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"Iphigénie" in Wien
Abkehr vom Menschenopfer

Von Susanna Dal Monte |
    Bis die Titelheldin sich dafür einsetzt, dass mit dem Morden ein Ende sein muss, geht es ziemlich wüst zu. Die Nachfahren des Tantalos werden zum innerfamiliären Morden verdammt. Agamemnon soll seine Tochter Iphigenie töten, Iphigeniens Mutter Klytämnestra tötet darauf ihren Mann, worauf Iphigeniens Bruder Orest die Mutter umbringt. Auf Tauris treffen und erkennen die wenigen Überlebenden einander wieder.
    Torsten Fischer versucht nun eine stringente, im Aufbau logische Version der Handlung zu erstellen. Er will Iphigenie als Mädchen und Tochter eines Königs zeigen, die erkennen muss in einer Welt die aus Lug und Trug besteht zu leben und die im Gegensatz zu allen anderen nach und nach Zivilcourage entwickelt.
    Thorsten Fischer erzählt die Geschichte noch düsterer und blutrünstiger als er es in den beiden vorangegangenen Produktionen die ja noch einzeln zu erleben gewesen waren, getan hat. Da werden Menschen abgeschlachtet und in Reih und Glied aufgelegt, da werden die Wände wie bei den Schüttbildern von Hermann Nitsch mit Blut besudelt. Da tauchen die gemordeten, blutigen Geister wie Zombies auf und treiben die Lebenden in den Wahnsinn.
    Ständig werden Menschen getötet - fast mit einer gewissen Leichtigkeit, als ob es nichts ausmachen würde. Die Bilder, die aus Syrien und anderen Ländern kommen, sind ähnlich. Und wenn es in der Oper heißt "Mord auf Mord - welch ein Grauen ..." und dabei beim Besucher Assoziationen zum heutigen Grauen durch die IS, die Taliban und sonstige Terrorgruppierungen frei werden, ist das durch und durch beabsichtigt, denn für Fischer gibt es keine angehobenen griechischen Götter - sie sind ein Spiegelbild unserer Zeit, unserer Gesellschaft mit all dem Bösen das sich darin wiederfindet.
    Teile der Bühnenbilder der beiden Einzelproduktionen finden sich wieder- wenn auch modifiziert. Wieder ist die Bühne in Grau gehalten. Die riesige Drehbühne kommt zu Einsatz und zu Beginn befindet sich eine überdimensionale, löchrig-angebissene Weltkugel in der Mitte die die Protagonisten erklimmen.
    Ein langer, intensiver und nicht unanstrengender Abend
    Auf zweieinhalb Stunden plus einer Pause haben Thorsten Fischen und Dirigent Leo Hussain die beiden Opern um Iphigenie, die erst auf Aulis von ihrem Vater Agamemnon für günstigen Wind scheinbar geopfert wird und später als Gefangene auf Tauris selbst Menschenopfer darbringen soll, reduziert. So musste also viel gekürzt werden - vor allem im ersten Teil- dem in Aulis. Etliche Arien, Rezitative vor allem die Ballettmusik von Aulis fielen den Strichen zum Opfer, denn das Leadingteam wolle nicht bloß die beiden Opern aneinanderreihen, sondern eine durchgehende Geschichte in erträglich zeitlichem Rahmen erzählen. Von einigen Sprüngen abgesehen, wird aber chronologisch richtig in Aulis begonnen und auf Tauris geendet.
    So gibt es im Theater an der Wien zwei Iphigénien. Jene auf Aulis singt die Holländische Sopranistin Lenneke Ruiten, jene auf Tauris verkörpert mit Véronique Gens eine der führenden Barock und Mozartinterpretinnen. Sie war schon 2010 als Iphigenie en Tauride im Theater an der Wien zu hören gewesen.
    Im ersten Teil geistert Gens als beobachtende, reife Iphigenie durchs Geschehen, beobachtet die Geschehnissen von damals. Und ist da schon unglaublich präsent. Wenn sie im zweiten Teil dann auch noch Stimme gibt, dann liegt das Hauptaugenmerk eindeutig auf ihr. Dramatisch packend , lässt sie den Zuseher und Hörer nicht mehr aus ihrem Bann. An ihrer Seite sind Maxim Mirnov als Achille, Christoph Pohl als Agamemnon oder Stéphane Degout zu hören. Sie stehen ihr an Intensität um nichts nach - der ein oder andere stößt allerdings zwischendurch an seine stimmlichen Grenzen.
    Die Wiener Symphoniker - freilich in kleiner Formation wie es sich für Gluck gehört - spielen sehr differenziert. Manchmal hätte man sich von Leo Hussain etwas zügigere Tempi gewünscht. Und, dass der Arnold Schönbergchor weit mehr als bloß ein Konzertchor, sondern adäquater Bühnenpartner der Sänger ist , hat sich auch schon herumgesprochen.
    Die griechischen Tragödien sind einfach die besten Theaterstücke, hat Thorsten Fischer in einem Interview gesagt "Da ist bereits alles drinnen, was die Menschheit berührt". Er hat recht und zeigt, dass auch Iphigenie in den 3.000 Jahren nichts an Brisanz verloren hat und den Nerv der Zeit immer noch trifft.
    Auch für das Publikum ist es ein langer, intensiver und nicht unanstrengender Abend.