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Je kälter, desto interessanter

Physik. - So genannte "suprafluide" Substanzen sind die Stars eines Treffens von rund 250 Physikern aus aller Welt, das noch bis Freitag in Konstanz stattfindet. Bei sommerlichen Temperaturen am Bodensee widmen sich die Wissenschaftler quasi den Werten am entgegengesetzten Ende der Temperaturskala und vor allem dem eigenartigen Verhalten, das verschiedene Materialien dabei an den Tag legen. In diesem Jahr stehen Verbindungen im Fokus der Tagung, die selbst bei dieser Kälte noch nicht erstarren, sondern statt dessen völlig reibungsfrei beweglich sind.

    Auf den ersten Blick erscheint die etwa zwei Meter hohe, wassergefüllte Säule wie eine Wohnzimmerdekoration, die der Konstanzer Physiker Professor Paul Leiderer vor sein Büro platzierte. Allerdings ein Schmuckstück mit Lehrauftrag, denn die Wassersäule ist ein makroskopisches Modell eines "quantisierten Wirbels", erläutert der Physiker und schaltet dabei eine quirlige Pumpe an: "Die rotierende Wassersäule zieht kleine Partikel in ihr Zentrum und bildet daraus quasi einen langen Schlauch in ihrer Achse aus", erläutert Leiderer. Um genau denselben Effekt handele es sich auch beim Phänomen der "quantisierten Wirbel" in suprafluiden Flüssigkeiten.

    Die außergewöhnlichen Substanzen, wie etwa Helium-3, die selbst bei minus 273 Grad Celsius ihren flüssigen Aggregatzustand nicht ändern, entwickeln bei der Extremtemperatur allerdings völlig neue physikalische Eigenschaften, unter denen die mikroskopischen Wirbel mit völlig gleichartiger Rotationsstruktur nur ein Phänomen sind. "In dem Augenblick, in dem die Suprafluidität einsetzt, verschwindet in der Flüssigkeit die Viskosität - Die Substanz kann dann ohne jeden Widerstand durch feinste Ritzen und Kapillaren treten", so Leiderer. Die Begründung für reibungsfreien Fluss und die Erzeugung symmetrischer Wirbel durch Suprafluide, als handele es sich um ein einziges Atom, sei Ausdruck der eigenartigen Welt der Quantenphysik.

    Allerdings stehen im Mittelpunkt der Tagung am Bodensee weniger neue Grundlagenergebnisse, sondern vielmehr ihre Umsetzung in praktische Anwendungen. So ersannen Forscher mit Hilfe der "über-flüssigen" Flüssigkeit ein Messgerät, das selbst winzigste Abweichungen in der Erdrotation feststellt: "In diesem Gyroskop strömt ein Suprafluidum durch eine kleine Öffnung und entwickelt dabei quantisierte Wirbel. Wird die Anordnung nicht völlig senkrecht aufgestellt, sondern leicht gekippt, liefern das Instrument höchst genaue Messwerte der Erddrehung", konstatiert der Physiker. Andere Ideen sind die Speicherung von Wasserstoff in suprafluider Form, der in Nanoröhrchen platz- und gewichtsparend abgelegt werden könnte, sowie neue Impulse zum Bau eines Quantencomputers, der sich die temperaturabhängige Änderung der Eigenschaften von Suprafluiden zu nutze machen könnte.

    [Quelle: Thomas Wagner]