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Japan, China und der Westen

Die verzweigten Reisen der Minnelyrik vom Orient in den Norden oder der Klezmermusik durch die jüdische Diaspora zeigen: Musik ist Interkulturalität. Das MaerzMusik-Festival für aktuelle Musik in Berlin, gerade angelaufen, findet nun schon zum 5. Mal unter dem Dach der Berliner Festwochen statt; ein Schwerpunkt des Programms dieses Jahr: Interkulturalität.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Am stärksten sind die Reminiszenzen an die letzten Tage der Kultur-Revolution. Die Massen-Aufmärsche, die Siegesparaden und die erbärmlichen Erniedrigungen gedemütigter Intellektueller mit Schauprozessen und Schmähungen.

    Mao leuchtet da von einer rot gefärbten Breitwand, angehimmelt vom später als Verräter abgestempelten Lin Biao. Und der Mao-Gattin Jiang Qing Ballett vom "Roten Frauen-Bataillon" schwebt Gewehr bei Fuß über den Bildschirm. Später tanzt es dann grau verblasst auch kopf.

    Dagegen setzen Komponist Cong Su und Regisseur Chen Shi-Zheng die lyrischen Reflexionen des in einem chinesischen Dorf sozialisierten, in der Kulturrevolution angefeindeten und dann nach Neuseeland ausgewanderten Dichters Gu Cheng. Von dem tragisch Geendeten stammen die dem Libretto zugrunde liegenden Gedichte. 1994 im Exil brachte er erst seine Frau, dann sich um.

    Die neue Welt Maos zeigt der durch seine Päonien-Pavillon-Inszenierung bekannte Regisseur mit einer aus dem Ei schlüpfenden Rotgardistin, Dengs Nach-Mao-"bereichert-Euch"-Periode kündet er an mit einer umgestürzten Büste, aus deren Kopf die bunten Wunderdinge des Kapitalismus purzeln. Den Selbstmord des Dichters symbolisiert er mit einem riesigen Beil.

    Ganz überzeugen kann das Multi-Media-Spektakel "Welt im Quecksilberlicht" nicht, mit dem die fünfte Ausgabe der MaerzMusik, des "Festivals für aktuelle Musik" der Berliner Festspiele, eröffnete. Zu flüchtig bleibt vieles, zu sehr mit Oberflächenreizen spielend.

    Enttäuschend auch eine szenische Aufbereitung von Fragmenten aus dem Tagebuch einer Japanischen Hofdame vor tausend Jahren, Lady Sarachina.

    "As I crossed the bridge of dreams" heißt das Stück von Peter Eötvös für Rezitator, Blechbläser und Stimmen. Aufzeichnungen sind das zwischen Tag und Traum, eingetaucht in eine Musik, die wie ein innerer Hallraum ist.

    Die szenische Einrichtung von Cornelia Heger mit drei beweglichen Bilderrahmen als Bühnenelementen, japanisierenden Kostümen und einer standardisierten Gestensprache wirkt künstlich und kraftlos.

    Noch immer nicht hat man in der Leitung der Berliner Festspiele ein gutes Händchen fürs Musiktheater. Dabei wird es immer mehr zum zentralen Punkt der Anstrengungen um die neue Musik.


    Anschieben will man mit diesem Festival auch weiter den interkulturellen Dialog. Junge Komponisten aus Bejing, Shanghai, Accra, Kairo, New York und Berlin waren eingeladen, sich zunächst über Internet und dann auch vor Ort leibhaftig auszutauschen.

    Die ägyptischen Komponisten etwa staunten, dass neue Musik nicht bei Strawinsky oder Bartok endet. Die Ghanaischen bedauerten, dass mit ihren Instrumenten mikrotonale Stimmungen nicht möglich seien, ernteten zugleich Bewunderung für die phänomenale Gestaltung rhythmischer Muster.

    Der aus Anatolien stammende Taner Akyol, der vor zehn Jahren nach Berlin kam um zu lernen, für sein Baglama-Instrument zu komponieren, sprach von den Minderwertigkeitskomplexen, mit denen er der westlichen Musik begegnete – und wie er umlernte.

    " Eigentlich – man soll erst mal seine eigene Kultur sehr gut lernen. Dann kann man rausgehen und sein Feld verbreiten, seine musikalische Welt größer machen. Aber man muss erstmal die Füße auf der Erde haben."

    Wie überhaupt sich finden als Komponist in der globalisierten Welt? Die Bilanz von Workshop-Leiter Oliver Schneller:

    " Es gibt kein "neu", das absolut ist. Und das zu respektieren als Europäer, als Deutscher, das ist sehr wichtig: Eine Frage mit der Identität: wenn man in der Fremde ist, findet man am ehesten zu sich selbst. Dort wird man ständig gezwungen, seine Positionen zu definieren, herauszufinden, stimme ich überein mit dem, was ich da sehe, oder wo situiere ich mich selbst in diesem ästhetischen Kontext oder diesem Kunst-Diskurs."