Wasserstoff ist ein verheißungsvoller Anfang für die Zukunft der Menschheit auf Erden. (...) Das weltweite Kommunikations- und bald auch das weltweite Wasserstoff- Energienetz werden jeden Menschen im Prinzip mit jedem anderen Menschen verbinden.
Zweifel sind allerdings angebracht: Bisher ist es so, dass über 80 Prozent der Weltbevölkerung keinen Internet-Zugang haben. Mit der auf absehbare Zeit für Schwellenländer unerschwinglich bleibenden Wasserstofftechnologie wird es nicht anders werden. Kein Zweifel jedoch kann daran bestehen, dass wir uns vom Kohlenstoffzeitalter verabschieden müssen. Rifkin begründet dies einerseits mit den Naturkatastrophen der durch den Menschen verursachten globalen Erwärmung. Zum anderen führt Rifkin aus, dass die Rohöl-Fördermenge bereits in den nächsten zwei Jahrzehnten ihren Zenit überschritten haben dürfte. Bei gleichzeitig ansteigender Nachfrage nach Energie in den Schwellenländern sind enorme Preissteigerungen für fossile Energieträger zu erwarten. Eine globale Rezession hält Rifkin daher für unvermeidlich. Ganz abgesehen von den ökologischen und ökonomischen Auswirkungen drastisch zunehmender Kohlendioxid-Emissionen wie Flugkatastrophen, Ernteausfällen und Bodenerosionen. Sie verursachen enorme volkswirtschaftliche Kosten, die bisher in keiner Unternehmensbilanz auftauchen. Dies könnte sich ändern, wenn nationale Regierungen nicht mehr bereit und in der Lage sind, die Folgekosten des ungehemmten fossilen Energieverbrauchs aufzufangen:
Wir stehen am Scheideweg, stellt Rifkin fest, und spitzt seine These noch zu: Wenn es kein Öl mehr gäbe, wäre diese Welt sicherer, sauberer und gerechter.
Der Anschlag vom 11. September habe die Verwundbarkeit des Westens an seiner Achillesferse - dem Erdöl - gezeigt. Rifkin zieht daraus die Konsequenz, dass sich die Industrienationen von ihrer Erdöl-Abhängigkeit im Nahen Osten lösen müssen. Die Wasserstoffwirtschaft dezentralisiere die Machtstrukturen. Das Erdöl verliere so seine politische Brisanz. Und der islamische Fundamentalismus könne Öl nicht mehr als Waffe gebrauchen. Der 11. September könnte daher als ein "Anstoß für ein Umdenken in der Energiepolitik" begriffen werden.
Unter den alternativen Antrieben haben Brennstoffzellen - langfristig gesehen - die besten Zukunftsaussichten. Die Elektrofahrzeuge emittieren ungiftigen Wasserdampf und sind zudem ausgesprochen leise. Praktisch alle großen Automobilhersteller arbeiten an der Entwicklung wasserstoffgetriebener Fahrzeuge. Die ersten wasserstoffgetriebenen Elektrofahrzeuge werden vermutlich noch im Laufe dieses Jahres in Kalifornien zugelassen. Allerdings besagen Studien, dass der Anteil von Brennstoffzellen-Fahrzeugen an der Gesamt-Pkw-Produktion bis zum Jahr 2010 unter einem Prozent liegen wird. Mit größeren Serienstückzahlen ist erst ab dem Jahr 2017 zu rechnen. Die hohen Kosten der Brennstoffzelle und die erforderlichen Milliardeninvestitionen in den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur hemmen den Markteintritt.
Umstritten ist vor allem, wie Wasserstoff effizient gewonnen werden kann. Bisherige Systeme integrieren die Erzeugung von Wasserstoff aus Erdgas oder Methanol im Fahrzeug. Der Nachteil: Die Minikraftwerke sind schwer. Außerdem wird bei der Dampfreformierung aus fossilen Brennstoffen klimaschädliches Kohlendioxid freigesetzt. So sieht Rifkin in der Betankung von Erdgas für Wasserstoff-Fahrzeuge nur eine Zwischenlösung.
Interessant wird es, wenn es gelingt, aus solarer Energie - Windkraft, Wasserkraft, Erdwärme oder Biomasse - ausreichend Strom für die elektrolytische Spaltung von Wasser zu gewinnen. Noch ist der dazu notwendige Energieaufwand immens - und daher nicht effizient. Zudem ist die Gewinnung von Wasserstoff durch Elektrolyse noch etwa viermal so teuer wie aus Erdgas oder Methanol. Eine Ausnahme ist Island: Dort ist aufgrund großer geothermischer Ressourcen eine Wasserstoffwirtschaft bis zum Ende dieser Dekade umsetzbar. Nur solar - beziehungs- weise regenerativ - erzeugter Wasserstoff könnte das Brennstoffzellen-Auto zum 'Null-Emissions-Fahrzeug’ machen. Notwendig wäre dazu ein massiver Ausbau der regenerativen Energien. Denkbar wäre die Installation von Sonnenkraftwerken im Süden Europas und in Nordafrika. Die Wirtschaftlichkeit von Solaranlagen müsste dazu noch erheblich verbessert werden. Die Brennstoffzelle ist daher nur ein Aspekt der Wasserstoffvision. Genauso wichtig ist die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energieträger. Rifkin greift weit voraus in die Zukunft:
Je stärker sich die Technologie durchsetzt, desto billiger wird sie. Die einzigen Kosten, die ins Gewicht fallen, sind der Unterhalt des intelligenten Netzes, durch den der Wasserstoff durch die Welt fließt. Die Weltgemeinschaft steht am Beginn einer neuen Ära, in der Energie zum Nulltarif zu haben sein wird.
Rifkin zitiert Jules Vernes Utopie, wonach Wasser eines Tages als Brennstoff benutzt wer- den wird. Heute - wie vor 130 Jahren - eine Fiktion. Zudem stellt sich die Frage, ob eine in der Zukunft realisierbare flächendeckende regenerative Energieversorgung nicht ökologisch sinnvoller am Ort Ihrer Erzeugung verbraucht wird, statt sie in andere Energieträger - wie den Wasserstoff - umzuwandeln, Tausende von Kilometern zu transportieren und dann wie- der in Strom zurück zu verwandeln. Null-Emissionen wird es nicht geben. Dies leitet sich alleine schon aus dem Gesetz der Thermodynamik ab. Energie lässt sich lediglich umwandeln. Wie und wann immer dies geschieht - es geht ein Teil der Energie unwiederbringlich verloren. Möglich sind hingegen geschlossene Stoffkreisläufe, in denen die Umweltauswirkungen von Produkten über den gesamten Lebenszyklus minimiert werden.
Neu sind Rifkins Thesen für eine gerechtere Weltwirtschaft nicht. Bereits Hermann Scheer hat in seinem Buch "Solare Weltwirtschaft" das enorme Potential regenerativer Energiequellen aufgezeigt. Öl-Multis wie Shell und BP haben begonnen, auf die alternative Energieerzeugung zu setzen. Interessantes Marktpotential haben auch Biokraftstoffe. In Europa lassen sich immerhin 30 Prozent des Kraftstoffs auf biogener Basis erzeugen. Welche Technologien sich durchsetzen können, muss in jedem Land nach Verfügbarkeit und effizienter Nutzbarkeit natürlicher Ressourcen geprüft werden. Das Wasserstoffzeitalter ist dabei nur eine mögliche Vision für die Jahrhundertaufgabe, eine zukünftige Wirtschafts- und Lebensweise auf unserem Planeten umzusetzen.
Jeremy Rifkin: Wenn es kein Öl mehr gibt. Die H 2-Revolution. Erschienen im Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2002, 304 Seiten, 25,50 Euro.