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Jazzmusik
"Diese Musik ist ein Teil von mir geworden"

Mit ihrer ersten Solo-Single Buffalo Stance katapultierte sich die Schwedin Neneh Cherry bereits 1989 in sämtliche Charts. Hits wie Manchild oder 7 Seconds folgten, allesamt Radio-Evergreens. Jetzt erscheint Blank Project, eine Kollaboration mit dem britischen Elektronik-Duo RocketNumberNine.

Von Florian Fricke | 01.03.2014
    Neneh Cherry beim Jazz-Festival in San Sebastian 2012 auf der Bühne.
    Jazzmusik war für Neneh Cherry in der Kindheit "wie die Luft zum Atmen". (dpa/picture alliance/Javier Etxezarreta)
    Florian Fricke: Für einen Außenstehenden klingen die Tage Ihrer Kindheit paradiesisch. Sie waren mit ihren Eltern ständig auf Tour, haben all diese Jazzhelden kennengelernt. Haben Sie Ihre Kindheit auch so wahrgenommen - als Paradies?
    Neneh Cherry: Diese Frage wird mich wahrscheinlich nie loslassen - wie war es wirklich damals? Meine Eltern waren extrem kreativ veranlagt, und ihnen ging es nicht nur um die Kunst, sondern auch um die Lebensform, um die Familie. Sie wollten wirklich alternativ und unabhängig leben, sich autark ernähren. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich einen interessanten Satz in einem Nachlass gefunden: Wir machen die Bühne zu unserem Heim, und unser Heim wird zu unserer Bühne.
    Aber unser Leben war nicht nur ein Bett aus Rosen, es konnte auch sehr hart sein. Oft war kein Geld da, und dann sind wir vom Land in der schwedischen Provinz nach New York gegangen. New York war ein hartes Pflaster damals, was auch mit den Drogenproblemen meines Vaters einherging. Und plötzlich waren wir nicht mehr die zusammenhaltende kleine Familie.
    Aber wir waren immer von vielen echten Künstlern umgeben, die sich ganz ihrer Leidenschaft hingaben. Und das hatte definitiv auch auf mich Einfluss.
    Fricke: Konnten sie denn damals die Jazzmusik wertschätzen, von der sie die ganze Zeit umgeben waren?
    Cherry: Sie war da wie die Luft zum Atmen. Wenn ich dran zurückdenke, wie die Menschen um mich herum Musik machten: Sie musizierten, weil sie sich gut fühlten. Ich höre heute Alben von Ornette Coleman oder John Coltrane und kann spüren, wie diese Musik dem Gefühl dieser Zeit entspricht, dem Zeitgeist. Diese Musik ist ein Teil von mir geworden. Wenn ich Thelonious Monk höre, dann kriecht er förmlich unter meine Haut. Aber ich musste erst älter werden, um das alles zu erkennen.
    Fricke: Wir springen in das Jahr 1989, als ihr Debütalbum und Megaseller „Raw Like Sushi“ erschien. Hatten Sie einen Masterplan für dieses Album? Waren Sie von der amerikanischen Urban Culture der 80er Jahre, speziell dem Hip-Hop beeinflusst und wollten diesen nach Großbritannien importieren?
    Cherry: Ich traf Cameron McVey, mit dem ich immer noch zusammenlebe. Er fragte mich, warum ich keine eigenen Songs schreibe. Also habe ich angefangen. Damals war ich stark von New York beeinflusst, wo ich auch zeitweise aufwuchs. Ich hörte Mix Tapes, war Teil der Punkkultur der 80er Jahre, und Hip-Hop kam langsam dazu. Schon 1978, 79 hing ich in der Queensbridge Siedlung ab, wo auch solche Leute wie Nas und Biz Marquee groß wurden. Es lag etwas Neues in der Luft, ein neuer Sound. Ich mochte an Hip-Hop, dass er ähnlich funktioniert wie Punk. Jeder kann ein paar Beats basteln und darüber ein paar Reime rappen. In London habe ich mich auf Warehouse Parties rumgetrieben. Und als ich selber anfing Musik zu schreiben, fühlte es sich ganz selbstverständlich an, auch selbst zu rappen. Also haben wir alles miteinander kombiniert.
    Aber dann entwickelte sich "Buffalo Stance" völlig unerwartet zu diesem Wahnsinnshit. Cameron begann mich zu managen, wir nahmen das Album auf, ich wurde schwanger. Massive Attack wurde Teil unserer künstlerischen Familie ... Wir waren schon ein verrückter bunter Haufen, der da durch die Lande zog.
    Fricke: Was war dann die Motivation, nach drei Alben und 16 Jahren Pause wieder Musik zu machen? War Musik in dieser Zeit immer Teil ihres Lebens?
    Cherry: Am liebsten würde ich sagen, ich hätte in der Zeit irgendeinen tollen Abschluss gemacht. Pustekuchen. Aber die Musik war immer da. Im Alter von 14 Jahren hatte ich die Schule verlassen. Ich dachte immer, ich würde eines Tages wieder die Schulbank drücken. Nach dem dritten Album habe ich gesagt, nächstes Jahr mache ich ein neues. Und nächstes Jahr wieder und so weiter. Und plötzlich waren es siebzehn Jahre. Irgendwann konnte ich die Musik förmlich unter meiner Haut spüren, sie schwirrte schon in meinem Kopf herum.
    2009 ist dann unerwartet meine Mutter gestorben, was mich total umgehauen hat. Aus dieser Verzweiflung heraus erwuchs dann das dringende Bedürfnis, mich wieder auszudrücken - einfach, um wieder auf die Beine zu kommen. So entstand Cherry Thing, das Jazzalbum mit The Thing. Das Konzept war goldrichtig. Wir spielten fast nur Coverversionen, ohne groß darüber zu reden. Wir haben es einfach gemacht.
    Danach habe ich immer weitergeschrieben, und irgendwann hatte ich ein Album zusammen. Uns war klar, dass wir kein überproduziertes Studioalbum machen wollten. Dann kamen RocketNumberNine ins Spiel, sie sind genau zum richtigen Zeitpunkt gelandet und brachten den richtigen Sound mit: elektronisch, in der Clubmusik verankert, aber auch forschend und experimentierend. Und es war so unkompliziert. Sie sind zu zweit, aber können klingen, als wären sie zu viert, es sind Brüder. Also gaben wir ihnen das Material.
    Fricke: Und für die Aufnahmen sind sie nach Woodstock gegangen?
    Cherry: Aber nicht, um dort den Heiligen Gral zu suchen. Unser Produzent Kieran Hebdan lebt dort zum Teil. Doch er hatte nicht viel Zeit wegen seiner Familie, ich genauso wenig. Wir sind also hingefahren und haben es in nur fünf Tagen aufgenommen. Und ich bin sehr froh, dass es genauso gelaufen ist. Dadurch hat das Album eine gewisse Unschuld behalten, weil wir nicht so viel manipulieren konnten. Wir haben einfach losgelegt, zwei, drei Takes von jedem Song eingespielt – das war's.
    Fricke: Wie würden sie denn ihren momentanen Gesangsstil beschreiben? Auf diesen letzten beiden Alben klingt er ja eher wie Freestyle Poetry.
    Cherry: Meine Stimme braucht Emotionen. Sie klingt einfach besser, wenn ich fühlen kann, was ich singe. Natürlich beruht mein Gesang auch auf einer bestimmten Technik, aber ich muss trotzdem viel mehr üben als andere Sänger. Ich lasse mich gerne von der Musik treiben und kann heute viel besser loslassen. Dazu muss man auch einiges im Leben mitgemacht haben. Es gibt Schwellen im Leben, die man überschreiten muss, um die nächsten Stadien zu erreichen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.