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Interessant, nur wenn die Erde bebt?

Zum zweiten Mal innerhalb von vier Monaten wurde Neuseeland am Montag von einem Erdbeben erschüttert. Eine, die dies hautnah erlebt und überlebt hat, ist Anke Richter. Seit 2003 berichtet die deutsche Journalistin aus ihrer neuen Wahlheimat - und sieht die Katastrophenberichterstattung kritisch.

Von Dörte Hinrichs | 18.06.2011
    Wenn die Erde bebt, dann fürchtet Anke Richter um ihr Leben. Und um das ihrer Familie und Freunde in Lyttelton, einem Stadtteil von Christchurch. Vor acht Jahren ist sie mit ihrem Mann, einem deutschen Arzt nach Neuseeland eingewandert, ihr zweiter Sohn ist schon gebürtiger Kiwi, wie sich die Neuseeländer nennen. Wenn die Erde mal wieder bebt und das Handynetz noch funktioniert, dann klingelt ihr Telefon besonders häufig. Dann melden sich plötzlich besonders viele Zeitungen oder Rundfunksender aus ihrer alten Heimat.

    Sie versucht nicht in Panik zu verfallen und einen kühlen Kopf bewahren, um ihrem Beruf nachzugehen. Früher wollte Anke Richter mal Kriegsreporterin werden, heute ist sie oft als Katastrophenreporterin gefragt. So, wie schon nach dem 22. Februar, als für einen kleinen Moment die Insel am anderen Ende der Welt in den Mittelpunkt der Berichterstattung rückte. Anke Richter:

    "Ich habe da mein Nötigstes getan, um zumindest schnell ein paar Informationen zu liefern und damit präsent zu sein. Es ist ja auch eine Einnahmequelle für mich, ist ja mein Beruf, und es wäre eine vertane Gelegenheit, das dann nicht zu nutzen in dem Moment. Aber die eigentliche journalistische Tätigkeit, die ich getan habe, das war für mich nicht die aktuelle Katastrophenberichterstattung, ein paar Minuten meinen Aufsager im Fernsehen, sondern das sind die Hintergrundgeschichten, die ich geschrieben habe über das Leben in Lyttelton und wie das weitergeht. Das sind dann genau die Sachen, über die dann keiner mehr berichtet. Wie es eigentlich wirklich aussieht, wie es den Leuten wirklich geht, jenseits der eingestürzten Häuser und der Horrorbilder, die man sieht."

    Da herrscht viel Angst. Und gleichzeitig erlebt Anke Richter viel spontane Nachbarschaftshilfe, teilt man sich draußen das Essen und das rationierte Wasser, freut sich, noch zu leben. Doch jedes Nachbeben erzeugt neuen Stress - für Anke Richter nicht der einzige:

    "Besonders krass wurde dann meine Lage als akute Katastrophenberichterstatterin als ich dann in der ersten Nacht im Auto meine Live-Schaltung machte, meine Familie hinter mir versuchte einzuschlafen. Dann ein Redakteur von einem Privatsender mich nötigte, als er dann hörte, dass ich dann vor meinem gerade nicht mehr bewohnbaren Haus stehe oder schlafe oder wie auch immer. "Ja, dann filmen Sie sich doch mit dem Handy und ich habe gesagt, es ist stockdunkel draußen, ich trage hier eine Stirnlampe, wir haben keinen Strom, es gibt überhaupt nichts zu sehen. Ja, aber dann können Sie doch mit der Taschenlampe – und ich habe mich mit meinem zerschlagenen Kopf und runtergekommenen Nerven wirklich dazu breitschlagen lassen, da draußen vor der Tür zu stehen, mich mit der Taschenlampe anzuleuchten und mit dem Handy einen dämlichen Aufsager darüber zu machen, dass ich hier vor meinem kaputten Haus stehe."


    Im Nachhinein wird Anke Richter die ganze Absurdität dieser Situation klar:

    "Und dann hat das nicht geklappt, mit MMS um die Welt zu schicken. Das Handynetz von Christchurch brach dann auch bald zusammen – wahrscheinlich war ich schuld mit meinen vielen Versuchen. Und eine ähnliche Situation spielte sich dann am nächsten Tag noch ab, als dann jemand vom Privatsender mich dann noch filmen wollte, ein bisschen als Erdbebenopfer – und ich gesagt habe: Nee, nee, also ich muss Euch hier nicht demonstrieren, wo wir gerade unsere Notdurft im Garten verrichten, weil wir kein Klo mehr haben. Also, das geht alles zu weit. Nee, diese Art von Berichterstattung muss ich nicht noch mal machen."
    Anke Richter zieht ihre persönlichen Lehren aus dieser Erfahrung. Jenseits der Erdbebebenberichterstattung hat sie bislang kritische und kuriose Streiflichter über ihre Assimilation Downunder geschrieben, sehr humorvoll und selbstironisch. Für ihr schönes Leben in Neuseeland zahlt sie gerade einen hohen Preis, sagt sie. Das Erdbeben hat viel ins Wanken gebracht bei ihr, auch das noch schlimmere in Japan. Da hat Anke Richter gemerkt, wie sich die mediale Aufmerksamkeit wieder einen neuen Fokus sucht:

    "Dann kommt wieder eine größere Katastrophe – wer kann das noch toppen, mit etwas noch Schrecklicherem, so ungefähr. Und ich habe Sorge vor dieser Abstumpfung, die wir uns selber heranzüchten. Immer noch mal draufhalten, und das vereinfacht so vieles und tut den Leuten unrecht. Ich merke das ja jetzt selbst an mir mit meinem vergleichsweise kleinen Drama. Und trotzdem weiß ich ja, was mir passiert ist und uns und vielen anderen dort. Und wie man das eigentlich nur teilen kann mit Menschen, mit denen man Gespräche führen kann und das nachvollziehen kann. Und das medial rüberzubringen ist sehr schwierig. Weil selbst das Fernsehen und manche Internetplattformen ganz anders gepolt sind."