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Jetzt stimmt's

Paläoanthropologie. - Wann der anatomisch moderne Mensch sich aus Afrika in alle Welt aufmachte, ist ein unter Anthropologen heftig umstrittenes Thema. Es wurde noch komplizierter, als Genetiker in die Diskussion eingriffen und mit ihren genetischen Uhren zu ganz anderen Ergebnissen als die traditionellen Anthropologen kamen. In "Current Biology" legen Paläogenetiker jetzt einen revidierten Zeitplan vor, der den Annahmen der Paläoanthropologen eher entspricht. Der Wissenschaftsjournalist Michael Stang berichtet im Gespräch mit Uli Blumenthal.

Michael Stang im Gespräch mit Uli Blumenthal |
    Blumenthal: Herr Stang, wann soll der Auszug denn nun stattgefunden haben?

    Stang: Ja, der Auszug wird wieder verlegt und zwar wird er auf eine Zeit vor rund 95.000 Jahren gelegt. "Wieder" bedeutet, dass eben je nach Kenntnisstand es unterschiedliche Ansätze gab, wie man dieses als "Out of Africa" bekannte Szenario datiert. Einerseits gibt es die Datierung von Ausgrabungsstätten an sich, andererseits halt genetische Hochrechnungen. Aber diese Ergebnis passen bislang nicht unbedingt zusammen. Und jetzt hat Johannes Krause von der Universität Tübingen versucht das ganze in Einklang zu bringen.

    Blumenthal: Johannes Krause ist einer von diesen Paläogenetikern, die da mitmischen in der Diskussion. Was hat sein Team genau untersucht?

    Stang: Also der Ansatz dieser Forscher war, dass sie über die Mutationsrate, also die durchschnittliche Zahl der Veränderungen im Erbgut, die es von Generation zu Generation gibt, dass man darüber bestimmte Ergebnisse oder Ereignisse in der Evolution datieren kann. Dazu haben sie sich zehn Skelette vorgenommen, die eine Zeitspanne von ungefähr 40.000 Jahren abdecken. Die Skelette sind in Europa und Ostasien gefunden worden. Aus diesem Knochen sind Proben entnommen worden und das Genom von Mitochondrien rekonstruiert worden. Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle. Und bei diesen untersuchten Skeletten sind ein paar sehr berühmte Funde dabei, etwa das Doppelgrab aus Dolní Věstonice in Tschechien oder auch aus Oberkassel hier in Bonn, das sind die ältesten Skelette von anatomisch modernen Menschen, die man bislang in Deutschland gefunden hat.

    Blumenthal: Wie ging es dann weiter? Was haben die Paläogenetiker aus der Untersuchung dieser Kraftwerke der Zelle schließen können?

    Stang: Also, eine wichtige Erkenntnis ist, dass jetzt mit Hinblick auf diese mitochondriale DNA die Jäger und Sammler vor und nach der letzten Eiszeit in Europa in direkter Verwandtschaftslinie stehen. Das heißt, es gab keine Neubesiedlung, sondern es war eine permanente Besiedlung da. Die Forscher haben sich diesen Abgleich der Mutationsraten angeschaut, um damit eine Art Lineal zu entwickeln ein Lineal, das 40.000 Jahre umfasst. Das heißt, man hat die Datierung der Skelette, die mithilfe der Radio Carbon-Methode erfasst wurde, genommen, um damit dann mit anhand dieser Mutationsraten zu sehen, wann sind denn unsere Vorfahren erstmals aus Afrika dann nach Europa eingewandert.

    Blumenthal: Und diese Mutationsraten, von denen Sie gesprochen haben, die haben sich dann tatsächlich unterschieden von denen früherer Annahmen oder Theorien?

    Stang: Genau. Man kann jetzt hochrechnen, dass die so genannte mitochondriale Eva, also diese mitochondriale Linie, zu der alle heute lebenden Menschen gehören, diese Frau vor 160.000 Jahren lebte. Und man kann jetzt den letzten gemeinsamen Vorfahren von Afrikanern und Nicht-Afrikaner bestimmen, und das Ergebnis ist: 62.000 bis 95.000 Jahre vor heute. Diese Zeit entspricht also dem frühestmöglichen Zeitpunkt, wann die anatomisch modernen Menschen erstmals aus Afrika ausgewandert sind.

    Blumenthal: Wie würden Sie es einschätzen? Was bedeutet das? Dass die Paläogenetiker zurückrudern und sagen: Die Anthropologen hatten doch recht?

    Stang: Im Prinzip schon, aber die konzentrieren sich natürlich nur auf die Paläogenetik und sagen bei früheren Annahmen, diese war nicht stimmig, die hatten wirklich nur eine Zeit von 30.000 Jahren angegeben. Und sie waren nicht stimmig, einfach weil sie ein paar Mutation übersehen haben. Weniger Mutationen heißt, geringerer Zeit. Und das hat also zu einer Unterschätzung dieser Auswanderungswelle geführt und das zeigt eben wieder, wie wichtig alte Proben sind, dass man nicht nur vom heute lebenden Menschen das rekonstruiert, sondern tatsächlich alte Skelette untersucht. Und damit kann man sich dann einfach näher an die tatsächliche Wahrheit herantasten.

    Blumenthal: Könnte man auch sagen: Der Vorhang fällt, und alle Fragen bleiben offen?

    Stang: Nicht wirklich, weil das jetzt wirklich nur die Untersuchung der mitochondrialen DNA war. Die Zellkern-DNA, also das richtige Erbgut, das kann natürlich eine andere Sprache sprechen. Und das wird das Folgeprojekt sein. Das heißt, jetzt ist klar, es passt einfach besser zusammen, die archäologischen Befunde und die Genetik. Also man versucht gemeinsam in eine Richtung zu gehen.