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Innenministerium auf Tauchstation

Am Mittwoch beschäftigt sich der Sportausschuss des Bundestags mit den Vorgängen am Olympiastützpunkt in Erfurt. Dort hat der Sportmediziner Franke das Blut von Athleten jahrelang einer UV-Behandlung unterzogen, bei der den Sportlern Blut abgenommen und wieder in den Körper zurückgeführt wird. Etliche Athleten sind darin verwickelt. Auf die Verbände könnte viel Arbeit zukommen.

Von Robert Kempe und Hajo Seppelt | 18.03.2012
    Das größte Problem in der Causa Erfurt dürfte auf den Bund Deutscher Radfahrer zukommen. Nach den dem Deutschlandfunk und der ARD-Doping-Redaktion vorliegenden Informationen wurden allein 14 Athleten des BDR der UV-Bestrahlung beim Erfurter Sportarzt Franke unterzogen, bei der Blut ab- und wieder zurückgeführt wird. Der Deutsche Leichtathletikverband muss sich auf fünf Fälle einstellen, die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft ebenso auf fünf. Dazu kommen zwei Handballer und eine Ringerin. Die Affäre droht immer weitere Kreise zu ziehen.

    Die Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestags, Dagmar Freitag, SPD, setzt für die Sitzung am Mittwoch einen klaren Schwerpunkt.

    "Für mich persönlich steht die Frage im Mittelpunkt, seit wann musste jedem klar sein, dass solch eine Methode zu den verbotenen Methoden gehört. Es geht nicht darum herauszufinden – jedenfalls nicht am Mittwoch – trägt diese Methode des Herrn Franke zur Leistungssteigerung bei, ja oder nein? Sondern die Frage ist, ab wann hat jeder gewusst, dass diese Methode verboten ist und sind zu dieser Zeit noch Steuermittel in eine solche Behandlung in Anführungsstrichen geflossen."

    Denn auch am OSP Erfurt bereiten sich Sportler auf eine mögliche Teilnahme an den Olympischen Spielen in London vor. Unter den UV-bestrahlten Athleten sind auch Deutsche Meister, z.B. aus der Leichtathletik. Die Angelegenheit drängt also.

    In London in dieser Woche am Rande der weltgrößten Anti-Doping-Konferenz vor den Olympischen Spielen äußerten sich auch internationale Experten zu der Frage der Blutbehandlungen. So erklärte der Chef des offiziellen Olympischen Kontrolllabors, David Cowan:

    "Nach Olympia 1984 in Los Angeles, als US-Radfahrer zugaben, sich Blut zugeführt zu haben, hat das IOC Bluttransfusionen verboten. Seit langer Zeit ist es nun verboten, Blut in den Körper einzuführen, auch nach dem WADA-Code. Dabei kommt es nicht auf die Menge an."

    Mike Morgan, der als einer der etabliertesten Sportrechtsanwälte weltweit gilt und u.a. den spanischen Radstar Alberto Contador vor dem Internationalen Sportgerichtshof vertrat, betrachtet den Fall Erfurt so:

    "Das Schwierige für jedermann in einer solchen Situation ist folgendes: Wenn ein Athlet von einem Arzt Blut injiziert bekommt, warum hat es dann, wenn es angeblich eine Infektionserkrankung gab, keine medizinische Ausnahmegenehmigung gegeben, wie sie erforderlich wäre? Das ist schwer zu verstehen! Das Problem ist also: Wenn man sich um solche Ausnahmegenehmigungen nicht bemüht hat, dann ist nachzuvollziehen, dass da ein Verdacht aufkommen muss. Wenn es sich dann auch noch um Ausdauersportarten handelt, bei denen eine große Lungenkapazität benötigt wird, dann kann ich erst recht nicht verstehen, warum Sportler nicht wissen sollen, dass eine solche Behandlung zu Schwierigkeiten führen könnte."

    Soweit bekannt gab es in Erfurt in keinem Fall eine medizinische Ausnahmegenehmigung der NADA.

    Nachdem der Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur David Howman die Erfurter Blutbehandlungen als verboten bezeichnet hatte, ist die WADA nun schon seit Wochen mit einer juristischen Prüfung der vorliegenden Fakten beschäftigt. Eine abschließende Stellungnahme soll demnächst folgen. Darauf warten die NADA in Bonn und auch die Berliner Sportpolitiker mit großem Interesse.

    Indes haben SPD und Grüne schon konkrete sportpolitische Forderungen zu Papier gebracht. Während in einem Antrag der SPD-Fraktion vor allem die Untersuchung eines möglichen Missbrauchs von Steuergeldern verlangt wird, fordern die grünen Sportpolitiker zum Beispiel eine zuwendungsrechtliche Prüfung sämtlicher medizinischer Behandlungsleistungen bundesweit an allen Olympiastützpunkten.

    Aus dem für Sport zuständigen Bundesinnenministerium kamen indes überraschend wiederholt Statements, die den Eindruck nahelegten, dass man die Regelauslegung im Fall Erfurt nicht so eindeutig sehe.

    Eine vom Sportausschuss bis vergangenen Freitag angeforderte Stellungnahme des BMI lässt indes auf sich warten. Die Ausschussvorsitzende Dagmar Freitag:

    "Es ist aus meiner Sicht absolut bemerkenswert, dass mir bis zum heutigen Tag noch keine – im übrigen angeforderte – Stellungnahme des Bundesinnenministeriums zu den Vorgängen in Erfurt vorliegt. Das zeigt aus meiner Sicht auch, dass diesem Tagesordnungspunkt auch im zuständigen Ministerium höchste Priorität beigemessen wird. Mir ist mitgeteilt worden, dass es nach wie vor an der Stellungnahme Korrektur- und Ergänzungsbedarf gibt."

    Der als Sachverständiger geladene Sportrechtler Georg Engelbrecht hat nach Durchsicht aller einschlägigen Regelwerke schriftlich dem Ausschuss erklärt, dass die Methode des Sportarztes gegen Doping-Regularien verstoßen würde. Mediziner Franke bestreitet die Regelwidrigkeit. Mit Spannung wird daher der Auftritt des Erfurter OSP-Leiters Bernd Neudert erwartet. Aus seiner schriftlichen Stellungnahme lässt sich ersehen, dass Frankes Position angezweifelt werden darf.

    Denn Neudert erklärt u.a., dem OSP sei 2007 mitgeteilt worden, dass die NADA sich strikt gegen eine Eigenblutbehandlung eingesetzt habe. Auch wenn die NADA damals noch ergänzende Informationen in Aussicht stellte, die dann aber angeblich doch nicht kamen, hat der OSP Erfurt somit von der Bonner Agentur nie eine Erlaubnis für diese Methode erhalten. Franke selbst hatte sogar nie bei der NADA nachgefragt.

    Auf Sportlerseite ist der Tübinger Anwalt Christian Weber in dieses Verfahren involviert. Auf Nachfrage des Deutschlandfunks erklärte er, dass er - Zitat – während eines laufenden Verfahrens keine Auskünfte erteilen werde - Zitatende. Weber dürfte sich im Regelwerk gut auskennen: Von 2003 bis 2006 war er Justitiar – bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur.