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In russischer Haft
Kampf für Senzow

Während sich Russland bei der FIFA-Fußball-WM als weltoffener Gastgeber präsentiert, sitzen in dem Land und auf der Krim Dutzende Ukrainer aus politischen Gründen in Haft. Unter ihnen der Filmregisseur Oleg Senzow, der in den Hungerstreik getreten ist. Für seine Freilassung setzen sich viele Menschen weltweit - darunter der Krimtatare Achtem Tschigos.

Von Sabine Adler | 28.06.2018
    Der ukrainische Regisseur Senzow lächelte während der Urteilsverkündung und streckte die linke Faust hoch.
    Regisseur Oleg Senzow ist zu vielen Jahren Haft verurteilt worden - und seit 46 Tagen im Hungerstreik (imago / ITAR-TASS / Valery Matytsin)
    Achtem Tschigos ist eigentlich glühender Fußballfan, doch bei dieser WM in Russland schaut er nicht zu wie die Tore fallen. Zu groß sind die Sorgen um seine inhaftierten Landsleute Oleg Senzow und Wladimir Baluch.
    Oleg Senzow, der heute den 46. Tag infolge jede Nahrung verweigert, will mit seinem Hungerstreik die Freilassung aller ukrainischen politischen Gefangen erzwingen und ist bereit, bis zum Äußersten zu gehen, sagt sein Anwalt nach seinem jüngsten Besuch im Straflager in Labytnangi. Der Ort liegt im Nordpolarkreis am Fluss Ob, ehemaliges Gulag-Gebiet, durch das die von Gefangenen gebaute Workuta-Eisenbahn führt.
    Unterstützung durch Präsident Erdogan
    Achtem Tschigos, der Krimtatare, saß selbst drei Jahre lang im Gefängnis von Simferopol. Verurteilt wurde er zu acht Jahren Haft, weil er im Februar 2014 an einer Kundgebung gegen die russischen Okkupanten der Krim teilgenommen hatte. Voriges Jahr im Oktober kam er ganz unerwartet frei. An dem Gefangenenaustausch hatte der türkische Präsident Erdogan mitgewirkt, auf ihn setzt Achtem Tschigos auch jetzt, wenn es um die Freilassung von Oleg Senzow, Wladimir Baluch und die anderen Leidensgefährten geht.
    "Er empfing uns, mich und Ilmir Umerow, noch am Abend, ich dankte Präsident Erdogan für seine Hilfe und bat ihn, auch etwas für Oleg Senzow zu tun."
    Um die Freilassung von Senzow bemühen sich viele Menschen weltweit. In einer Unterschriftenliste, auf der auch die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller steht, wenden sich deutsche Bundestagsabgeordnete, Autoren, Wissenschaftler und viele andere an Bundeskanzlerin Merkel und den Außenminister Maaß. In den Gesprächen mit vielen Unterzeichnern wird Achtem Tschigos gefragt, wie es Senzow nach den 46 Hungertagen geht.
    "Wir wissen nichts Genaues. Zum einen, weil sich Senzow in einer Strafkolonie so weit entfernt befindet, er ist im Nordpolarkreis, 4.000 Kilometer von uns entfernt. Zum anderen weil kaum jemand Zugang zu ihm hat."
    Sein Mitgefangener Wladimir Baluch hungert schon 102 Tage. Achtem Tschigos fürchtet um das Leben des Freundes.
    "Baluch hat vom ersten Moment der Okkupation der Krim durch Russland die ukrainische Flagge aus seinem Fenster zu Hause gehängt. Ich habe mit ihm ein Jahr zusammen in der Haft verbracht, er kam, als ich schon zwei Jahre abgesessen hatte."
    72 Ukrainer sitzen aus politischen Gründen in Haft
    Aktuell sitzen 72 Ukrainer aus politischen Gründen in Haft. Mitgerechnet der zuletzt verhaftete Mustafar Serwer, ein sogenannter Bürger-Journalist, der über Gerichtsprozesse gegen Aktivisten auf der Krim berichtete, die Verhandlungen per Streaming übertrug.
    "Professionelle, freie Journalisten gibt es auf der Krim nicht mehr. Entweder sind sie geflohen oder aber auf sie wird großer Druck ausgeübt. Jetzt haben wir so etwas wie Bürger-Journalisten. Ihnen verdanken wir oft, dass wir praktisch in Live-Übertragungen von Dingen erfahren, die gerade geschehen."
    Bis zur Okkupation gab es 300.000 Krimtataren auf der Halbinsel. Insgesamt sind 50.000 Menschen geflohen, die Hälfte davon Krimtataren. Der Terror gegen die Bevölkerung richtet sich in erster Linie gegen sie, sagt der Krimtatare Tschigos, der auch aktiv in der Selbstverwaltung der Gemeinschaft, der Medschlies aktiv ist.
    "Natürlich haben die Menschen Angst, aber die Krimtataren haben 50 Jahre dafür gekämpft, wieder auf die Krim zurückzukehren. Sie haben die ganzen Jahre davon geträumt. Sie sind jetzt absolut nicht bereit zu gehen und ihr Land im Stich zu lassen."
    Wenn Tschigos jetzt die Nachrichten schaut, wartet er nicht die Fußballergebnisse, sondern auf Meldungen von seinen Gefährten, Senszow, Baluch, Serwer, und ist erleichtert, wenn er nichts von ihnen hört.