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Jenseits des Eurovision Songcontest

Der Norweger Alexander Rybak gewann im vergangenen Jahr den Eurovision Songcontest und holte den Wettbewerb damit nach Oslo. Doch die norwegische Hauptstadt ist auch jenseits der musikalischen Mega-Events für ihre Musik bekannt: für hochklassige Jazzklänge und nordische Volksweisen.

Von Agnes Bührig |
    Straßenmusiker, wie diesen Akkordeonspieler, gibt es in vielen Hauptstädten der Welt. Und seinen Kollegen aus Südeuropa haben wir auch schon auf den Flaniermeilen Europas gehört. Doch wer Musik hören will, die richtig norwegisch klingt, muss sich vom Zentrum Oslos und seinem breiten, auf das Schloss hinführenden Prachtboulevard Karl-Johans-Gate wegbewegen.

    In Grünerløkka, dem Multikultistadtviertel der norwegischen Hauptstadt, 20 Gehminuten entfernt, gibt es seit Neustem ein nationales Haus der Volksmusik. Daniel Sandén-Warg und Sigurd Brokke haben auf einer schlichten Bühne in einem überschaubaren Raum im Keller Platz genommen. Brokke spielt die Maultrommel, sein Musikerkollege hält eine kunstvoll verzierte Geige, die Hardangerfiedel, vor der Brust. Der Geiger erinnert ein wenig an die Bauerburschen vom Land, die die Volksmusik einst spielten: kariertes Hemd, festes Schuhwerk, rote Wangen. Geboren wurde er 1977 in Nordschweden, in Norwegen macht er Karriere mit den alten Weisen aus dem Setestal im Süden des Landes.

    "Das sind alte Melodien, die zum Teil zum Tanz gespielt aber auch gesungen wurden, in Versform. Sie sind uralt, keiner kann genau sagen, wann sie entstanden sind. Es gab sie schon immer. Sie handeln vom Bauernleben, von der Liebe und Totschlag."

    Beim Publikum kommt die Musik an. Knapp 50 vornehmlich jüngere Zuhörer drängen sich in dem kleinen Raum und zeigen, dass Volksmusik ganz aktuell sein kann. Das beweist nicht zuletzt der Erfolg von Alexander Rybak mit seinem Schlager "Fairytale" beim Eurovision Songcontest in Moskau 2009. Auch, wenn die Anklänge an norwegische Volksmusik sehr schwach sind, meint Jan Lothe Eriksen, der das staatliche Haus der Volksmusik leitet.

    "In Norwegen hält man Alexander Rybacks Violinspiel zwar nicht für norwegische Volksmusik, das ist ganz klar ein Popsong mit Fiedel. Er ist aber von volkstümlicher Musik beeinflusst. Interessant ist aber, dass sein Erfolg auch die Tanzgruppe Frikar bekannt gemacht hat, die ihn auf der Bühne beim Eurovision Songcontest in Moskau umgeben hat. Das hat dem Volkstanz Halling, wo einer allein tanzt, großen Zulauf beschert - und das im ganzen Land."

    Und so setzen sich nach dem Konzert fünf Amateurgeiger zusammen und spielen auf zum Tanz. In T-Shirt und Jeans oder traditioneller gekleidet in Rock und Bluse bewegen sie sich paarweise im Kreis und stampfen im Rhythmus der Volksweisen. In Oslo spielt die Volksmusik heute eine eher untergeordnete Rolle, mein Jan Lothe Eriksen. Dabei war sie einst sehr wichtig:

    "In der Zeit der der Nationalromantik, im 19. Jahrhundert, strebte Norwegen nach mehr Selbstständigkeit und wollte unabhängig von Schweden werden, mit dem man in einer Union vereint war. Da war die Volksmusik wichtig. Unser Meistergeiger Ole Bull ließ sich vom Volksmusiker Myllarguten inspirieren, später nutzte Edvard Grieg Melodien der Volksmusik für seine Kompositionen."

    Schon die Wikinger vertrieben sich die langen Winterabende mit gemeinschaftlichem Singen und Tanzen. Doch die harten Lebensbedingungen in dem unwirtlichen Land am Nordrand Europas erschwerten die Entstehung einer eigenen Instrumentalmusik. Zudem war Norwegen ab 1380 mehr als 400 Jahr Teil des dänischen Reiches, die Staatsgeschäfte wurden von Kopenhagen aus geführt, auch die Kunstmusik von dort beeinflusst.

    Hauptstadt war damals die mächtige Hansestadt Bergen an der Westküste des Landes, Oslo spielte nur eine untergeordnete Rolle, sagt Per Boye Hansen, der Programmdirektor des Kulturfestivals Bergener Festspiele.

    "Bergen war das kulturelle Zentrum Norwegens, eine alte Tradition durch die Hanseverbindungen natürlich. Ich glaube, es ist auch die Stadt in Norwegen, wo das Bürgertum eine große Rolle für die Entwicklung der Stadt gespielt hat, im Unterschied zum Beispiel zu Oslo, wo die Menschen alle irgendwo anders herkommen."

    Und so ist Oslo wie viele andere europäische Städte auch, ein musikalischer Melting Pot, in dem der Jojk, der Gesang der samischen Ureinwohner, genauso zu hören ist wie die melancholischen Töne von Kari Bremnes. Die norwegische Singer-Songwriterin arbeitet in Oslo, aufgewachsen ist sie auf einer Inselkette hoch oben im Norden des Landes.

    "Die Lofoten und ihre Landschaft sind sehr lebendig in mir. Das Wechseln von Licht und Dunkelheit oder, dass plötzlich ein Sturm kommen kann - alle diese Kontraste formen auch meine musikalische Dynamik."

    Die Kraft der Ruhe ist ihren Liedern anzuhören. Die Dunkelheit im Norden empfindet die 53-Jährige eher als Bereicherung, denn als Belastung. In der Schule bekamen sie frei, wenn die Sonne im Januar das erste Mal wieder über die Berge blinzelte. Aber auch das quirlige Oslo ist für Kari Bremnes eine wichtige Inspirationsquelle.

    "Ich mag den Kontrast. Oslo ist ganz anders, als die Stadt, in der ich geboren bin, wo es weit zwischen den Häusern ist, wo die Berge direkt aus der See wachsen und dann der weite Himmel darüber. Ich bin sowohl von den Lofoten, wie vom Urbanen geprägt."

    Das Urbane bedeutet für Kari Bremnes auch, in Oslo eine Reihe von Klubs und Konzertbühnen um die Ecke zu haben und sich im 2008 eröffneten Opernhaus der Stadt inspirieren zu lassen. Der spektakuläre Bau des norwegischen Architektenbüros Snøhetta erinnert entfernt an eine Eisscholle. Am Ufer des Oslofjords gelegen, wird das Opernhaus von einer riesigen schiefen Ebene dominiert, aus der eine Art Glaskäfig rausragt. Im oberen Bereich wird sie zur Dachterrasse und riesigen Flanierfläche fürs Volk entstanden. Das war dringend notwendig, sagt Bjørn Simensen, der den Neubau als Operndirektor begleitete:

    "Wir haben nie eine Oper in Oslo gehabt. Die norwegische Oper als Institution gibt es seit gut 50 Jahren. Wir haben aber bis zur Eröffnung des neuen Hauses in einem umgebauten Theater gespielt, das früher ein Kino war. Wir hatten also gar kein Opernhaus."

    Norwegen ist nicht gerade für große Opernkomponisten bekannt, dafür aber umso mehr für seine lebendige Jazzszene. Vor zwei Jahren machte Mitten im Zentrum der Stadt ein Musikklub auf, der von der angesehenen Tageszeitung "Aftenposten" jüngst zur besten mittelgroßen Konzertbühne der Stadt gekürt wurde: das Victoria.

    Ein intimer Raum, Bistrotischchen vor der Bühne und an der Seite eine Bar, die während des Konzerts schließt, um die Aufmerksamkeit nicht von der Musik abzulenken. Nur ein paar verschnörkelte Holzornamente an der Decke und Sitzreihen auf einer Galerie erinnern daran, dass das Victoria einst ein Kino und dann ein Revuetheater war. Als nationale Bühne, die staatlich finanziert ist, kommen hier alle Stilrichtungen des Jazz zu Gehör, erzählt Veranstalter Jon Olav Kringeland.

    "Das Spezielle an Oslo ist, dass hier eine große Zahl professioneller Musiker zu Hause ist. Norwegen ist ein lang gestrecktes Land, auch in Trondheim, Bergen oder Stavanger gibt es gute Ausbildungs- und Auftrittsmöglichkeiten. Als Zentrum des Landes zieht aber Oslo die Kreativen besonders an. Das hat auch mit der langen Tradition etwa durch das Rainbowstudio zu tun, wo viele legendäre Jazzplatten eingespielt wurden."

    Heute ist die Offenheit für Einflüsse aus anderen Musikrichtungen das besondere Zeichen des norwegischen Jazz, der einst durch Jan Gabarek seinen lyrischen nordischen Ton erhielt. Doch anders als in den 60er- und 70er-Jahren spielt er als Inspiration für den Schlager heute keine große Rolle mehr. Dann schon eher die Volksmusik, zumindest wenn es um den europäischen Schlagerwettbewerb Eurovision Songcontest geht, meint Jon Olav Kringeland.

    "Der Einfluss der Volksmusik ist in fast allen Beiträgen zu hören, das macht die Identität eines Landes aus und ist vor allem in den Ländern aus Osteuropa zu hören. Für mich ist der Eurovision Songcontest mehr Unterhaltung als Musik. Oslo als Musikstadt wird dadurch nicht verändert werden, eher wird es dazu führen, dass viele die norwegische Musik entdecken werden."