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Ist der Ruf erst ruiniert

Lobbyisten sind so etwas wie wandelnde Kontaktdatenbanken mit immensem Fachwissen. EU-Abgeordnete können davon durchaus profitieren, setzen sich aber der Gefahr der Beeinflussung aus. Geschätzte 5000 Interessenvertreter gibt es in Brüssel - inklusive schwarzer Schafe.

Von Markus Dichmann | 15.11.2012
    Langsam wird das Buffet abgebaut. Es gab Schnittchen, Sandwiches, eine feine Suppe und Kaltgetränke. In Brüssel nichts Besonderes. Das Ende einer Diskussionsrunde zum Thema Lobbyismus – zwischen Politikern, Journalisten und eben Lobbyisten. Wo verläuft sie, die Grenze zwischen Austausch und Lobby?

    "Es gibt natürlich Einladungen zu 'Dinner-Debates', zu 'Lunch-Diskussionen', auch zu 'Arbeitsfrühstücken'. Das eigentliche Lobbying findet aber in Gesprächen statt, in Einzelgesprächen."

    Vor denen sich Renate Sommer, kaum noch retten kann. Seit 1999 ist die Christdemokratin Abgeordnete des Europäischen Parlaments,

    "Manchmal nervt es total, weil man kaum noch zu etwas anderem Zeit hat. Allerdings sind die auch wichtig. Und ich vergleiche es immer mit einem Mosaik, das man sich selber zusammenbaut und auf dessen Grundlage man letztendlich die eigene Entscheidung trifft."

    Denn Lobbyisten können wertvolle Informationen liefern, der Expertise eines Parlamentariers auf die Sprünge helfen. Sie kennen die Vorgänge in den jeweiligen Branchen, wie zum Beispiel Reinhold Buttgereit – Generalsekretär des europäischen Verbands der Photovoltaik-Industrie. Seine Arbeit ...

    "... fängt an wie ein normaler Schreibtisch-Job: Unterlagen lesen und verstehen, worum es geht. Und dann fängt die zweite Schicht an. Dann muss ich raus aus dem Büro - das ist der Job eines Lobbyisten – raus, mit Leuten reden, Kontakte herstellen und präsent sein. Das geht ja ganz schnell, das kennen Sie auch. Das ist wie auf einer Party. Klassischerweise in Brüssel Abends zum Glas Wein. Und dann kommt man ins Reden: 'Was machst denn du so?' Und nach drei, vier Wochen 'Tournee', in Anführungsstrichen, sieht man ein paar Gesichter zum zweiten, dritten Mal. Das ist keine Geheimwissenschaft."

    Wenn Buttgereit, wie er sagt, auf die Piste geht, dann hat er es mit Tausenden Meinungswettbewerbern zu tun. Im Transparenz-Register der EU sind über 5000 Interessenvertreter offiziell registriert – die Dunkelziffer liegt wohl eher beim Zwei- bis Dreifachen. Das übertrifft bei Weitem alle europäischen Hauptstädte – und ist ein Vorteil für die EU-Politik. Meint zumindest Rinus van Schendelen, Professor der Universität Rotterdam. Seit Jahrzehnten beobachtet er den Brüsseler Lobbyismus.

    "Je mehr Interessengruppen, je mehr Konkurrenz, desto besser für die Demokratie. Also der Wettbewerb macht, dass es hier sehr viel soziale Kontrolle gibt, über das, was man tut oder nicht tut."

    Aber gemäß dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert, bewegen sich auch schwarze Schafe unter den Lobbyisten. Das weiß auch einer, der in ihren Reihen arbeitet.

    "Lobbyisten, die schlecht sind, sind nicht nur handwerklich schlecht, sondern sie sind vielleicht auch noch dementsprechend, was man draußen so öfter hört: zwischen Rotlicht-Milieu und Mafia. Es gibt durchaus auch Lobbyisten, die der Grund dafür sind, dass der Ruf so ist, wie er ist."

    Welche Macht Lobbyisten ausüben, das lässt sich auch in der Causa John Dalli ablesen. Dem früheren EU-Kommissar wurde zum Verhängnis, dass er mit einem Anwalt befreundet war, der Kontakte zur Tabakindustrie hatte. Und auch die Europa-Abgeordnete Renate Sommer fühlte sich schon durch Rufmord-Kampagnen bedroht. Immer wieder im Zusammenhang mit einem ihrer Kernthemen: der Kennzeichnung von Lebensmitteln.

    "Es gibt viele, die aus meiner Sicht unlauter arbeiten und versuchen, die Kommission unter Druck zu setzen, übrigens auch Abgeordnete, mit der Drohung, die durchaus auch wahr gemacht wird hinterher: 'Wir machen euch fertig in den nationalen und europäischen Medien.' Und deswegen, und das ist meine Erfahrung, knicken manche Generaldirektionen in der Kommission sehr leicht um."

    Renate Sommer macht inzwischen jedes Treffen mit Lobbyisten auf ihrer privaten Website öffentlich.

    "Jeder darf wissen, mit wem ich gesprochen habe. Ich spreche mit niemandem hinter verschlossenen Türen, das habe ich nicht nötig. Da sind wir alle gefordert, einen freien Kopf zu behalten, und unsere eigene Meinung auch zu behalten."