Archiv


Integrieren, resignieren, remigrieren

Moderne Integrationskonzepte setzen auf das Prinzip: Fördern und fordern. Sie haben sich verabschiedet von dem Credo, dass aus dem kulturellen Nebeneinander schon irgendwann ein multikulturelles Miteinander wird. Stattdessen propagieren sie gleichberechtigten Zugang zu Arbeit, Bildung, Wohnen. Sie fordern Angebote hier und die Bereitschaft dort, sie auch anzunehmen.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Das ist keine lllusion, sondern Realität. Viele Zuwanderer in der zweiten Generation haben längst Fuß gefasst, sind vom Arbeitnehmer zum Arbeitgeber geworden, mischen in der Politik mit und sind Teil des öffentlichen Lebens. Auch und besonders in den Niederlanden. Doch das Klima ist rauer geworden. Und das zeigt Wirkung: Ein türkischer Unternehmer hat resigniert. Er will das Land verlassen.

    Integrieren, resignieren, remigrieren: Ein türkischer Unternehmer gibt auf und kehrt in seine Heimat zurück.

    Draussen tobt der Verkehr auf dem Westblaak im Zentrum von Rotterdam; drinnen schluckt der stahlblaue Teppichboden fast jedes Geräusch. Die Büroräume sind sparsam möbliert, in dezentem Beige gehalten, der Chef trägt Anzug und Krawatte.

    Er heisst Hayrettin Özcinar und begrüsst an diesem Morgen gutgelaunt und schwungvoll seine Mitarbeiter. Der drahtige 39-jährige mit dem Schnauzbart hat Informatik an der TU Delft studiert und sich vor vier Jahren mit einem Automatisierungsunternehmen selbstständig gemacht.

    Er ist zufrieden, trotz Rezession verlaufe alles ausgezeichnet.

    Sein Vater, ein einfacher Schweisser, kam 1971 als Gastarbeiter nach Rotterdam, erzählt Hayrettin. Ein Jahr später holte er die Familie nach. Hayrettin war damals 7 Jahre alt. Er lernte tadellos nederlands sprechen und wurde ein ordentlicher Steuerzahler:

    Die Niederlande bräuchten Immigranten wie ihn, bekommt Hayrettin immer wieder zu hören. Nach dem Attentat auf van Gogh seien Leute wie er bitter nötig, um die wachsende Kluft zwischen Immigranten und Alteingesessenen zu überbrücken. Doch davon will Hayrettin nichts wissen - im Gegenteil: Er hat beschlossen, mit Frau und Kindern in die Türkei zurückzukehren:

    Ich fühle mich einfach nicht mehr wohl in den Niederlanden. Ausserdem habe ich es satt, immer dieselben Fragen zu hören: Wieso tragen viele moslemische Frauen ein Kopftuch, aber deine Frau nicht? Wieso bist du modern eingestellt und die anderen nicht?

    Auf dem Aktenschrank steht ein Luftfoto von seinem Rotterdamer Reihenhaus. In spätestens zwei Jahren gebe es ein solches Foto auch von seinem neuen Zuhause in der Türkei:

    In den Niederlanden würde er immer ein Ausländer bleiben, obwohl er sich selbst als Niederländer fühlt:

    Sobald er am Telefon seinen Namen nennt, tritt am anderen Ende ein erstauntes Schweigen ein, muss er seine Herkunft erklären. "Sie sprechen aber gut nederlands", heisst es dann. Worauf er kontert: "Sie aber auch", und es am anderen Ende erneut still wird.

    Als er vor zwei, drei Jahren zu einem Kundengespräch bei einem grossen Konzern eintraf, musste er sich von einem Aufsichtsratsmitglied die Bemerkung gefallen lassen: "Ich kenne nur Türken, die saubermachen!"

    Da musste ich ganz schön schlucken, kann ich Ihnen sagen! Ein Mitglied des Aufsichtsrates! Ein Ökonom! Einer, der studiert hat! Je höher du kommst, desto grösser werden die Vorurteile!

    Eines der bekanntesten Restaurants der Niederlande hat Hayrettin noch nie von innen gesehen - trotz Anzug und Krawatte:

    Dabei seien die Niederländer als alte weltoffene Handelsnation normalerweise zu allem bereit, wenn es ums Geldverdienen oder Sparen gehe:

    Inzwischen fahren sie doch auch in ganzen Horden in die Türkei, weil sich dort billig Urlaub machen lässt!

    "Erst integrieren - und dann remigrieren" sei ein Trend , erklärt Hayrettin. Allein im letzten Jahr seien fast 1.200 türkische Familien zurückgekehrt in die Türkei:

    Ich höre es von allen Seiten. Vor fünf Jahren noch kaufte sich jeder aus der zweiten Generation ein Haus, alle wollten bleiben. Und jetzt das!

    Wirtschaftlich würden die Niederländer das über kurz oder lang zu spüren bekommen. Aber sein Entschluss steht fest:

    Erstens werde sich das Immigrantenproblem weiter zuspitzen, zweitens wolle er sich moralisch nicht unter Druck setzen lassen:

    Wenn sie uns nötig haben, müssen sie sich auch dementsprechend benehmen. Sie können nicht sagen: Alle Ausländer raus, bis auf dich, du kannst bleiben, dich brauchen wir noch! So geht’s ja nun auch wieder nicht!

    Über seinem Schreibtisch hängen Gemälde mit dem Rotterdamer Hafen und verschneite türkische Winterlandschaften einträchtig nebeneinander - Symbole seines lebenslangen Versuches, beide Kulturen in sein Leben zu holen und hier wie dort heimisch zu werden.
    Damit ist Hayrettin gescheitert. Es falle ihm schwer, dies nach 33 Jahren konstatieren zu müssen, aber es sei nun einmal die bittere Realität:

    Er habe in Holland zwar ein Haus gefunden, aber kein Zuhause.