Archiv


International und doch zurück an die Wurzeln

Es sei eine herausragende Ausstellung über die Künstlerinnen der russischen Avantgarde, so das Urteil der Kunstexpertin Christine Vielhaber über die Exponate im Wilhelm Hack-Museum Ludwigshafen. "Schwestern der Revolution" mache deutlich, welchen Spaß man an der Freiheit der Malerei gehabt hätte.

Fragen von Michael Köhler an Christiane Vielhaber |
    Michael Köhler: "Schwestern der Revolution" heißt – ein wenig merkwürdig für meinen Geschmack - eine Ausstellung über Künstlerinnen der russischen Avantgarde. Russische Avantgarde, Christiane Vielhaber, da denke ich spontan an Konstruktivisten, utopische Bauten, Skulpturen, an Namen wie Archipenko, Malewitsch, Lipchitz, Tatlin, Rodtschenko und viele andere. Aber, um ehrlich zu sein, Frauen sind mir beim ersten Nachdenken nicht sofort eingefallen. Ändert diese Ausstellung das?

    Christiane Vielhaber: Das erste spricht dafür, dass Sie relativ selten in das Kölner Museum Ludwig gehen, denn der Begründer des Museums in Ludwigshafen, Wilhelm Hack, hat genauso wie Peter Ludwig und zeitgleich russische Avantgarde gekauft, und daher sind mir viele dieser Frauennamen nicht nur bekannt, sondern auch von Ausstellungen, die hier zu sehen waren. Insofern ist das nichts so Neues. Was mich gefreut hat ist dieser Begriff "Schwester", und nicht, weil ich mich da als Schwester im Geiste fühle, sondern vor wenigen Jahren war eine vergleichbare Ausstellung, aber nicht in dieser Qualität und nicht in dieser Größe. Da wurde dann von den "Amazonen der Avantgarde" gesprochen. Das hat so was Kämpferisches. Schwestern meint eigentlich, dass sie sich auch nicht einer großen Familie, auch nicht politisch zugehörig fühlten, sondern sie sind zeitgleich aufgewachsen und hatten eigentlich alle denselben Spaß an der Malerei und an der Freiheit der Malerei. Denn wenn man diese Ausstellung sieht, dann sieht man, die sind nicht in Russland geblieben und haben jetzt geguckt, Volkskunst und was können wir für das Volk malen, oder wie können wir dem Volk irgendwas beibringen, was diese Gesellschaft besser macht, sondern ganz im Gegenteil. Sehr stolz taucht dann plötzlich 4711 auf einem Bild auf, oder Champagner, oder Fetzen von französischen Zeitungen, und man sieht an den Bildern, die waren in Deutschland, die waren in Paris, die haben den Kubismus gesehen, die haben in Italien die Futuristen gesehen, sie kannten Cézanne, was man auch bei vielen Bildern sieht, also das war überhaupt nicht so, dass die jetzt irgendwie politisch Agitprop malen.

    Köhler: Also Anschluss an die internationale Moderne, die zu der Zeit kurrent war, kann man es so sagen, und gar nicht so sehr Ideal von Klassenlosigkeit auch in der Malerei, also unhierarchischer Bildaufbau oder solche Geschichten? Das ist viel zu fett aufgetragen.

    Vielhaber: Natürlich gibt es Anklänge an den Suprematismus, der eben völlig frei war von allen erzählerischen Komponenten und frei war auch von formalistischen Überlegungen. Das gibt es. Aber im Grunde genommen sieht man, dass sie einfach, jedenfalls bis zu Lenins Tod 1924, doch die große Freiheit hatten zu malen, was sie wollten. Es waren ja großbürgerliche Töchter, sonst hätten die auch gar nicht reisen können. Richtig ist aber auch vielmehr, dass zum Beispiel bei Natalia Goncharova, sicherlich die Berühmteste, die auch mit den meisten Bildern vertreten ist, dass da doch ein Zurück zu den Wurzeln zu sehen ist ...

    Köhler: Figurativ, Frauenbildnisse, Bäuerinnen?

    Vielhaber: Bäuerinnen. Sie selbst malt sich mit einem Strauß Blumen in der Hand, also hier die Natur, aber hinter ihr die ganzen Bilder in ihrem Atelier. Sie malt teilweise ikonengleich Heiligenbilder als Reminiszenz zu etwas, was sie auch erlebt hat, es ist teilweise auch ornamental. Dann aber gibt es zum Beispiel Modeentwürfe, und hinreißend, so ein Kleines. Sie denken, das ist eine Barbie-Puppe, die sie dann wirklich auch mit Tüll bezogen hat.

    Köhler: Die russischen Avantgardistinnen sind nicht in die Keramik- und Textilklasse verbannt worden?

    Vielhaber: Nein, aber sie haben fast alle für die Textilindustrie gearbeitet. Hinreißende Stoffbahnen hängen in dieser Ausstellung nach Entwürfen, die es wirklich gibt, die man jetzt nachgewoben hat aus Seide. Wir haben jetzt keine Porzellanentwürfe und so, es ist kein Kunstgewerbe dabei, aber wo sie sich engagiert haben war das Theater, und da ist es vielleicht doch etwas politisch, weil man über das Theater die Massen erreichen konnte und eigentlich durch neue Farben, durch neue Figurinen, aber eben auch durch Bühnenbilder was bringen konnte.

    Köhler: Wir müssen einen Namen fallen lassen. Mich hat schwer beeindruckt Alexandra Alexandrowna Exter: Sieht aus, ich sage jetzt mal ungeschützt, wie ein Kandinsky, unglaublich farbreich, konstruktivistisch. Eine verrückte Frage: Viele von den Bauhauskünstlern hatten ein bisschen einen kosmischen Knall. Die Malerinnen auch?

    Vielhaber: Nein, die waren ganz bodenständig. Und wenn Sie gerade auf Frau Exter kommen, die ist eine ganz tolle Frau. Sie verbindet Kubismus, da denken Sie nicht nur an Braque, sondern auch Futurismus. Diesen Stil nennt man Kubufuturismus. Nur im Gegensatz zu den Kollegen in Frankreich oder in Italien gelingt es ihr, unerhört plastisch die Dinge hervortreten zu lassen, und es sind völlig andere Farben und völlig andere Bewegungen auch als bei den Futuristen in Italien.

    Köhler: Gelungene Ausstellung?

    Vielhaber: Ja, hervorragend.

    Köhler: Russische Avantgardistinnen im Ludwigshafener Wilhelm Hack-Museum zu sehen, "Schwestern der Revolution" – Christiane Vielhaber war das.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.