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Jacques Offenbach: "Die schöne Helena"

Sie stehen insbesondere für frechen Witz, Schwung und Humor, die heiteren Bühnenwerke von Jacques Offenbach. Ob im ,Herzog Blaubart' oder im ,Orpheus in der Unterwelt': Offenbach und seine Librettisten verstanden es meisterhaft, die Sitten der Zeit in seinen Werken köstlich zu parodieren. Und das mit einer schwungvoll raffinierten Musik, die die Zuhörer bis heute in ihren Bann zieht. Vor kurzem ist beim Label Virgin Classics eine Neueinspielung von Offenbachs Opera bouffe ,La belle Helene' - ,Die schöne Helena' unter der Leitung des ,Alte Musik' -Spezialisten Marc Minkowski erschienen; diese Aufnahme möchte ich Ihnen nun vorstellen. * Musikbeispiel: Jacques Offenbach - Ouvertüre aus: "Die schöne Helena" Obwohl sie häufig so bezeichnet wird, ist die ,Schöne Helena' keine Operette, sondern, wie Offenbach selbst sie bezeichnet hat, eine Oper in drei Akten. Zusammen mit ,Hoffmanns Erzählungen' und ,Orpheus in der Unterwelt' gehört sie zu seinen beliebtesten Bühnenwerken. Die ,Schöne Helena' schrieb Offenbach in einer Zeit des beruflichen Misserfolges: Zu Beginn des Jahres 1864 waren seine jüngsten Werke, darunter die große romantische Oper ,Die Rheinnixen', vom Publikum nur lau aufgenommen worden; zudem hatte Offenbach sich mit dem Leiter seines bisherigen Theaters überworfen, dessen schwachen Inszenierungen er die Schuld an den Misserfolgen gab. Als Kaiser Napoleon III. Anfang 1864 neben mehreren alten Privilegien auch die Programmreglementierung für die französischen Opernhäuser abschaffte, sah Offenbach seine Chance für einen neuen Erfolg; doch um auf Nummer sicher zu gehen, griff er wieder auf eine Sittenparodie im antiken Gewand zurück. Zusammen mit Ludovic Halévy, der auch am ,Orpheus' mitgearbeitet hatte, und Henri Meilhac bearbeitete er die griechische Sage vom Raub der spartanischen Königin Helena durch den trojanischen Prinzen Paris und spickte sie mit zahlreichen bissigen Seitenhieben auf seine eigene Zeit. Die Handlung der Oper spielt am Hof von Sparta während des Adonisfestes. Die High Society amüsiert sich über die Brüskierung Jupiters durch die Wahl des Paris, Oberpriester Kalchas ärgert sich über langweilige Blumenopfer und trauert alten Zeiten nach und Königin Helena geht Venus' Weissagung nicht aus dem Kopf: Ist sie nicht die schönste Frau des Landes? Nur der junge Orestes, Agamemnons Sohn, köstlich dargestellt von der Altistin Marie-Ange Todorovitch, kann über einen Mangel an amourösen Abenteuern nicht klagen. * Musikbeispiel: Jacques Offenbach - aus: "Die schöne Helena" Doch da erscheint ein schöner junger Schäfer, und fast gleichzeitig erhält Kalchas per Taubenpost die Anweisung von Venus, diesem Helena zuzuführen; der Schäfer gibt sich als Prinz Paris zu erkennen; und da der Oberpriester sowieso nicht zum Opfern kommt, bittet er Paris, ihm von der Begegnung mit Venus zu erzählen; dieser lässt sich nicht lange bitten. * Musikbeispiel: Jacques Offenbach - aus: "Die schöne Helena" Es kommt, wie es kommen muss: Helena verliebt sich auf den ersten Blick in Paris. Jetzt muss nur noch eine Gelegenheit geschaffen werden, die Weisung der Venus zu erfüllen; und da König Menelaos dabei stört, wird er per Blitzbotschaft Jupiters, die Kalchas ganz plötzlich empfängt, auf eine Pilgerreise in die kretischen Berge geschickt - sehr zur Freude von Paris, Helena und der amüsierten Hofgesellschaft. * Musikbeispiel: Jacques Offenbach - aus: "Die schöne Helena" Das Vokalensemble, das in dieser Aufnahme zu hören ist, zeichnet sich durch hohe stimmliche und schauspielerische Brillanz aus, die nicht nur in den Musiknummern, sondern auch in den köstlich gestalteten Dialogen zum Ausdruck kommt. Viele von ihnen wie der junge Tenor Yann Beuron, der den Paris singt, stehen noch am Anfang ihrer Karriere, im Gegensatz zum 73jährigen Michel Sénéchal, der als einer der bedeutendsten französischen Konzertsänger des 20. Jahrhunderts gilt und hier einen herrlich dümmlichen Menelaos mimt. Felicity Lotts Helena ist zwar eine etwas reifere Königin, lässt stimmlich aber nichts an sinnlichem Ausdruck und erotischer Ausstrahlung vermissen, wie hier im Liebesduett mit Yann Beuron aus dem 2. Akt. * Musikbeispiel: Jacques Offenbach - aus: "Die schöne Helena" Die Uraufführung der ,Schönen Helena' am 17. Dezember 1864 am Pariser Theatre des Varietes war ein Skandal - zumindest für die anwesenden Kritiker; so schrieb einer von ihnen: "Ohne diesem Ulk mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen zu wollen als nötig, hat er mich doch wie ein Sakrileg schockiert; lassen wir das Groteske nicht in diese heiligen Gedichte, es setzt sie herab und entweiht sie". Auch der Minister der schönen Künste wetterte im Hinblick auf Offenbach und seine ,Schöne Helena': "Diesen exzentrischen Stil, diese Vulgarität in der Form, die ebenso in der musikalischen als auch in der gesprochenen Sprache um sich greifen, wird man nicht lange akzeptieren können." Das Publikum jedoch war begeistert von der skandalumwitterten Oper, die in gewissen Kreisen als Ausbund der Unzucht galt. Vielleicht fühlte man sich dort allzu sehr ertappt... Ertappt werden auch Helena und Paris, denn plötzlich steht König Menelaos im Gemach; doch die herbeigeeilte Gesellschaft hat nur Spott für ihn übrig und Helena erklärt ihm empört, dass ein guter Ehemann sich ankündigt anstatt unerwartet herein zu platzen... * Musikbeispiel: Jacques Offenbach - aus: "Die schöne Helena" Die hohe sängerische Qualität steht ganz im Einklang mit der musikalischen Leistung: Marc Minkowski, Spezialist für historische Aufführungspraxis, hat die Partitur der ,Schönen Helena' gründlich entschlackt, die Orchestrierung rekonstruiert, mehrere gestrichene Stücke wieder eingefügt und damit die ursprüngliche französische Originalfassung wieder hergestellt. Herausgekommen ist ein sehr schlanker transparenter Orchesterklang voll schillernder Farbigkeit und ungemeiner Leichtigkeit. Zusammen mit Solisten, Chor und den Musiciens du Louvre -Grenoble legt Minkowski hier eine fulminante von Witz und Geist sprühende Interpretation vor, die ihresgleichen sucht. Man kann nur hoffen, dass der Dirigent sich nach ,Orpheus' und der ,Schönen Helena' noch weiteren Werken von Jacques Offenbach widmet. * Musikbeispiel: Jacques Offenbach - aus: "Die schöne Helena" In unserer Sendung 'Die neue Platte' stellte ich Ihnen heute eine Neueinspielung von Jacques Offenbachs Oper ,Die schöne Helena' vor, aus der zuletzt das Finale des dritten Aktes erklang. Die bei Virgin Classics erschienene CD ist unter der Bestellnummer 5 45477 2 im Schallplattenhandel erhältlich. Am Mikrofon verabschiedet sich Klaus Gehrke.

Klaus Gehrke |