Christiane Florin: Am vergangenen Montag, nach Sonnenuntergang, verspeiste Joachim Gauck in Berlin-Moabit Reis, Gemüse-Curry und Hähnchen, auch Datteln wurden gereicht. Normalerweise ist die präsidiale Nahrungsaufnahme hier keine Meldung wert. Aber: Der Bundespräsident war zu Gast bei einem öffentlichen Fastenbrechen und damit hat das Mahl eine politische Botschaft. Die lautet: Der Ramadan geht auch Nicht-Muslime an. Der Fastenmonat wird durch analoge Anwesenheit gewürdigt, darüber hinaus bekommt er viel digitale Aufmerksamkeit. Prominente und weniger prominente soziale Netzwerker posten zum Beispiel besondere Grüße für ihre muslimischen Facebookfreunde und setzen damit ein Zeichen gegen den digital verbreiteten Islamhass.
Die Journalistin Canan Topçu hat sich via facebook bei mir gemeldet. Sie schrieb, es störe sie, wenn eine religiöse Praxis derart zur Schau gestellt werde. Das sei verlogen. Diese Kritik hat mich neugierig gemacht, deshalb sprechen wir nun miteinander. Canan Topcu ist in der Türkei geboren, seit 1973 lebt sie in Deutschland. Sie war lange Redakteurin der Frankfurter Rundschau und arbeitet seit einigen Jahren als freie Journalisten und Dozentin. Frau Topçu, was ist verlogen am öffentlichen Fasten und Fastenbrechen?
Canan Topçu: Der ursprüngliche Sinn des Fastens ist ein anderer als diese Inszenierung, die ich - und nicht nur ich - zunehmend in Deutschland wahrnehme. Der Fastenmonat ist die Zeit des In-Sich-Kehrens, des Mit-Sich-Klausurgehens, um die spirituellen Momente in sich aufzuspüren. Ich glaube nicht, dass durch dieses folkloristische, öffentliche Fasten und Zur-Schau-Stellen das umsetzbar ist.
Florin: Wer macht da den Fehler: die Politiker und die Prominenten, die sich einladen lassen, oder die muslimischen Gemeinden und Verbände, die einladen?
Topçu: Ich weiß nicht, ob man von einem Fehler sprechen sollte. Ich mag mir das Urteil nicht zueigen machen. Ich beobachte es und frage mich, ob es Sinn macht. Von beiden Seiten ist das nicht gut durchdacht. Sowohl die Gastgeber als auch die Gäste sind sich nicht der Wirkung bewusst. Es wird immer gesagt: "Das soll den Dialog fördern und Muslime und Nicht-Muslime zusammenführen". Die Frage ist: Ist das tatsächlich der Ort, um den Dialog zu fördern? Und was löst das bei denjenigen aus, die so kritisch den Muslimen und dem Islam gegenüber eingestellt sind? Führt es dazu, dass sie mehr Verständnis für Muslime in diesem Land haben? Ich wage das zu bezweifeln und stelle fest, dass es keine Wirkungsanalysen darüber gibt, wie sich dieses öffentliche Fastenbrechen oder diese Einladungen tatsächlich auswirken.
Florin: Vielleicht, weil es eine noch junge Erscheinung ist. Kürzlich hat die Ditib in Berlin ein Fastenbrechen mit dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert abgesagt. Grund war die Armenien-Resolution des Bundestages. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, hat etwas Ähnliches erlebt. Ist der Ramadan eine Art politische Verhandlungsmasse?
Topçu: Ich habe mich unter meinen Freunden umgehört. Es gibt welche, die es als Geste schön finden, wenn Politiker die Einladung wahrnehmen. Es gibt aber auch unter meinen Freunden viele, die das als "politischen Aschermittwoch" sehen, also als totale politische Inszenierung. Dass es durch und durch politisch ist, zeigen die Einladungspraktiken und Absagen. "Welche Politiker lade ich ein?" - da gibt es einen richtigen Wettbewerb unter den muslimischen Verbänden und Vereinen, wer welchen Politiker und Prominenten zu seiner Veranstaltung bekommt. Und Politiker wählen auch ganz bewusst aus, zu welchem Iftar-Empfang sie gehen. Ich habe im Vorfeld etwas recherchiert und mich sehr gewundert: Der Zentralrat der Muslime veranstaltet morgen Abend mit der Botschaft der Arabischen Emirate einen Fastenempfang. Zu Gast wird der deutschen Bundeswirtschaftsminister Gabriel sein. Der Zentralratsvorsitzende Mazyek, der ein paar Tage vorher seine Solidarität mit Homosexuellen ausgesprochen hat, sitzt zusammen mit Vertretern einer Staatenorganisation, in der Homosexualität mit dem Tod geahndet wird. Und dann kommt noch ein Bundespolitiker dazu. Ich weiß nicht, ob das dem Sinn des Fastenbrechens entspricht.
Florin: Glauben Sie wirklich, dass man angesichts der Stimmung im Land als deutscher Politiker mit Islamfreundlichkeit punkten kann?
Topçu: Bei Muslimen schon. Das wird als generöse Geste des Anerkanntwerdens interpretiert. Zumindest von denen, die bedürftig sind und in ihrem Selbstwertgefühl so destabilisiert sind, dass sie es brauchen, dass ein deutschen Politiker ihnen sagt: Ihr seid hier anerkannt, ihr seid ein Teil dieses Landes.
Florin: Sie selbst sind Muslimin. Fasten Sie eigentlich auch?
Topçu: Nein.
Florin: Aus Protest?
Topçu: Das würde zu weit führen. Ich beschreibe mich als Kulturmuslima, die mit den religiösen Praktiken aufgewachsen ist und dazu eine innige Verbindung hat. Ich habe meinen Glauben auf meine Weise. Ich bin nicht unbedingt der Ansicht, dass man alle Gebote und Verbote à lettre nehmen muss.
Florin: In der christlichen Fastenzeit fastet ungefähr jeder Zehnte - oder sagt das zumindest in Umfragen. Da ist der soziale Druck nicht hoch. Wie ist es während des Ramadan?
Topçu: Hier in Deutschland ist der soziale Druck gestiegen, auch unter den Schülern. Wir mir erzählt wird, gibt es - neudeutsch gesagt - ein Dissen, wenn muslimische Klassenkameraden nicht fasten. Genauso geht das auch mit dem Kopftuchtragen. Wie sehr der soziale Druck da ist, habe wir am Wochenende in der Türkei erlebt, wo eine Gruppe von jungen Menschen angegriffen wurde, die in einem Musikladen nicht gefastet und Bier getrunken hat. Das ist schon sehr extrem geworden.
Florin: In der vergangenen Woche wurden vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster eine Studie präsentiert. Befragt wurden dafür Türkeistämmige, die unterschiedlich lange in Deutschland leben. Demnach sagten 86 Prozent der zweiten und dritten Generation, es sei wichtig, zur eigenen Kultur und Herkunft zur stehen, in der ersten Generation sind es deutlich weniger. Womit erklären Sie sich diese Veränderung: gestiegenes Selbstbewusstsein?
Topçu: Gestiegenes Selbstbewusstsein müsste eigentlich dazu führen, dass man sich als Teil dieses Landes empfindet und nicht der Bezug zum Herkunftsland steigt. Ich bin keine Soziologin. Ich kann das nicht erklären. Ich frage mich, welches Forschungsdesign es war, auf welche Fragen diese Antworten gekommen sind. Wichtig finde ich, die Quintessenz der Forschung: dass man danach schauen muss, welche Gründe das hat und ob die Muslime sich nicht selber in Frage stellen müssen mit ihrer Religion. Es wird immer damit argumentiert: "Wir werden hier nicht angenommen, und deshalb gibt es den Herkunftsbezug." Aber wie sehr macht man sich zum Opfer und inszeniert dieses Nicht-Angenommenwerden? Das müsste einmal genauer hinterfragt werden.
Florin: Was heißt das "die Religion hinterfragen" in punkto Ramadan? Weniger sichtbar fasten?
Topçu: Ich finde die Inszenierung fragwürdig. Kommt es dem Ziel näher, dass Menschen aus der Mehrheitsbevölkerung, die dem Islam gegenüber kritisch eingestellt sind, mehr Verständnis haben? Das glaube ich nicht. Ich frage mich, ob dieses öffentliche Inszenieren tatsächlich etwas mit Religiösität zu tun hat. Das bezweifele ich. Es hat auch mit Präsenz-Zeigen zu tun. Diese Pavillons zum Fastenbrechen in öffentlichen Räumen kann man kritisch sehen. Es ist eine symbolische Besetzung von Orten, die vorher schon anderweitig symbolisch besetzt worden sind. Ich bin da ein bisschen skeptisch. Ich glaube nicht, dass das zu einem friedlichen Zusammenleben und einem gegenseitigen Verständnis beiträgt. Vielleicht würde es zu mehr Verständnis führen, wenn man sich kritisch mit Teilen der Religion und der religiösen Praxis auseinandersetzt und nicht bei jeder Gelegenheit sagt: "Islam ist Frieden". Das glaubt doch heute keiner mehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das gesamte Gespräch können Sie nach der Ausstrahlung mindestens sechs Monate in unserer Mediathek nachhören.