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Iran
"Das ist ein Wendepunkt bei den Protesten"

Die Proteste im Iran werden nicht wie 2009 vor allem von Intellektuellen geführt - auf die Straße gehen in diesen Tagen viele enttäuschte Arbeiter und Arbeitslose. "Der Protest geht von denjenigen Schichten in der Gesellschaft aus, die über Jahre Perspektivlosigkeit erlebt haben", meint die iranische Künstlerin Parastou Forouhar.

Von Werner Bloch | 05.01.2018
    Die iranische Konzeptkünstlerin Parastou Forouhar
    "In dieser Ecke der Welt hat man große Sorge, dass alles in einem Chaos versinkt", sagt die iranische Konzeptkünstlerin Parastou Forouhar (picture alliance / dpa / Ismael Herrero)
    Alles im Iran sei jetzt anders, sagt die Künstlerin Parastou Forouhar. Jetzt stehe das ganze politische System im Iran stehe auf der Kippe.
    "Es gibt Parolen wie 'Nieder mit der Diktatur', 'Nieder mit dem religiösen Führer'. Das ist ein Wendepunkt bei den Protesten im Iran, weil bisher gab es immer bei Protestaktionen Parolen, die den reformistischen Teil des Machtapparats unterstützt haben. Jetzt nicht mehr, weil die Hoffnung, dass man auf die gesetzt hat, ist nicht aufgegangen. Es gibt eine andere Parole: Hardliner oder Reformisten - eure Zeit ist vorbei."
    Protest der sozial Benachteiligten
    Den sogenannten Reformern traut keiner mehr - auch nicht dem Staatspräsidenten Rohani, der im Ausland lange hofiert wurde.
    2009 waren die Proteste noch von Künstlern und Intellektuellen angeführt worden. Jetzt höre man erstaunlich wenig von den Intellektuellen, die meisten haben sich noch nicht öffentlich positioniert.
    "Der Protest geht von denjenigen Schichten in der Gesellschaft aus, die über Jahre Perspektivlosigkeit erlebt haben, Arbeitslosigkeit, eine absolute soziale Ungerechtigkeit erfahren. Es gab vor einigen Monaten Arbeiter in einer Fabrik, die protestiert haben, und als Strafe hat ein religiöser Richter die zu Peitschenhieben verurteilt. So was sammelt sich an und dann kommt es zu einer solchen Explosion."
    Aufstand wird als Gotteslästerung deklariert
    Die Peitschenhiebe gegen Arbeiter sollten aber aus Sicht der iranischen Regierung auch ein religiöses Signal sein, gleichsam eine Strafe Gottes, der Aufstand so etwas wie Blasphemie. Der Vorsitzende des Teheraner Revolutionsgerichts, Moussa Ghasanfarabadi, hat die Aufständischen bereits der "Feindschaft gegen Gott" bezichtigt.
    "Die Bevormundung der Bevölkerung findet unter dem Namen des Islam statt. Viele Parolen sind gegen den Klerus und gegen die religiösen Führer, aber auch gegen den Missbrauch der Religion. Wenn die Leute demonstrieren aus Hunger und Not und das als Gotteslästerung bezeichnet wird, das ist eine unmögliche Sackgasse."
    Angst und Ratlosigkeit
    Wie aber herauskommen aus dieser Sackgasse? Darauf weiß niemand eine Antwort. Die iranische Opposition wirke erstaunlich melancholisch. Die Tatsache, dass ein Umsturz so nahe ist wie vielleicht nie, lässt im Iran niemanden jubeln. Es herrschen Angst und Ratlosigkeit.
    "Man hat Angst dort in dieser Nachbarschaft, neben Syrien, Irak, Afghanistan, jetzt auch die Situation in der Türkei. In dieser Ecke der Welt hat man große Sorge, dass alles in einem Chaos versinkt. Aber die jetzige Situation ist auch nicht haltbar. Es muss irgendwie ein Veränderungsweg sich öffnen."