Und aufs Ulkigste. Denn natürlich rollt Holbein in "Isis entschleiert" keinen erkenntnistheoretischen Felsen im Schweiße seines Angesichts steile Erzählhänge hoch. Es ist vor allem ein Spiel, und sein Spiel macht Spaß. Alles hat der Spiel- und Zitiertrieb infiziert, vom Vorwort über die Danksagung, vom Buchumschlag bis zur Biografie des Verfassers (die stammt aus dem Munzinger-Archiv), alles ist aus zweiter Hand, alles schon mal dagewesen. Selbst der Titel: "Isis entschleiert" - so hieß schon eine Abhandlung von H. P. Blavatsky.
Bei der Wahl der Quellen, aus denen er schöpft, ist Holbein äußerst großzügig. Theologisches, Philosophisches, Literarisches von unterschiedlicher Qualität stehen neben Zeitungsartikeln, Werbesprüchen und Alltagsschnipseln. Holbein zitiert Adorno und den Dalai Lama, die deutsche Bundesbahn und Beipackzettel, Rudolf Steiner und immer mal wieder auch sich selbst. Der Effekt ist meist, wie nicht anders zu erwarten, ein komischer. Wobei die Komik den Zitaten selbst entspringen kann oder ihrem absichtsvollen Ineinanderrasseln. Ein Beispiel für viele: ein in drastischer Detailliertheit geschilderter Liebesakt aus der Feder des Franzosen Guillaume Apollinaire: (..."darunter verschlangen die behaarten Lefzen der Fotz gierig das strotzende Glied, das beim Hochgehen glitschig und fast ganz zum Vorschein kam") und dann unmittelbar Thomas Mann: "- worüber wir aber den Schleier des Zartgefühls und menschlicher Rücksichtnahme werfen".
Hinter dem Schleier des Spaßes lauert der Ernst, mit der Frage nämlich, ob nicht jeder Satz durch seine Nachbarsätze eine neue Bedeutung erhält, ja ob nicht auch sein Wert von seiner Umgebung geprägt wird. Was aber ist ein Satz, wenn er nur andere reflektiert? Darüber, und auch darüber, ob das Zitat ein traditionalistisches oder eine modernistisches Stilmittel sei, lässt sich mit Holbein trefflich debattieren. Und auch wiederum nicht: Denn was ist noch Zitat, wenn alles Zitat ist? Der Schleier der Isis mag noch zu lüften sein, wenn auch unter Todesgefahr. Der Schleier der Maja ist unzerreißbar (aber schon Schopenhauer, weiß Holbein, hat die beiden verwechselt). Am Ende findet der Autor sogar noch Kraft zu einem furiosen Fugato, einer literarischen Engführung, die Nietzsches Gedanken der "Ewigen Wiederkehr des Gleichen" auf wahrhaft kongeniale Weise illustriert: Durch die ewige Wiederkehr der gleichen Zitate in lediglich wechselnder Reihenfolge, Äußerungen von Meister Eckhart und Heidegger, Ror Wolf und Willi Müller, Milan Kundera und den Berichten des zehnjährigen Ulrich Holbein aus einem Schullandheimaufenthalt: "Nach dem Aufstehen, Waschen, Essen, Draußenspielen, Essen, Ruhen, Draußenspielen, Essen und Waschen gingn wir ins Bett."
Ein Zitat übrigens habe ich bei Holbein vermisst - gerade weil es sein verrücktes Unternehmen so schön auf den Punkt bringt. Es stammt von dem polnischen Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec und lautet: "Von den meisten Büchern bleiben bloß Zitate übrig. Warum also nicht gleich nur Zitate schreiben?"