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Invasionsangst

Biologie.- Immer wieder gelangen Tiere und Pflanzen in Länder und Regionen, in denen sie nicht heimisch sind. Fast überall gibt es Programme zur Ausrottung dieser fremden Arten. Zu groß ist die Angst, sie könnten die heimische Flora und Fauna gefährden. Ökologen fordern nun zum Umdenken auf. Das Dogma "fremd gleich gefährlich" stimme so nicht.

Von Volker Mrasek | 28.06.2011
    Unter Ökologen rumort es gewaltig. Mitte Juni forderten 19 von ihnen, darunter viele renommierte Forscher, einen anderen Umgang ihrer Zunft mit eingeschleppten Arten. Dass fremde Zuwanderer per se eine Gefahr für natürliche Ökosysteme darstellten, sei ein Dogma, das nicht stimme, schreiben die Forscher in einem Essay. Man solle Invasoren in Flora und Fauna nicht bloß wegen ihrer fremden Herkunft bekämpfen.

    Das ist auch die Meinung von Mark Davis, Professor für Biologie am Macalester College im US-Bundesstaat Minnesota. Davis hatte die Idee zu der Streitschrift:

    "Es wird oft behauptet, fremde Arten seien die zweitgrößte Bedrohung für die Biodiversität auf der Erde, gleich nach Eingriffen durch den Menschen. Aber das ist völlig falsch! Im Gegenteil: Die Einführung neuer Arten hat die Biodiversität in fast allen Regionen der Erde erhöht. In den USA zum Beispiel gibt es heute ein Fünftel mehr Pflanzenarten als vor 400 Jahren. Warum? Weil die Zahl der neu eingewanderten Arten die der ausgestorbenen bei weitem übertrifft."

    Davis und seine Kollegen wollen nicht, dass man sie falsch versteht:

    "Uns ist klar, dass es sehr gefährliche invasive Arten gibt. Zum Beispiel Keime, die sich ausbreiten und Menschen töten können. Oder auch Schädlinge in Land- und Forstwirtschaft. Es gibt Belege dafür, dass natürliche Arten auf Inseln und in Seen durch eingeschleppte Raubtiere und Erreger ausgerottet wurden. Aber etwas tun sollten wir nur, wenn Eindringlinge wirklich schädlich sind."

    In Deutschland würde das zum Beispiel für den Riesen-Bärenklau gelten oder auch für die Beifuß-Ambrosie. Beide Pflanzen sind Einwanderer. An der einen kann man sich die Haut verbrennen, die andere löst Allergien aus.

    Nach Ansicht der "Nature"-Autoren sind Programme zur Ausrottung fremder Arten aber oft nicht begründet. Ihr Essay nennt Beispiele dafür.

    Demnach fließen immer noch Millionenbeträge in die Ausrottung von Tamarisken im Süden der USA. Dabei sei längst klar, dass die Sträucher die Vegetation an Flussufern bereicherten und geschützten Vogelarten Unterschlupf böten. Ein Beispiel aus Australien: Dort werde seit 20 Jahren versucht, die Ausbreitung der Martynie in einem Nationalpark zu stoppen. Das Kraut sei aber immer noch da und, vor

    "Der Schädling, der in Nordamerika im Moment die meisten Bäume absterben lässt, ist der Bergkiefern-Käfer. Das ist nicht etwa eine fremde Art, sondern eine einheimische!"

    Mark Davis und seine Mitstreiter sind mit ihrem Standpunkt allerdings in der Minderheit - und viele andere Ökologen nun aufgebracht. Ein Anruf bei Daniel Simberloff genügt, um das zu bestätigen. Der US-Biologe ist Professor für Umweltwissenschaften an der Universität von Texas in Knoxville. Sein Fachgebiet: die Invasion fremder Arten.

    "Ich habe mindestens 40 E-Mails bekommen von anderen prominenten Ökologen, die sagen: Dies ist ein furchtbarer Artikel! Wir müssen darauf regieren!"

    Simberloff ärgert vor allem der Vorwurf, Ökologen und Naturschützer verschwendeten unnütz Geld in ihrem Kampf gegen fremde Arten:

    "Wir setzen sehr sorgfältig Prioritäten, denn wir haben gar nicht die Mittel, um uns um alle Probleme zu kümmern. Deswegen knöpfen wir uns ohnehin nur die wichtigsten vor. So weit ich weiß, ist bisher nur ganz wenig Geld im Kampf gegen invasive Arten verschwendet worden. Außerdem: Viele Einwanderer entwickeln sich erst nach Jahrzehnten zu einer Gefahr für natürliche Ökosysteme. Wenn man nicht frühzeitig etwas gegen sie unternimmt, ist es oft zu spät!"

    In einem Punkt sind sich beide Fraktionen aber einig: Durch die Globalisierung werden immer mehr Arten in alle Welt verschleppt, das Problem nimmt also zu. Wie sollen Ökologen darauf reagieren? Die Streitschrift von Mark Davis und seinen 18 Koautoren wird die Diskussion darüber jetzt sicher befeuern.