Urban-Halle |
    Nun legt er einen Sammelband einiger unveröffentlichter und vieler veröffentlichter Beiträge vor, die er in vier Teile gegliedert hat und denen er Titel gab, die an die drei Einzeltitel von Marguerite Yourcenars autobiographischer Trilogie "Das Labyrinth der Welt" erinnern. Der Name Erich Hackl ist die Gewähr, daß die Versammlung zerstreuter Zeitschriftentexte zwischen zwei Buchdeckeln eine lohnende Sache ist. Aber einen Einwand gibt es doch.

    Unglücklicherweise lassen uns gerade die Texte, die mit ihrem packenden und anrührenden Stoff wie Vorarbeiten zu kommenden Romanen und Erzählungen wirken, nur mit gereizter, nicht befriedigter Erwartung zurück. Sie finden sich im ersten Teil, "Gedenkblätter", und bieten die Hacklschen Qualitäten. Nur eine fehlt, aber die ist für den Schriftsteller Hackl existenznotwendig, nämlich der Schritt von der Reportage zur Prosa. Recherche und Phantasie hat er in seinen epischen Büchern meisterhaft versöhnt - hier schließt die eine wieder die andere aus: Die Phantasie kommt nicht zum Zuge. Die Gattungsbezeichnung von Hackls Buch heißt diesmal "Geschichten und Berichte". Berichte sind es schon, aber Geschichten können es höchstens noch welche werden. Hier haben wir es mit Handlungsskizzen oder Eposés zu tun, oder, wie im Text "Statt eines Ehrensaluts", der das Schicksal der beiden Spanier Victor und Pedro vorstellt, mit einer Summe von Anekdoten.

    Eines dieser "Gedenkblätter", das einzige unveröffentlichte übrigens und das längste, ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. "Stille Post für Spanien" ist die Geschichte des Kriminalbeamten a.D. Hans Landauer, der sich zu einem Spezialisten der "Geschichten der österreichischen Spanienkämpfer" gewandelt hat. Hier ist der Weg zur Erzählung zumindest schon geebnet, und - noch wichtiger - hier verrät der Autor, wie er sich selber sieht: "Bevor der Kriminalist beginnt, den Täter zu suchen, muß er sich überzeugen, ob das, was geschehen ist, auch wirklich geschehen ist." Nur gelten lassen, was "wirklich geschehen ist", ist Hackls Credo, das am Ende seiner Geschichte über den Historiker Landauer beinah in die berühmte Einheitsformel des französischen klassischen Theaters mündet, die Einheit von Handlung, Ort und Zeit; bei Hackl heißt es da: Ein Historiker ist ein Widerstandskämpfer, "der Lebensspuren sichert: Ort, Zeit, Zahl."

    Der vierte Teil des Buchs, "Liebeserklärungen", sind Autorenporträts, die eigenartigerweise erzählender sind als die Romanexposes des ersten Teils. Es sind Porträts unbekannter uruguayischer und österreichischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen: Eduardo Galeano und Idea Vilarifio beziehungsweise Konstantin Kaiser, Henriette Haill und Susanne Wantoch. Am Schluß stellt er ein schönes Photoalbum in Worten für den spanischen Poeten Miguel Hernández zusammen. Hackl präsentiert "seine" Autoren - wie sollte es bei dem Titel "Liebeserklärungen" auch anders sein - leidenschaftlich und so überzeugend, daß man sie und ihr Werk tatsächlich kennenlernen will. Aber im einen Fall macht die Liebe sehend, im andern blind. Die beiden Autorinnen Haill und Wantoch überzeugen mich auch nach Hackls Plädoyer nicht. Ihre Verse mögen für sie selbst und einige ihrer Genossen wichtig gewesen sein, sind aber meist nur gutgemeinte, aber unbedarfte Politpoesie.

    In seinen Artikeln liebt Hackl (im Gegensatz zu den Erzählungen), zuweilen das Heroisch-Kämpferische herauszuheben, das in unserer teils säkularisierten, teils zynischen Welt so deplaziert wirkt. Hin und wieder muß allerdings gekämpft werden, um einige wieder einmal an die schlichten Fakten zu erinnern. Dazu gehört - worauf der Hispanist Hackl im zweiten Teil "Führungszeugnisse" hinweist - die, gelinde gesagt, hegemoniale Rolle der USA in Lateinamerika: von der Annexion mexikanischer Gebiete über die gelenkten Militärumstürze bis zur Kubablockade. Mit "Die Erinnerung. Mein Gift, meine Nahrung", zitiert Hackl den Uruguayer Galeano und meint damit auch sich selbst.

    Auch im verspielten und amüsanten dritten Teil, den "Sittenbildern", steht die Vergangenheit im Vordergrund, aber eben als Quelle von Gegenwart und Zukunft. Hackl ist ein Schriftsteller ist ein Historiker ist ein Kriminalist, alles in einer Person, die sich gern bei der Vergangenheit aufhält; up to date ist er in einem sehr sympathischen Sinne nie. Selbst als Fußballanhänger nicht, als der er sich in seinem ergötzlichsten Beitrag "Alle Bücher meines Lebens" zu erkennen gibt. Hackls trockener Witz ist eine angenehme Facette in seinem Oeuvre voll ernsten Anliegens. Daß er diesen Witz mit seinem Credo, nämlich nur gelten zu lassen, was "wirklich geschehen ist", verbinden kann, beweist seine literarische und geistige Geschmeidigkeit.