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Jagd auf Duisburgs Oberbürgermeister

Bis vor zwei Wochen kannte kaum einer Adolf Sauerland. Mit der Loveparade hat sich das geändert. Duisburgs Oberbürgermeister gilt als Sündenbock und Schuldiger der Katastrophe. Die Bürger fordern den Rücktritt, doch er hält an seinem Posten fest.

Von Reiner Burger |
    "Sauerland ist schuld", war nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg auf handgeschriebenen Zetteln zu lesen, ganz nah bei der Stelle, an der 21 junge Leute im Gedränge der Masse erstickten. Und auf einem Plakat stand: "Sauerland macht Duisburg zum Trauerland". Das Bedürfnis, dass doch wenigstens einer ganz unmittelbar Schuld zu haben hat, ist immer dann übermächtig, wenn alles ganz besonders kompliziert ist. Das Volk sehnt sich von alters her nach Überschaubarem. Dazu zählt die Obhut eines guten Hirten, ebenso wie das Bedürfnis nach dem Sündenbock. Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland ist vor nun bald zwei Wochen binnen weniger Stunden von einem ordentlichen, allseits geachteten Oberbürgermeister, zu einer Hassfigur geworden.

    "Ich finde, dass dieser OB zurücktreten muss – und zwar sofort. Und nicht erst im Oktober durch Abwahl. Weil er dadurch seine Pensionen schützen kann."

    "Der muss weg! Wobei, der kann's ja nicht ungeschehen machen. Also, was der gemacht hat, ist wirklich unverantwortlich. Er und der Veranstalter."

    "Ich gehe davon aus, es geht ihm nur um Geld."

    "Sich abwählen zu lassen, ist die einfachere Variante. Wenn er genug Arsch in der Hose hätte, würde er zumindest sagen: Hier ich nehm' zumindest die politische Verantwortung."

    Dass Sauerland nach dem Unglück höchst verunsichert und ungeschickt auftrat, vermag nicht allein zu erklären, warum ihm von manchen auf primitivste Weise die Schuld am Tod von 21 Menschen gegeben wird. Bei der Demonstration vorm Rathaus hielt eine Frau einen selbst gemachten Galgen hoch. Ein Mann warf einen dicken blauen Strick über einen Baum. Sauerland hat anonyme Todesdrohungen erhalten, wird bewacht. Noch nicht einmal zur Trauerfeier seiner eigenen Stadt am vergangenen Samstag traute er sich. Viele Medienkommentatoren sind sich einig, dass Sauerland schon deshalb seine Pflichten nicht mehr erfüllen kann. Lang ist auch die Liste der Politiker, die Sauerlands Rückzug fordern. Nicht alle argumentieren dabei so differenziert wie die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft:

    "Ich hatte den Eindruck, dass er ein bisschen den Druck verspürt, wenn ich jetzt zurücktrete, dann erkenne ich die Schuld an. Und deshalb ist mir wichtig, dass man zwischen Verantwortung und Schuld unterscheidet."

    Über viele Tage hinweg wurde Adolf Sauerland mit bedrückender Willkür ins Zentrum der öffentlichen Kritik gestellt. Dabei gibt es viele Fragen auch an die Polizei und noch drängendere an den Loveparade-Veranstalter Schaller. Die Intellektuellen unter den unbedingten Rücktrittsrufern sprachen davon, dass politische Verantwortung unteilbar sei. Tatsächlich besteht die Kernidee des öffentlichen Amts darin, dass es jemanden gibt, der Verantwortung übernimmt. Aber warum soll bei manchen Verantwortlichen erst auf Ermittlungsergebnisse gewartet werden, während von Sauerland verlangt wird, ein Pauschalopfer zu erbringen? Wer hat das Recht, sich hinter den breiten Schultern des einstmals so hemdsärmligen Oberbürgermeisters zu verstecken? Nikolaus Schneider, der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, hat nun Gerechtigkeit für Sauerland gefordert. Schneider spricht von einem "Verlangen nach Verantwortung, aber mit dem nötigen Maß an Distanz, die nicht einem Einzelnen alle Schuld aufbürdet und gleichsam ein Sühneopfer verlangt". Wenn Sauerland sage, er wolle helfen aufzuklären, dann heiße das doch auch, dass er sich der Verantwortung stelle.

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