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Islamisten in Kirgistan
"Das widerspricht den traditionellen Werten"

Die islamistische Terrororganisation IS ist längst zum weltweiten Problem geworden. Betroffen ist auch Zentralasien, zum Beispiel Kirgistan. Das Land gilt als Insel der Demokratie, die Gesellschaft ist geradezu offen. Das führt dazu, dass auch Extremisten aus Nachbarländern hier Zuflucht suchen.

Von Gesine Dornblüth | 22.11.2014
    Der Dordoi-Markt in der Nähe von Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans.
    Der Dordoi-Markt in der Nähe von Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Im Büro des stellvertretenden Polizeichefs von Osch läuft der Fernseher. Bugs Bunny auf Russisch. Eine Dartscheibe hängt an der Wand. Auf dem Schreibtisch steht ein Namensschild: Mamatali Turganbajew. Der Oberst hat es von einem Seminar der OSZE mitgebracht, es ging um Extremismus und Radikalisierung, die zu Terror führt. Das Seminar liegt zwei Jahre zurück, aber das Thema ist aktueller denn je. Turganbajew schaltet den Fernseher aus.
    "Die ganze Welt ist beunruhigt über die Ausweitung des Islamischen Staates. Auch von Kirgistan aus brechen Freiwillige auf, um an der Seite des IS zu kämpfen. Einige fahren aus Überzeugung, andere geraten eher zufällig hinein, wieder anderen geht es ums Geld. Im Schnitt sind es Männer zwischen 40 und 45 Jahren. Einige werden in Osch angeworben. Meist fahren sie aber zuerst als Gastarbeiter ins Ausland, nach Russland oder in die Türkei, und geraten dort in die Fänge von Radikalen."
    Osch ist die zweitgrößte Stadt Kirgistans. Sie liegt im Süden des Landes, nahe der Grenze zu Usbekistan. Und sie hat einen großen usbekischen Bevölkerungsanteil. Vor viereinhalb Jahren gab es dort ethnische Unruhen mit vielen Toten. Seitdem ist es ruhig. Die Zahl der Radikalen allerdings wächst. 30 IS-Kämpfer hat die Polizei in Osch ausgemacht. Die meisten davon Usbeken. Sie sind entweder in Syrien oder bereits zurückgekehrt und stehen in Kirgistan vor Gericht. Oberst Turganbajew:
    "Manchmal sind ganze Familien vom Radikalismus infiziert. Neulich hat sich eine Mutter an uns gewandt. Ihr Sohn ist in Syrien, ihre Schwiegertochter und die Enkel. Die Frau ist 90. Jetzt sitzt sie hier und weint und bittet uns, ihre Angehörigen zurückzuholen."
    Die Regierung Kirgistans hat das Thema IS zur Chefsache gemacht. Der stellvertretende Premierminister, Valerij Dill, sitzt eine Flugstunde von Osch entfernt im Regierungsgebäude in Bischkek. Er spricht von Versäumnissen.
    "Wir haben das Thema Religion in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt. Wir haben uns auf demokratische Prinzipien konzentriert und ein sehr tolerantes Religionsgesetz verabschiedet. Dadurch haben wir jetzt islamistische Strömungen, die eigentlich gar nicht nach Kirgistan gehören."
    Jetzt wir die nationale Kultur propagiert
    Kirgistan liegt in schwieriger Nachbarschaft: Tadschikistan, Usbekistan. Afghanistan ist nicht weit. Von dort sickert der Islamismus durch.
    Die Regierung setzt auf Aufklärung, vor allem in den Schulen. Sie will die nationale Identität festigen und so gerade junge Leute gegen radikale Propaganda wappnen. Ein richtiger Schritt, meint der Politologe Mars Sarijew. Er berichtet von einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates.
    "Der Präsident unseres Landes hat dort ganz deutlich gesagt, dass in Kirgistan der traditionelle Islam gilt. Dass aber viele junge Leute zu den Salafisten und den Wahhabiten gehen. Dass sie pakistanische Kleidung tragen. Das ist inakzeptabel. Es widerspricht den traditionellen Werten Kirgistans. Als Antwort darauf wird jetzt die nationale Kultur propagiert, es werden Fragen der Geschichte und des Ursprungs Kirgistans in den Mittelpunkt gestellt, die nationalen Besonderheiten Kirgistans."
    Schüler in ganz Kirgistan lesen nun zum Beispiel das Epos des Manas, eine Art kirgisisches Nationalheiligtum. In 500.000 Versen beschreibt es das Leben des kirgisischen Nationalhelden Manas im 9. Jahrhundert. Er galt als tolerant und weltoffen.
    Weil Manas allein aber nicht helfen wird, den Terror einzugrenzen, haben die Behörden in Osch ihre Kontrollen verschärft. Regelmäßig werden Häuser durchsucht, Verdächtige festgenommen. Zum Beispiel, weil sie angeblich verbotene extremistische Schriften besitzen. Die Ermittler schlagen dabei über die Stränge, sagt der Menschenrechtsanwalt Walerian Wachitow in Osch.
    "Oft wird den Verdächtigen verbotenes Material untergeschoben. Die Ermittler wollen Erfolge vorweisen. Sie melden jedes Jahr mehr Festnahmen. Aber das ist doch kein Erfolg. Man muss an die Ursachen heran und fragen, warum der Extremismus zugenommen hat."
    Oberst Turganbajew aber, der stellvertretende Polizeichef von Osch, würde gern noch härter gegen Terrorverdächtige vorgehen. Ihm sind die Gesetze in Kirgistan zu lasch.
    "Die Strafen für Söldner sind bei uns leider sehr gering. In Kasachstan bekommen sie lebenslänglich. Bei uns müssen sie höchstens 15 Jahre ins Gefängnis. Und leider haben wir auch keine Ausreiseverbote für Terrorverdächtige. In unserem Nachbarland, Usbekistan, gibt es das. Dort dürfen nicht mal die Verwandten dieser Leute das Land verlassen. Wir haben so etwas auch vorgeschlagen. Aber leider erlaubt unsere Verfassung das nicht."