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ING-DiBa-Chefvolkswirt zum Brexit
"In London ist großes Selbstvertrauen da"

Sollte es zu irgendwann zu einem Austritts-Deal zwischen der EU und den Briten kommen, rechnen Londoner Analysten mit einem stärkeren Pfund, sagte ING-DiBa-Chefvolkswirt Carsten Brzeski im Dlf. Anders sei die Sichtweise abseits der Insel. Besonders die europäischen Unternehmen seien verunsichert.

Carsten Brzeski im Gespräch mit Claudia Wehrle | 20.09.2018
    Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING-DiBa (14.02.2014).
    Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING-DiBa. (imago / Hoffmann)
    Claudia Wehrle: Die Chinesen werden immer mächtiger auf dem Weltmarkt, Donald Trump tut alles, um die bisherige Vormachtstellung der Amerikaner zu halten. Kurz vor dieser Sendung habe ich mich mit Carsten Brzeski über dieses Thema unterhalten. Carsten Brzeski ist Ökonom, er ist Chefvolkswirt bei der ING-DiBa, und von ihm wollte ich zunächst wissen, was bedeutet es denn seiner Meinung nach, wenn die Briten aus der EU austreten, und hier ist seine Antwort.
    Carsten Brzeski: Das macht eine unheimlich schwierige Verhandlungsposition von beiden Seiten, und Europa – das ist das interessante – ist eigentlich sehr geschlossen aufgetreten bisher. Das gelingt bei anderen Themen nie. Denn ich denke, man hat sich auch in Europa darauf geeinigt, dass man den Briten einen Austritt ermöglichen möchte, aber ganz deutlich, das wichtigste Prinzip ist, ein Leben außerhalb der EU darf nicht attraktiver und besser sein als innerhalb der EU.
    "Großbritannien gar nicht so wichtig"
    Wehrle: Welche Bedeutung hat Großbritannien für die EU?
    Brzeski: Großbritannien ist ein wichtiger Handelspartner, Großbritannien ist eine extrem große Volkswirtschaft, aber innerhalb der EU, darf man nicht vergessen, dass Großbritannien ja auch immer wieder schon in den letzten Jahrzehnten Ausnahmeregeln bekommen hat. Also wenn wir jetzt wirklich über die weitere Integration sprechen in der Europäischen Union, da ist Großbritannien gar nicht so wichtig. Man hat immer schon Ausnahmen in den letzten Jahren bekommen.
    Schwaches Pfund, starkes Pfund?
    Wehrle: Wenn wir auf den Devisenmarkt schauen, der ist ja oft so was wie ein Seismograf, reagiert also ganz sensibel auf politische, auf wirtschaftliche Entwicklungen. Seit dem Referendum kennt das Pfund im Prinzip nur eine Richtung: die nach unten. Warum?
    Brzeski: Ja, weil man halt davon ausgeht, dass es bei diesem Brexit wirklich zu einer Schwächung der britischen Wirtschaft kommt und damit natürlich auch zu einem schwächeren Pfund kommt. Interessant ist aber auch, Analysen, die aus Häusern kommen, die in London sitzen, die sind eigentlich eher positiv, und die sagen, wenn es dann irgendwann mal zu irgendeinem Deal käme, dann wird das letztendlich wieder positiv sein für das Pfund, und die erwarten dadurch auch ein stärkeres Pfund nach dem Brexit. Häuser, die auf dem Festland und auch den Rest der Welt angesiedelt sind, die sehen genau das Gegenteil. Die sehen, dass, wenn es dann zum Brexit kommt, sich dann auch Investitionen aus Großbritannien zurückziehen werden, die britische Wirtschaft wirklich strukturell geschwächt sein wird und das einhergeht mit dem strukturell schwachen Pfund.
    "Deutlich positivere Prognosen für das Pfund"
    Wehrle: Wie ist diese unterschiedliche Einschätzung zu erklären?
    Brzeski: Devisenmärkte, Volkswirtschaft sind halt einfach keine exakte Wissenschaft, und auch Vorhersagen ist keine exakte Wissenschaft, und von daher ist man, denke ich, eher immer doch ein bisschen befangen von dem Land oder von der Region, in der man sitzt, und in London ist, denke ich, noch ein großes Selbstvertrauen da, ein Selbstbewusstsein da, und darum hat man da auch immer deutlich positivere Prognosen für das Pfund.
    Wehrle: Das schwächer gewordene Pfund, was hat das für Konsequenzen?
    Brzeski: Ein schwächeres Pfund heißt natürlich, es wird auch wiederum schwieriger, für europäische Unternehmen nach Großbritannien zu exportieren, denn für uns werden Exporte teurer und damit weniger attraktiv. Für die Briten selber heißt das natürlich, ein schwächeres Pfund heißt mehr selbsteingeführte Inflation, das heißt, die Inflationsrate geht hoch, und damit stellt sich dann für die Bank of England, die Notenbank, die große Frage, was mache ich jetzt. Muss ich jetzt auf eine gestiegene Inflation reagieren und damit den Zins erhöhen, aber eventuell auf die Gefahr hin, dass damit die Wirtschaft abgewürgt wird, oder aber lasse ich die Inflation laufen und beschädige damit eigentlich dann den britischen Verbraucher, der für die gleichen Produkte mehr Geld ausgeben muss und damit letztendlich auch weniger verfügbares Einkommen hat.
    "Es kann in alle Richtungen gehen"
    Wehrle: Was wir am Devisenmarkt sehen, verschärft das noch den Druck?
    Brzeski: Ich denke, dass sich die Politiker an beiden Seiten jetzt nicht noch mal wirklich stark beeinflussen lassen von dem Druck der Devisenmärkte. Für Unternehmen ist es natürlich viel schwieriger. Die Unternehmer sehen hier ganz deutlich, es kann in alle Richtungen gehen, es gibt so viel Unsicherheit. Das Einzige, was sicher ist, ist: Es ist nichts sicher. Der Plan B, der Plan C, der muss nicht nur in der Schublade liegen, der wird aktuell auch wirklich auf den Büros der CEOs, der Chefs der Unternehmen, liegen, denn solange es diese Undeutlichkeit gibt, muss ich einfach auch neue Pläne machen und mir überlegen, wie kann ich mein Geschäft in der Zukunft durchführen, muss ich mich eventuell aus Großbritannien wegorientieren.
    Wehrle: Das sagt Carsten Brzeski, er ist der Chefvolkswirt bei der ING-DiBa.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.