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"Inside Islam"
"Moscheen werden überschätzt"

Der ARD-Journalist Constantin Schreiber hat in seinem Buch "Inside Islam" Predigten dokumentiert und kritisiert. Damit polarisiert er. "Generelle Kritik an Moscheen ist nicht berechtigt", sagte die Journalistin Canan Topçu im Deutschlandfunk. Aber eine Schere im Kopf dürfe es nicht geben.

Canan Topçu im Gespräch mit Christiane Florin | 11.04.2017
    Canan Topçu, Journalistin, Dozentin, aufgenommen am 23.03.2017 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner".
    Die Journalistin und Dozentin Canan Topçu. (picture alliance / Karlheinz Schindler / dpa-Zentralbild / ZB)
    Christiane Florin: "Inside Islam" heißt das Buch des ARD-Journalisten Constantin Schreiber. Wir haben kürzlich in Tag für Tag darüber berichtet. Schreiber hat verschiedene Moscheen besucht, in seinem Buch dokumentiert er die Predigten, die er gehört hat, und zwar vollständig. Enttäuscht und erschrocken habe ihn vieles, sagte Constantin Schreiber hier im Deutschlandfunk. Er vermisst Wertschätzung für Demokratie und Gleichberechtigung. Das Buch "Inside Islam" polarisiert, sowohl wegen des Inhalts als auch wegen der Art der Recherche.
    Aus Frankfurt ist die Journalistin Canan Topçu zugeschaltet, sie ist in der Türkei geboren und lebt seit über 40 Jahren in Deutschland. Guten Morgen Frau Topçu.
    Canan Topçu: Guten Morgen, Frau Florin.
    Florin: Sie haben Constantin Schreiber öffentlich vorgeworfen, Misstrauen gegen Muslime zu schüren. Welche Kritik an Moscheen in Deutschland ist berechtigt?
    Topçu: Kritik an Moscheen generell finde ich nicht berechtigt, aber berechtigt sind Kritiken einzelner Predigten und einzelner Moscheen, die in dem Buch auftauchen. Wir sollten differenzieren und sagen, "diese Predigt und diese Moschee". Kritik ist richtig, aber nicht generell.
    Florin: Müssen Religionsgemeinschaften aber nicht auch damit leben, dass sie unfair kritisiert werden? Das müssen die Kirchen ja auch aushalten.
    Topçu: Ja, das müssen sie. Aber man muss auch mit ihnen fair umgehen. Und die Vorgehensweise von Herrn Schreiber ist alles andere als fair. Wenn man sich 13 Predigten anguckt und dann sagt, "das ist exemplarisch und das ist eigentlich eine Reportage", am Ende aber eine Bilanz gezogen wird, die generalisierend und verallgemeinernd ist und der Tenor dann ist, dass ein roter Faden sich durch die Predigten ziehe, in denen also gegen das Leben in Deutschland plädiert wird und die Predigten desintegrativ seien -, das müssen, glaube ich, Moscheen und Muslime sich nicht mehr gefallen lassen.
    "Die Diskussion war gar nicht bekannt"
    Florin: Sie waren beim Freitagsgebet in Frankfurt. Wie sprechen Gläubige über dieses Buch "Inside Islam"?
    Topçu: Ich kann das nicht verallgemeinern. Meine Eindrücke sind, dass in der Moschee, - ich war in Hannover bei einer Milli Görüs Moschee, habe auch mit jüngeren Leuten gesprochen -, eigentlich überhaupt nicht die Diskussion bekannt war. Man kannte dieses Buch gar nicht, auch nicht die Fernsehreportage. Das finde ich dann allerdings auch ein bisschen schade, weil diese Diskussion und die Kritik, die Schreiber ja öffentlich macht, könnte auch innermuslimisch dazu führen, dass man sich mit den Themen befasst und nicht nur so parallel lebt oder - was manche auch machen, aufgrund der massiven Kritik an Muslimen und Islam, - einfach so abschalten.
    Florin: Warum glauben Sie, wird das nicht diskutiert? Ein Beispiel aus der evangelischen Kirche: Da gab es 2015 einen Bremer Pfarrer, der hat das muslimische Zuckerfest als 'Blödsinn' bezeichnet und Buddha als 'fetten alten Herren'. Darüber gab es heftige Diskussionen unter Gläubigen und in den Medien. Warum bleibt so etwas offenbar in der muslimischen Community aus, wie Sie gerade gesagt haben?
    Topçu: Ob das tatsächlich ausbleibt, wissen wir ja gar nicht. Wir Journalisten machen immer nur so Momentaufnahmen und prägen einzelne Momente mit. Dazu gibt es auch viel zu wenig Forschung. Vielleicht findet das tatsächlich statt und wir kriegen das nicht mit, insofern finde ich das schwierig zu sagen. Aber fest steht, dass es nicht eine heterogene Gruppe von Muslimen gibt. Es gibt sicherlich auch welche, die das kritisieren. Die machen das dann aber auch nicht unbedingt öffentlich, weil das Image der Muslime und des Islams sowieso schon schlecht ist. Die bleiben dann weg, also die gehen dann halt vielleicht nicht mehr in diese Moschee und drücken so ihre Kritik aus.
    Mein Eindruck und auch der Eindruck derer, mit denen ich darüber gesprochen habe, auch Wissenschaftler, die sich ein bisschen damit beschäftigt haben, Rauf Ceylan etwa, ist: Man sitzt da, sitzt seine Zeit ab, weil es zur Pflicht gehört, als Muslim an der Freitagspredigt, an dem Moscheebesuch teilzunehmen, - aber so richtig mitbekommen und richtig zuhören, das tun die Leute auch nicht unbedingt. Das sind die Momentaufnahmen. Aber was ich gerne sagen möchte ist: Wir wissen eigentlich viel zu wenig. Und Herr Schreiber trägt nicht dazu bei, dass wir mehr wissen und mehr erfahren.
    "Unbequemes darf nicht weggelassen werden"
    Florin: Werden Moscheen oder die Predigten in Moscheen überschätzt?
    Topçu: Ja. Das denke ich, dass die überschätzt werden. Vor allen Dingen, wenn man sich anschaut, wie viele Muslime tatsächlich in Deutschland in die Moscheen gehen und bei wie vielen tatsächlich auch das ankommt, was in den Moscheen gesagt und gepredigt wird. Also wir reden über einen kleinen Anteil von Muslimen, die Moscheegänger sind. Und ein Großteil lebt seine Religion nicht unbedingt in der Moschee.
    Florin: Und an denen (in der Moschee) rauschen die Predigten dann offenbar vorbei. Nun hat Frauke Petry hat "Inside Islam" auf ihrer Facebook-Seite als "unzensierten Islam" gelobt. "Unzensiert" war ein Zitat von ihr. Lasten Sie das dem Autor an, dass ihn sozusagen die Falschen loben, die Falschen positiv zitieren?
    Topçu: Also Constantin Schreiber hat ja selbst in einem Interview zu seinem Buch gesagt, als Journalist gehöre es dazu, dass man eben Kritik oder Lob von falscher Seite bekommt, weil die Leute sich dann immer aus dem Kontext gerissene Inhalte rausziehen. Das stimmt, diese Erfahrung mache ich auch. Was nicht sein darf, ist, dass wir als Journalisten beim Recherchieren und Publizieren schon eine Schere im Kopf haben und Unbequemes weglassen, damit wir nicht von falscher Seite gelobt werden.
    Florin: Passiert das?
    Topçu: Das passiert, wenn man nicht solide arbeitet, nicht profund recherchiert und auch differenziert ist. Dann passiert das häufiger, als wenn man seiner Thematik sich mit der nötigen Ernsthaftigkeit widmet, denke ich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.