Sie einfach "alternativ" zu nennen, griffe zu kurz, denn die Bedeutung der Hausbesetzungen und der künstlerischen Arbeit erschöpfte sich nicht in politischen Botschaften, sondern war raum-kritisch und dabei sozial im weitesten Sinn. Im East Village fanden die Vertriebenen der öffentliche Räume eine Zuflucht, Junkies und Desperados und Obdachlose Unterschlupf.
Irgendwann stellte sich die Presse ein, plötzlich wurde das East Village bekannt, ein Hype setzte ein. Plötzlich wollte jeder, der auf sich hielt im East Village, wohnen. Alteigentümer entdeckten ihre Liebe zu den von ihnen offengelassenen Bauten wieder, ließen renovieren, was sich halbwegs konfliktfrei renovieren ließ, dann kamen die Besserverdienenden, investierten, und heute ist dieses Viertel eine Zone der properen Wohnetagen mit Landrover in der Tiefgarage. "Gentrification" nennt man diesen Prozess der allmählichen Aufwertung eines Viertels, bei dem ganze Bevölkerungsschichten ausgetauscht werden. Die meisten Künstler wanderten ab. Der Raum wurde sozusagen öffentlich zurück-besetzt.
Mit Wehmut rekapituliert die Ausstellung in den Kunstwerken diesen Prozess noch einmal. In der obersten Etage haben die Ausstellungsmacher eine Art Gedenkausstellung für die Szene im East Village der Achtzigerjahre konzipiert, die für die heutige Jugendkultur in Europa so maßgeblich gewesen ist, auch wenn sich kaum mehr jemand daran erinnert. Die beiden Kuratoren Josef Strau und Stefan Dillemuth alias Gertrud Berlin hatten Anfang der neunziger Jahre die kleine "pattern gallery" East Village und gingen 1992 nach Köln, wo sich im Friesenviertel eine vergleichbare Situation anbahnte. Auch hier wurden Häuser von Künstlern besetzt, das New Yorker Vorbild war unübersehbar. Und zur selben Zeit ereignete sich ganz ähnliches auch im wiedervereinigten Berlin, in Mitte rund um jene Kaufhausruine, die heute vor allem unter dem Namen Tacheles bekannt ist, und im Viertel um die Auguststraße und das Postfuhramt herum mit seinen zahllosen neuentstandenen Galerien.
All das ein geradezu städtebauliches Symbol für die völlige Verwirrung, in die die Stadtpolitik jener Jahre gestürzt war. Es taten sich richtige Lücken auf, die man seit Kreuzberg in den Siebzigern gar nicht mehr kannte. Wer heute hier hindurchgeht, ahnt nur noch wenig vom Aussehen und der unerhörten Lebendigkeit der Szene Anfang der neunziger Jahre. Die Kunstwerke Berlin, im Hinterhof einer ehemaligen Margarinefabrik gebaut, und die von ihnen organisierte Berlin Biennale sind selbst ja eine, wenngleich späte, Kreation dieser Zeit.
Heute ist alles einigermaßen veredelt, etabliert, die Mieten sind gewaltig für Berliner Verhältnisse, die Galerierundgänge inzwischen auf Touristenniveau gestutzt. Wehmut ist angebracht. Die mittlere Etage der Ausstellung fördert noch einmal die Künstlernamen dieser Aufbruchsjahre zutage, die wenigsten von ihnen, wie Octavius von Trautmannsdorf oder die Galerie Hoffmann, Amelie von Wulffen und Hennig Bohl, die Gruppen An-Architektur oder Botschaft e.V. und der Dance Club WMF sind heute noch bekannt. Viele Künstler, die heute noch aktiv sind, tummeln sich im Bereich der Berlin Biennale oder einer neu entstandenen Architektur- und Designszene, die sich inzwischen selbst als Label inszeniert und im übrigen nicht zuletzt auf der jüngsten Architekturbiennale in Venedig ihren Auftritt hatte. Unglaublich, wie schnell das alles vergessen ist, dass es bereits nach zehn Jahren einer Erinnerungsausstellung wie dieser bedarf.