Freitag, 19. April 2024

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Jamaika-Sondierungen
"Es ist jetzt Zeit, sich zu bewegen"

Die Verhandlungen zur Jamaika-Koalition seien zäh, aber es gebe Bewegung, sagt Jürgen Trittin von den Grünen im Dlf. Trotz des Aufschubs der Gespräche sei man sich in einigen Punkten nähergekommen. Die FDP habe etwa begonnen, die "Realität anzuerkennen", weshalb in dem Bereich der Finanzpolitik Lösungen möglich seien.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 17.11.2017
    Konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestags, Reichstagsgebäude am 24.10.2017.
    Jürgen Trittin "Wenn es Bewegung gibt, dann muss man auch versuchen, ob man die Bewegung zu einem Ergebnis bringen kann" (imago stock&people)
    Jörg Münchenberg: Bis tief in die Nacht haben sie gerungen, die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen. Aber am Ende hat es für einen Kompromiss nicht gereicht. Die Gespräche wurden erst einmal bis zum Mittag vertagt. Kurz nach der Vertagung der Sondierungsgespräche, also kurz nach fünf, habe ich mit Jürgen Trittin von den Grünen gesprochen und ihn nach seiner Gemütslage gefragt, nachdem er zuvor den Song von Jimmy Cliff gepostet hatte: "The harder they come, the harder they fall", je härter sie sind, desto härter werden sie fallen.
    Jürgen Trittin: Nein, wir hatten nur sehr viele Wartezeiten, und dann haben wir verschiedene Songs für Jamaika rausgesucht. Das war der Hinweis. Im Kern haben wir uns natürlich sehr ernsthaft beschäftigt. Wir haben gesagt zu der Frage Sondierungen, nehmen wir uns jetzt mal die vier wohl entscheidendsten Punkte für die einzelnen Partner vor. Das sind Klima aus Sicht der Grünen, das ist die Frage Flucht und Asyl aus Sicht der CSU, das ist die Frage des Solis aus Sicht der FDP und es ist die Außen- und Europapolitik aus Sicht der CDU.
    In diesen vier Feldern hat man heute versucht, näher aneinander heranzukommen. Man ist an manchen Punkten näher aneinander gekommen, aber man ist eben noch nicht am Abschluss. Und da wir zudem aus den Sondierungen der letzten drei Wochen ja ein umfangreiches Dokument mit 61 Seiten haben, in dem noch 134 Dissense geklammert sind, haben wir uns vorgenommen, wir vertagen uns, um diese Aufgabe auch ordentlich zu Ende zu bringen.
    Streitpunkt Migration
    Münchenberg: Lassen Sie uns mal ein paar Punkte davon aufgreifen, die Sie eben selbst genannt haben. Stichwort Migration. Jetzt heißt es ja, die Grünen seien beim Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz zu Kompromissen bereit. Stimmt das und was heißt das konkret?
    Trittin: Wissen Sie, es gibt einen einfachen Tatbestand. Es ist so, dass die Aussetzung des subsidiären Schutzes - der ist ja gesetzlich geregelt in Deutschland – im März ausläuft, und wir sind der festen Überzeugung, dass Menschen, die hier sind, sich ganz schlecht integrieren, wenn sie weiter Angst um ihre Angehörigen haben müssen. Deswegen wollen wir dieser Verlängerung der Aussetzung nicht zustimmen. Das würde aktives Handeln voraussetzen. Dazu sind wir nicht bereit. Wir verweisen aber gerne darauf, dass die Frage des Nachzuges von Familienangehörigen ja keine ist, die von heute auf morgen geschieht, sondern die abhängig ist von Visa, von Transportmöglichkeiten, also die sehr gut organisiert werden kann.
    Münchenberg: Das heißt aber jetzt noch mal, das wäre ein kleines Zugeständnis der Grünen jetzt nur in Richtung Union?
    Trittin: Nein, das ist gar kein kleines Zugeständnis, sondern das ist der Hinweis auf die Realität. Wir haben in dem Fluchtteil noch eine ganze Reihe von weiteren Punkten, wo wir miteinander am Sprechen sind. Das geht um die Frage zum Beispiel, soll es obligatorisch sein, dass Leute in Rückführungszentren so lange gehalten werden, bis ihr möglicherweise unberechtigter Antrag genehmigt beziehungsweise abgelehnt worden ist.
    Da gibt es noch ein ganzes Paket. Und weil das ein so großes Paket ist, haben wir gesagt, wir sind damit noch nicht durch. Die CSU hat sich in der Frage des Familiennachzuges komplett anders aufgestellt. Während wir an vielen Punkten hier Entgegenkommen signalisiert haben, haben die einfach gesagt, wir spielen alles oder nichts, und das hat uns heute Nacht doch eine ganze Reihe von Wartestunden eingebracht.
    Leichte Annäherung bei Kohleausstieg
    Münchenberg: Ein weiterer Brocken, Herr Trittin, ist der Klimaschutz, Abschaltung von Braunkohlekraftwerken. Hier soll es wiederum einen Kompromiss der Union geben. Können Sie uns da auf den neuesten Stand bringen?
    Trittin: Wir nähern uns dort langsam an. Unser Ziel ist es, dass Deutschland die von CDU, CSU, FDP und SPD in den letzten Jahren an der Regierung versprochenen Klimaschutzziele, die man auch im Rahmen des Pariser Abkommens gemeldet hat, tatsächlich einhält. Das geht nur, wenn man einen relevanten Anteil der Braunkohle- oder der Kohle-Emissionen in Deutschland aus der Produktion nimmt. Anders kann man dieses Ziel nicht erreichen. Hier sind wir mittlerweile auf einem Pfad, wo man zumindest in eine greifbarere Nähe dafür kommt. Aber auch der Punkt ist noch nicht abgeschlossen.
    Münchenberg: Herr Trittin, Sie sagten, die Grünen seien kompromissbereit, man habe diverse Zugeständnisse gemacht. Das gibt es ja auch auf anderen Feldern. Zum Beispiel soll es jetzt keine Erhöhung der Steuern für Dieselfahrzeuge geben. Wenn Sie sagen, die Grünen seien kompromissbereit, heißt das im Umkehrschluss, die anderen bewegen sich zu wenig?
    Trittin: Es gibt sehr unterschiedliche Positionierungen. Wir haben heute auch noch gesprochen über die Frage, wie gehen wir mit der Abschaffung des Soli um. Das ist etwas, was, würde man es im Ganzen tun, jegliche Vorstellung eines soliden Haushaltens sprengen würde. Hier ist aber, wenn ich das richtig sehe, von Seiten der FDP nun auch sozusagen begonnen worden, die Realität ein Stück weit anzuerkennen, und es sind deshalb vielleicht auch in dem Bereich der Finanzpolitik Lösungen möglich. Aber die anderen finanziellen Prioritäten, zum Beispiel die bessere Ausstattung von Familien, die Bekämpfung der Kinderarmut, all dieses muss ja auch finanziert werden, und in dieses Finanztableau muss man noch ziemlich viel Arbeit stecken.
    "Alle müssen sich bewegen"
    Münchenberg: Würden Sie aus grüner Sicht sagen, man hat jetzt rote Linien erreicht, jetzt müssen die anderen liefern?
    Trittin: Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn man zu einem Ergebnis kommen muss, alle sich bewegen müssen. Die Idee, dass man einfach sein eigenes Parteiprogramm hochhält, wie das zeitweilig einzelne Vertreter der CSU getan haben, und sagt, das ist jetzt auch das Angebot und das ist das letzte Angebot, so wird man keine Koalition bekommen. Aber wenn man diese Haltung überwindet, dann kann man auch zu Ergebnissen kommen.
    Münchenberg: Nun hat man ja trotzdem 15 Stunden Dauer-Marathon schon hinter sich. Die Vertagung jetzt bis heute Mittag. Was soll da besser gelingen, was bisher auch nach vier Wochen nicht gelungen ist?
    Trittin: Ach wissen Sie, heute geht in Bonn die große Klimakonferenz zu Ende. Ich habe sehr viele solcher Klimakonferenzen als Minister erlebt und auch da weiß ich, dass wirkliche Bewegung immer erst in der letzten Nacht anfängt.
    "Weiter probieren"
    Münchenberg: Die ist ja zu Ende jetzt, die Nacht.
    Trittin: … dass man dann in dieser letzten Nacht gelegentlich auch Verlängerungen braucht, um zum Ergebnis zu kommen. Erst müssen alle Beteiligten sehen, dass es tatsächlich jetzt Zeit ist, hier sich zu bewegen, und davon habe ich die Erfahrung mitgenommen, es ist halt erst vorbei, wenn es wirklich vorbei ist, und das wollen wir ab Mittag um zwölf, "High Noon", dann weiter probieren.
    Münchenberg: Aber trotzdem Abbruch der Sondierungsgespräche bislang weiterhin kein Thema?
    Trittin: Wir haben entschieden, miteinander, dass wir den Versuch fortsetzen, weil es nicht hinreichend und auch erst zäh, aber am Ende bestimmte Bewegungen gegeben hat. Und wenn es Bewegung gibt, dann muss man auch versuchen, ob man die Bewegung zu einem Ergebnis bringen kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.