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Individuelles Design
Kein Zimmer von der Stange

In Hamburg hat das erste innerstädtische IKEA-Möbelhaus eröffnet. Wer keine Lust auf Regalware hat, wird vielleicht bei der Öffentlichen Gestaltungsberatung Sankt Pauli fündig. Hamburger Designstudenten beraten kostenlos bei der individuellen Raumgestaltung.

Von Dirk Schneider | 04.07.2014
    Die polnischen Designer Anna Rosike und Maciej Chmara schieben am Dienstag (05.06.2012) in Berlin auf der Designmesse DMY ihre mobile Küche durch die Halle.
    Individuelles Design für Querdenker und Eigenwillige: eine Küche auf einer Berliner Designmesse. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Kaufen lässt sich heutzutage alles. Was nicht im Laden steht, lässt sich in den Weiten des Internet finden. Oder etwa doch nicht? Und was, wenn man kein Geld hat? Susanne Gutjahr aus Hamburg brauchte eine Hütte für ihren Kleingarten. Was es im Baumarkt gab, gefiel ihr gar nicht.
    "Ich hatte den Traum, dass es ein Haus mit einer umlaufenden Gartenbank geben soll, weil ich gern den Schatten mag."
    Und einen Architekten zu beauftragen hätte sich die alleinerziehende Mutter nicht leisten können.
    "Dann hatte ich gesehen es gibt öffentliche Gestaltungsberatung. Und dann habe ich überlegt, vielleicht lässt sich ja was gestalten, und bin so irgendwie hier her gekommen."
    "Öffentliche Gestaltungsberatung": Jeden Mittwoch kann man sich in den Räumen der Gemeinwesenarbeit St. Pauli, kurz GWA, kostenlos in Gestaltungsfragen beraten lassen. Studenten des Studienganges Design finden für fast jedes Problem eine Lösung. Die Sprechstunden besetzen sie abwechselnd. Die Anfragen nehmen sie mit an die Hochschule für bildende Künste, wo sie gemeinsam und mit ihrem Professor Lösungen erarbeiten, die sie dann ihren Klienten vorstellen. Für das Gartenhäuschen haben die Designer Daniel Pietschmann und Charlotte Dieckmann zu Europaletten gegriffen.
    "Die Idee war dann eben, dass man das Haus so aufbaut, dass man es wieder abbauen kann. Weil dieser Gartenverein soll in acht Jahren auf den Deckel der A7 verlegt werden, weil dort auf dem Gebiet sollen Wohnungen gebaut werden. Wir fanden diese Paletten sehr passend, weil die eben aus diesem Pfandsystem kommen und man das Haus eben nach acht Jahren wieder abbauen kann und die Paletten wieder ins Pfandsystem zurückführen kann."
    Ein Gartenhaus aus Paletten? Der Vorstand des Kleingartenvereins war, nun ja, überrascht. Aber da das Haus die Vorschriften des Bundeskleingartengesetzes erfüllt, musste er es genehmigen, freut sich Susanne Gutjahr:
    "Dieser Prozess ist lustig, das hat ja auch was Subversives. Was Eigenes zu entwickeln und mit dann auch von denen abnehmen zu lassen, und da konnten die dann auch nicht vorbei."
    Design als Selbstermächtigung
    Design als Selbstermächtigung – das ist die Idee hinter der Öffentlichen Gestaltungsberatung. Gerade auf St. Pauli ein sehr aktueller Gedanke. Nirgendwo sonst in Hamburg sind die Mieten in den letzten Jahren so stark gestiegen, kaum ein anderer Stadtteil verändert sich derzeit so rasant. Große Investoren prägen mit neuen Fassaden immer mehr das Stadtbild - im Idealfall möchte die Gestaltungsberatung den Bürgern ermöglichen, den Stadtteil mit eigenen Gestaltungsideen mitzuprägen. Designerin Charlotte Dieckmann:
    "Wir wollen Gestaltung für jeden anbieten, also auch für Leute, die sich nicht einfach alles neu kaufen können, oder auch für Leute, die nicht einfach umziehen können. Die gezwungen sind, mit ihrem Umfeld klarzukommen, gerade auch diesen Menschen Zugang zu einer guten Gestaltung zu verschaffen."
    Auch alltagspraktische Lösungen werden dabei immer wichtiger: Eine Familie bekommt ein weiteres Kind, kann sich im Stadtteil aber keine größere Wohnung mehr leisten – wie lässt sich der vorhandene Platz besser – und schöner – nutzen? Von solchen Fragestellungen profitieren auch die Studenten, die sich die Arbeiten fürs Studium anrechnen lassen können:
    "Der Reiz ist eben, dass man nicht ein Thema vorgesetzt bekommt vom Professor, das eben lautet "gestalte einen Stuhl" oder "gestalte eine Lampe", sondern man kann ganz konkret Menschen helfen, die irgendwie Bedarf an Gestaltung in der Wohnung oder im Viertel oder im Garten haben.
    Ein bisschen Schwellenangst scheint es aber auch noch zu geben. An diesem Mittwoch kommt nur ein einziger Klient – ein freiberuflicher Regisseur, der ein kleines Theater eröffnen möchte.
    "... und warum muss der Raum, mit dem das Theater umgeht, von einem Bühnenbildner gestaltet sein? Warum nicht von Leuten, die von ganz woanders her kommen?"
    Ja, warum? Beziehungsweise warum nicht? Möglicherweise eine spannende, neue Aufgabe für die Öffentliche Gestaltungsberatung. Und für viele Klienten ist es eine ganz neue und beglückende Erfahrung, dass ihre eigenen Vorstellungen Wirklichkeit werden. Wie für die stolze Besitzerin des Gartenlauben-Unikats:
    "Also dieses 'es manifestiert sich, was ich mir mal in einem "Irgendwie" gedacht habe', das war schon sehr besonders. Schön und heilsam und ja, das war das Schönste letztes Jahr."