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Jerusalems Modernisierer

Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs organisierte er Rettungsaktionen europäischer Juden. 28 Jahre regierte er als Bürgermeister in Jerusalem. Dank seiner Politik der Verständigung lebten Israelis und Araber in dieser Zeit relativ friedlich nebeneinander.

Von Igal Avidan | 27.05.2011
    "Jerusalem ist das Zentrum des jüdischen Volkes, der Kopf und das Herz ... Seit 1948 Geburtsstunde des Staates Israel, der neuen israelischen jüdischen Demokratie, ist es unsere Hauptstadt. Um im Jahr 1967 wurde die geteilte Stadt wieder vereinigt und erst damit wurde wirklich ganz Israel ein Land"."

    Als Teddy Kollek diese Rede 1985 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hielt, war "Mr. Jerusalem" der wohl berühmteste Bürgermeister der Welt. Der liberale und weltliche Sozialdemokrat regierte seit 20 Jahren eine Stadt, in der damals Israelis und Araber relativ friedlich nebeneinander lebten. Auch dank seiner Politik der Verständigung.

    Am 27. Mai 1911 als Sohn ungarischer Zionisten geboren, machte er seine ersten multi-ethnischen Erfahrungen in Wien, der Stadt seiner Kindheit. 1935 wanderte der ausgebildete Landwirt mit seiner Frau Tamar nach Palästina aus, wo sie den Kibbutz Ein Gev am See Genezareth mitgründeten.

    Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs organisierte Kollek Rettungsaktionen europäischer Juden. 1939 traf er in Wien Adolf Eichmann und konnte die Auswanderung von 3.000 jüdischen Jugendlichen aus Österreich nach Palästina erwirken. In seiner Autobiografie "Ein Leben für Jerusalem" beschrieb Kollek das Treffen im Palais Rothschild:

    "In einem großen, holzgetäfelten Raum saß er an seinem Schreibtisch – ein adrett gekleideter, glattrasierter junger Mann in schwarzer Uniform mit einer Hakenkreuzbinde am Arm. Er machte den Eindruck eines kleinen Angestellten und war weder aggressiv noch laut oder unhöflich. Allerdings ließ er mich die ganze Unterredung über stehen".

    Erst 21 Jahre später trafen sich Kollek und Eichmann wieder. Diesmal organisierte Teddy Kollek, inzwischen Generaldirektor des Büros von Premierminister David Ben-Gurion, den Eichmann-Prozess in Jerusalem, in dem er auch als Zeuge auftrat. Der israelische Historiker Tom Segev war eine kurze Zeit Kolleks Büroleiter:

    ""Teddy Kollek hat sicher sofort den propagandistischen Wert dieses Prozesses erkannt. Er war wirklich ein Mann, der sehr in den Medien gelebt hat in einer Zeit, als das noch nicht so üblich war in Israel. Er hat wirklich dafür gesorgt, dass so viel wie möglich Journalisten aus aller Welt kommen und dass sie auch die richtigen Arbeitsbedingungen haben."

    Wenig später konnte Kollek im Auftrag Ben-Gurions den Bau des Israel-Museums realisieren. Nach der Einweihung im Mai 1965 gründete Ben-Gurion eine neue Partei und schickte Teddy Kollek als seinen Kandidaten für das Bürgermeisteramt ins Rennen. Eine Entscheidung, die im Wohnzimmer des Fotografen David Rubinger fiel:

    ""Irgendwo habe ich das Gefühl, dass seine Bürgermeisterschaft hier in diesem Haus geboren wurde. Wir saßen mit einer ganzen Anzahl von einflussreichen Leuten hier an einem Freitagabend ... und irgendjemand kam und hat gesagt: 'Teddy Kollek würde einen wunderbaren Bürgermeister machen'."

    Im November 1965 wurde Kollek Bürgermeister von West-Jerusalem und 1967, nachdem Israel im Sechs-Tage-Krieg den Ostteil besetzt hatte, Oberhaupt der sogenannten "wiedervereinigten Stadt".

    Teddy Kollek war ein außergewöhnlicher Bürgermeister, charmant und zupackend. Schon morgens früh machte er Kontrollgänge durch die Straßen und bestand darauf, dass seine Privatnummer im Telefonbuch stand. Über die von ihm gegründete und geleitete "Jerusalem Stiftung" förderte er viele Kulturprojekte.

    Doch Kolleks versöhnlicher Umgang mit den Arabern konnte nicht verhindern, dass 1987 mit der ersten Intifada die Gewalt auch auf Ost-Jerusalem übergriff. Er rechtfertigte zwar die jüdische Besiedlung, aber nicht in arabischen Vierteln. Und er bekannte sich immer zu einem vereinigten Jerusalem als Israels Hauptstadt.

    Bei den Kommunalwahlen 1993 unterlag der 82-Jährige dem rechtsgerichteten Ehud Olmert. Erst im Ruhestand plädierte er für eine palästinensische Souveränität über weite Teile Ost-Jerusalems. Tom Segev:

    ""Als er schon alt und, glaube ich, nicht mehr im Amt war, hat er dann zugegeben, dass diese ganze Idee der Vereinigung von Jerusalem eigentlich unmöglich gewesen ist von Anfang an, und eigentlich falsch von Anfang an. Also ungefähr 25 Jahre lang hat er von der Vereinigung von Jerusalem gesprochen und am Ende hat er gesagt, 'ja, ist doch ein Irrtum'"."