Archiv


Iraker begrüßen "Hauch von Demokratie"

Auch wenn ein Nein zur irakischen Verfassung möglich ist, will die deutsche Journalistin Birgit Svensson nicht von einem Scheitern sprechen. Sie glaube vielmehr, dass ein längerer Verfassungsprozess für die Iraker hilfreich wäre. Die Leute hätten noch nicht erkannt, dass die jetzige Verfassung eine Spaltung des Landes hervorbringen würde, betonte Svensson.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Heinlein: Die Unsicherheit geht weiter, die neue irakische Verfassung steht auf der Kippe. Vor allem aus den Sunniten-Provinzen gibt es widersprüchliche Meldungen, sollte die überwiegende Mehrheit dort den Entwurf ablehnen, ist die Verfassung vorerst gescheitert. Genaue Ergebnisse soll es jetzt erst in einigen Tagen geben. Dennoch US-Präsident Bush ist zufrieden mit dem Verlauf der Abstimmung, die hohe Wahlbeteiligung sei ein schwerer Schlag für den Terrorismus, so heißt es aus Washington. In Bagdad am Telefon begrüße ich jetzt Birgit Svensson, sie ist eine der wenigen deutschen Journalisten in der irakischen Hauptstadt, und wird auch den Morgen beginnenden Prozess gegen Saddam Hussein für uns beobachten. Guten Morgen nach Bagdad!

    Svensson: Guten Morgen!

    Heinlein: Frau Svensson, gibt es neue Informationen über das Ergebnis der Volksbefragung?

    Svensson: Ganz konkrete Informationen gibt es nicht. Ich habe gestern mit zwei Verfassungsausschussmitgliedern gesprochen, die finden das eigentlich sehr spannend, was hier abläuft, weil sie sagen: Endlich mal so ein Hauch von Demokratie. Und zwar stand ja früher immer bei den Wahlen das Ergebnis schon vorher fest. Und jetzt sieht es doch danach aus, dass bis zum Schluss eigentlich die Spannung hoch gehalten wird. Es war so, dass wir ein paar Stunden nach Schließung der Wahllokale erfahren haben, dass anscheinend die Sunniten-Provinzen doch mit Ja gestimmt haben, was sich dann aber nachher als falsch herausstellte. Und gestern hat dann die Wahlkommission erst mal ein Auszählungsstopp verhängt. Es muss also noch mal alles nachgezählt werden, weil da einfach ein paar Unwegsamkeiten passierten.

    Heinlein: Wie erklären Sie sich denn diese widersprüchlichen Angaben über das Ergebnis der Volksbefragung?

    Svensson: Ich glaube, dass einfach noch ein bisschen so die alte Mentalität dahinter steckt bei den Leuten. Also, es sollte ein Ja werden. Condoleezza Rice, die US-Außenministerin, hat auch schon gesagt, es hätten also alle zugestimmt und auf die Verfassung gejubelt, und der Gouverneur von Ninawa, das ist also die Provinz nordwestlich von Bagdad, also ganz im Norden, mit der drittgrößren Stadt Iraks Mossul, der hat gesagt, dass er meint, dass die Mehrheit der Leute mit Ja gestimmt hätten. Und das ging dann so einfach an die Presse, und deshalb wurde also schon ein bisschen vorab gejubelt. Bei genauerem Hingucken hieß es dann: Ja, es könnte also sein, dass Ninawa doch mit Nein gestimmt hätte. Und was die Wahlkommission irritiert hat ist, dass der Gouverneur selber schon sehr, sehr früh Ergebnisse oder keine Ergebnisse herausgegeben hat, obwohl das eigentlich der Wahlkommission in Bagdad obliegt.

    Heinlein: Frau Svensson, die Verfassung, wenn ich Sie richtig verstehe, steht also weiter auf der Kippe. Das Ergebnis wird erst in einigen Tagen feststehen, welche Folgen hätte denn ein Scheitern für die demokratische Entwicklung des Landes? Sie sagen es gibt ein Hauch von Demokratie.

    Svensson: Also, ich weiß nicht, ob das ein Scheitern wäre. Alles spricht von Scheitern. Ich teile die Meinung nicht. Ich glaube, dass es eigentlich ganz gut wäre, wenn die Leute etwas mehr Zeit hätten noch mal darüber nachzudenken, über was sie hier eigentlich abgestimmt haben. Sie hatten nur drei Monate Zeit eigentlich, was für einen Verfassungsprozess undenkbar ist. Wenn wir uns überlegen in Afghanistan dauerte es länger, in Südafrika zwei Jahre. Und die Iraker haben nun innerhalb von drei Monaten den Verfassungsentwurf auf dem Tisch gehabt und darüber abstimmen müssen. Was passiert, wenn es scheitert? Dann passiert folgendes, dann wird am 15. Dezember noch mal gewählt, sowieso gewählt, aber es wird dann noch mal eine verfassungsgebende Versammlung gewählt werden, die noch mal einen Entwurf ausarbeitet, das heißt der ganze Prozess ist noch mal ein Jahr aufgeschoben.

    Heinlein: Skeptisch, Frau Svensson, gegenüber der Verfassung sind ja vor allem die Sunniten. Wie berechtigt ist denn die Sorge dieser Minderheit durch diese neue Verfassung so wie sie jetzt formuliert ist politisch und wirtschaftlich in Zukunft benachteiligt zu werden.

    Svensson: Also, so wie die Verfassung jetzt vorliegt, sagen Beobachter und ich habe sie mir auch ziemlich genau angeguckt, dass es eine Spaltung des Landes hervorbringt. Und zwar, die Regionen werden sehr stark gestärkt, die Kurden haben sowieso das Bestreben sich von dem Rest Iraks zu trennen, so zusagen also wie auch immer, die Schiiten haben darauf hin reagiert und gesagt, sie möchten auch mehr Autonomie für ihre Region. Man muss dabei bedenken, dass das Öl, was ja der Reichtum des Landes ist, im Norden und im Süden ist, das heißt in der Mitte ist nichts! Und Bagdad ginge also absolut leer aus und auch die Sunniten-Provinzen gingen leer aus. Jetzt hat man allerdings einen Kompromiss gefunden mit den Sunniten, und die Ironie dieser Geschichte ist ,dass die Amerikaner sich mit den Sunniten an einen Tisch gesetzt haben, obwohl sie das sehr, sehr lange abgelehnt haben, und gesagt: Okay, selbst wenn die Verfassung durchgeht, das heißt, wenn mit Ja gestimmt wird, hätten die Sunniten noch mal die Möglichkeit einer Änderung, die dann von dem neuen Parlament abgesegnet wird. Das heißt man wollte das etwas abfedern.

    Heinlein: Frau Svensson, Morgen beginnt der Prozess gegen Saddam Hussein. Ist der Zeitpunkt dieses Verhandlungsauftaktes so knapp wenige Tage nach dem Verfassungsreferendum bewusst gewählt worden?

    Svensson: Ich denke ja. Also, man hat versucht, besonders die Regierung jetzt, die also von den Schiiten dominiert ist, hat gesagt, wir bringen Saddam vor Gericht. Das ist also so ein bisschen Rache auch an dem was er ihnen angetan hat, er hat die ja gnadenlos verfolgt über Jahre hin. Und die haben gesagt, solange sie an der Regierung sind, wird Saddam vor Gericht gestellt. Das ist versucht worden vor dem Referendum zu machen, man sagte aber das ist also taktisch und politisch nicht sehr klug, man solle also warten bis nach dem Referendum, und dann hat Ministerpräsident el Dschafari gesagt: Okay, dann machen wir das nach dem Referendum.

    Heinlein: Wie groß ist denn die Aufmerksamkeit insgesamt in der irakischen Bevölkerung für diesen Prozess?

    Svensson: Überhaupt nicht, sie würden staunen, den Leuten ist das ziemlich egal. Also, ich habe gestern eine Umfrage auf der Straße gemacht, für sie ist das Vergangenheit, Saddam ist weg. Sie blicken nach vorne. Also die Verfassung treibt sie wesentlich mehr um als jetzt dieser Saddam-Prozess. Die Verfassung und wie geht es weiter mit Irak. Fällt der Irak auseinander? Wird die Einheit bewahrt? Das ist das, was die Leute hier herumtreibt. Und dann man darf nicht vergessen, die Leute sind sehr, sehr bestrebt einfach mal den Alltag auf die Reihe zu bekommen. Sie haben seit gestern Nachmittag um 15 Uhr keinen Strom mehr! Die Leute stehen immer noch Schlange vor den Tankstellen! Also das heißt, die Versorgung der Bevölkerung ist nach wie vor zweieinhalb Jahre nach dem offiziellen Kriegsende nicht gewährleistet, und das ist das was die Leute eigentlich beschäftigt.

    Heinlein: Aus Bagdad war das meine Kollegin Birgit Svensson. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören in die irakische Hauptstadt.