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Ingenieursverband fürchtet Zerstörung der deutschen "Wissenschaftskultur"

Der Vorteil der deutschen Ingenieurspromotion liege darin, dass man in der "Symbiose mit Unternehmen" promoviere, sagt Heike Schmitt. Die Geschäftsführerin des Dachvereins Fakultätentage der Ingenieurswissenschaften und Informatik, kritisiert an den EU-Plänen, dass die deutsche "Wissenschaftskultur" zerstört werden könnte.

Heike Schmitt im Gespräch mit Sandra Pfister | 10.01.2012
    Sandra Pfister: Deutsche Ingenieure haben international einen guten Ruf, und wenn sie auch noch promovieren, dann dürfen sie sich eine Menge einbilden auf das Niveau dieses Doktorgrades, denn sie sind meist vorselektiert und arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter sehr selbstständig an einem Lehrstuhl. Das aber durchkreuzt jetzt die EU. Sie will allen ingenieurswissenschaftlichen Promotionen in der EU ein neues Markenzeichen verpassen. In Zukunft soll es PhD-Stellen geben, die auf reine Grundlagenforschung abzielen, und aber auch welche, die nur anwendungsorientiert und ausschließlich in Unternehmen stattfinden. Schmalspur-Dissertationen mutmaßen die Kritiker. Diese klare Trennung, die wollen in Deutschland weder die Ingenieure in der Wirtschaft noch die in der Wissenschaft. Deshalb begrüße ich Heike Schmitt. Sie steht als Geschäftsführerin des Dachvereins Fakultätentage der Ingenieurswissenschaften und Informatik, kurz 4ING, für die Position der Hochschulen. Guten Tag, Frau Schmitt!

    Heike Schmitt: Ja, guten Tag, Frau Pfister!

    Pfister: Frau Schmitt, neun von zehn Ingenieuren, die promoviert haben, die gehen ohnehin in die Industrie - warum kann man ihnen mit so einer anwendungsorientierten Dissertation nicht entgegenkommen?

    Schmitt: Wir kommen ihnen entgegen, indem wir stark anwendungsorientiert forschen. Also das ist eine Novität, die es wahrscheinlich nur im deutschsprachigen Raum und insbesondere sehr deutlich in Deutschland gibt.

    Pfister: Und warum stört Sie dann dieses EU-Modell, das geht doch in die gleiche Richtung?

    Schmitt: Also unser Modell lautet: Man promoviert, man promoviert sozusagen in dieser Symbiose mit Unternehmen, die durch Drittmittel an den Forschungsprojekten beteiligt sind, und schicken die Leute erst mal raus, damit sie wissen, was draußen gebraucht wird. Und dann dürfen sie gerne wieder als Professor wiederkommen. Und das ist der erhebliche Unterschied zu allen anderen europäischen Ländern. Wenn wir trennen, vorab einen akademischen Weg machen mit diesem PhD - den wir ja auch nicht gerne mögen, wir mögen schon unseren Dr.-Ing. - und dem anwendungsgestützten Modell, dann erzeugen wir auch Hochschullehrer, die nicht draußen waren, und das würde auch unsere Wissenschaftskultur zerstören.

    Pfister: Und was steckt dahinter, warum macht die EU-Kommission das, obwohl Ihre Meinung ja so deutlich dagegen spricht?

    Schmitt: Ja, gut, also zum einen habe ich anfangs eingeführt, dass wir kein Mehrheitsmodell sind, zum anderen glaube ich, dass diese Symbiose, wie wir sie leben, auch dass wir also auf die Unternehmen zugehen und die mit uns auch gerne forschen wollen und wir unseren akademischen Weg sozusagen als Ausbildung für Führungskräfte, egal wo nachher sie hingehen werden, sie, das ist, glaube ich, in der EU nicht wirklich bekannt. Das ist leider auch in Deutschland nicht in allen Bildungs- und Wissenschafts- und Forschungsministerien hinreichend bekannt.

    Pfister: Welche Vorteile hat das deutsche Modell, abgesehen davon, dass der Wissenstransfer zwischen Industrie und Hochschule dadurch ganz gut funktioniert?

    Schmitt: Er funktioniert sehr gut, was ja unsere Technologie und Marktführerschaft bei vielen Produkten und in vielen Feldern unterstreicht. Der Vorteil ist, dass wir, glaube ich, Leute erzeugen, die ein anderes Profil haben, als wenn sie sich einseitig auf einen Weg sehr früh festlegen müssen. Also bei uns kann man eben diesen berühmten Wechsel - er geht in die Forschung, er geht in die Industrie, er kommt wieder zurück, siehe zum Beispiel Herr Milberg, der BMW-Vorstand war, aber auch vorher Professor an der TU München, dieses Wechselspiel, das können wir ganz gut spielen. Das können wir aber nicht, wenn wir von vornherein nur noch einen Weg vorgeben.

    Pfister: Spricht daraus nicht auch ein gewisser Standesdünkel, wenn Sie die deutsche ingenieurswissenschaftliche Promotion so hochhalten und den anderen Ländern sagen, na, euer Modell ist aber minderwertig?

    Schmitt: Wir haben noch nie gesagt, dass andere Modelle minderwertig sind, wir würden uns nur wünschen, dass wir kein Modell benutzen müssen, weil die Förderanreize zum Beispiel eben dies präferieren, weil eine gelebte und gut eingeführte Kultur zerstören würde.

    Pfister: Kann denn jemand die Deutschen zwingen, ihren eigenen hohen Standard aufzugeben?

    Schmitt: Ich denke, es geht umgekehrt. Durch die finanziellen Anreize, die jetzt die Forschungsförderung, zu dem auch der Bereich der Promotion hinzugehört, in eine Richtung kanalisiert werden, unterhöhlt es unser System. Wir wissen ja, es stand auch heute in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dass die Hochschulen chronisch unterfinanziert sind, natürlich auch im Forschungsbereich, und dann will man natürlich auch auf EU-Ebene Flagge zeigen und sagen, wir sind ein gutes Haus, und dann bewirbt man sich natürlich auch um eine Ausschreibung, die aber ein anderes Modell voraussetzt.

    Pfister: Das heißt, Stipendien und Geld gibt es dann nur noch für die Promotion nach den EU-Modellen?

    Schmitt: Mmh! [Anmerkung der Redaktion: Ausruf für Ja]

    Pfister: Heike Schmitt von 4ING, dem Dachverein Fakultätentag der Ingenieurswissenschaften und der Informatik an Universitäten. Sie hat Sorge, dass die EU Deutschland zu einer Schmalspurpromotion bei Ingenieuren zwingen könnte. Danke, Frau Schmitt!

    Schmitt: Ja, ich danke Ihnen auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.